Politik Über braunes Liedgut gestolpert

Österreichs junger Kanzler ist lernfähig. Sebastian Kurz verweigerte sich zunächst tagelang einer politischen Auseinandersetzung über den jüngsten Skandal um ein Nazi-Liederbuch im Umfeld der mitregierenden Freiheitlichen Partei (FPÖ). Doch der erst 31-jährige Kanzler und Chef der konservativen ÖVP musste letztlich einsehen, dass Österreichs Ruf im Ausland auf dem Spiel steht. Vorige Woche war Medien ein Liederbuch der Burschenschaft „Germania zu Wiener Neustadt“ zugespielt worden, in dem Verbrechen des Nationalsozialismus verherrlicht und Holocaust-Opfer verhöhnt werden. In einer Liedstrophe hieß es: „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“ Nun wird ein Auflöseverfahren gegen die FPÖ-nahe Burschenschaft eingeleitet. Und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat dem Kanzler Kurz zugestimmt, obwohl die Burschenschafter das Herz der Partei sind und seine Machtbasis bilden. Auch verspricht Strache, eine Historikerkommission solle die nazilastige Geschichte seiner Partei aufarbeiten. Am Ende soll es eine FPÖ-neu gegeben, quasi lupenrein demokratisch. Das wäre sozusagen ein positiver Kollateralschaden aus diesem Skandal. Doch das macht Strache nicht aus Überzeugung, sondern aus taktischem Kalkül: Der 48-jährige Vizekanzler hat mehr als zehn Jahre auf die Regierungstauglichkeit der FPÖ hingearbeitet, für ihn ist der Skandal eine Gelegenheit, sich als der Staatsmann zu erweisen, für den er sich hält. Indes: Der FPÖ die Nazi-Nostalgie und den Rechtsextremismus auszutreiben, dürfte ein schwieriges Unterfangen sein. Dank der Neuauflage der schwarz-blauen Regierung sitzen die Burschenschaftler jetzt an Hunderten Schaltstellen des Staates und sind überproportional im Parlament vertreten. Alle fünf FPÖ-Minister, einschließlich des Vizekanzlers Strache, haben Korporierte zu Büroleitern, Beratern und Experten gemacht. Zumindest für einen hat der Liederbuch-Skandal Folgen: Udo Landbauer, der als Spitzenkandidat der FPÖ bei den Landtagswahlen in Niederösterreich am vergangenen Wochenende ein Mandat gewonnen hatte, legte dieses gestern nieder und trat von allen politischen Ämtern zurück. Der 31-Jährige war Vizepräsident der Burschenschaft Germania – von dem antisemitischen Lied will er freilich nichts gewusst haben.

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