Interview Flutwein-Spendenaktion: „Das sprengt alle Erwartungen“

Original mit Schlamm: der Flutwein.
Original mit Schlamm: der Flutwein.

Winzer Peter Kriechel von der Ahr ist vom Erfolg der Initiative, mit verdreckten Weinflaschen Geld für den Wiederaufbau zu sammeln, überrascht. Am Krisenmanagement des Landes übt er scharfe Kritik.

Herr Kriechel, mitten im Katastrophengebiet, wie geht es Ihnen?
Wir leben noch. (Pause). Das ist das Wichtigste.

Schön zu hören. Wer ist wir?
Das sind meine Großfamilie mit rund 40 Leuten und unser Team mit 22 Festangestellten. Wir sind alle unversehrt.

Und wie sieht es im Weingut aus?
In unserem Flaschenlager mit 200.000 Weinflaschen stand das Wasser fünf Meter hoch. Ein Viertel der Flaschen ist kaputt. Unseren Gutsausschank mit Gastronomie haben wir noch mit Sandsäcken versucht zu retten. Jetzt ist er wohl abrissfähig.

Wie hoch schätzen Sie den Gesamtschaden in Ihrem Betrieb auf der Altstadtseite der Ahr?
Das kann ich noch gar nicht genau beziffern. Zum Glück ist unser Wohnhaus hangaufwärts auf der anderen Seite der Ahr nicht betroffen. Das Haus meines Bruders aber schon. Am Tag danach habe ich von zu Hause bis zum Betrieb statt fünf Minuten mit dem Fahrrad zwei Stunden gebraucht.

Die Aktion Flutwein läuft sensationell gut ... 3,2 Millionen Euro zeigt das Spendenbarometer am Freitagabend.
Ja, wir sind absolut überwältigt. Das sprengt alle Erwartungen.

Wie viele Flaschen haben Sie für die Aktion? Welche Rebsorten?
Es wird viel Spätburgunder sein – dafür ist die Ahr ja bekannt. Bisher haben wir über 130.000 Flaschen übe die Aktion vergeben. Etwa 200.000 haben wir insgesamt. Am Wochenende zählen wir noch mal und legen fest, wie lange wir noch Flutwein haben.

Wie funktioniert die Aktion?
Alle aus dem Schlamm geborgenen, intakten Flaschen bleiben so wie sie sind und werden einzeln oder als Dreier-Paket für 75 Euro beziehungsweise 90 Euro verkauft. Dazu kommt ein freiwilliger Betrag für die Crowdfunding-Plattform (Crowdfunding: Viele private Geldgeber finanzieren mit kleinen Beträgen große Projekte, Anmerk.)

Ist der Flutwein trinkbar?
Wir achten darauf, dass es nur unversehrte, abgedichtete Flaschen sind. Sie werden entsprechend geprüft. Klar kann der Wein dann getrunken werden. Wir denken aber auch, dass viele die Weinflasche aufheben werden. Immerhin handelt es sich um ein Stück Geschichte. Quasi ein Gedenkstück einer Jahrhundert-Katastrophe.

Wer hatte die Idee zum Flutwein?
Zusammen mit der Gastronomin Linda Kleber bin ich Mitinitiator. Als Lindas ,Klebers Küche Garten’ weggespült war, fand sie einige ihrer Weinflaschen, zog sie aus dem Schlamm und stellte Fotos online in den Familien-Chat. Wir müssen was machen, hieß es. Die Idee entstand zusammen. Wir dachten sofort: Hey, das ist eine Supersache. Dann kam mit Daniel Koller ein Markenexperte aus der Verwandtschaft ins Spiel. Er hat früher mal im Ahrtal gewohnt, war jetzt wieder hier. Er hat mit Seven One (von Pro Sieben/Sat1; Anmerk.) in drei, vier Tagen umgesetzt, was sonst drei, vier Monate dauert. Sie haben eine Webseite gestaltet, Janine Koller hat ein Etikett in Schwarz-Weiß für die ersten 1000 Flaschen entworfen. Es symbolisiert eine Welle.

An wen gehen die mit dem Flutwein eingenommenen Millionen?
Wir sind mit der Aktion übrigens die größte Crowdfunding-Aktion in Deutschland, die es bisher gab. Die Summe ist gedacht für den Wiederaufbau in der Gastronomie der betroffenen Region und die rund 50 Ahrwinzer. Am Ende soll es einen Verteilungsschlüssel geben. Das Geld soll komplett weitergegeben werden. Deshalb suchen wir noch Sponsoren, die die Logistik, also das Verpacken und den Transport der Flaschen übernehmen. Ich denke, bis Weihnachten sollten alle Flaschen bei den Unterstützern angekommen sein.

Wie läuft die sonstige Hilfe an der Ahr?
Hätten sich viele in der Region nicht selbst geholfen oder Hilfe privat organisiert, stünden wir noch immer da ohne. Vom Land kam zu wenig, auch kaum Infos vom Krisenstab der ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, Anmerk.) Das muss alles aufgearbeitet werden. Und wir brauchen Experten. Wir sind schon über drei Wochen ohne Strom. Gas kommt wohl vor Jahresende nicht. Wir wissen nicht, wie es mit Kitas und Schulen weitergeht. Das Land der Planer und Organisatoren hat bisher nicht die beste Leistung gezeigt.

Ohne Gas im Herbst und Winter?
Ja. Wie wir heizen – keine Ahnung.

Wie sieht es mit Helfern aus?
Wir brauchen nach wir vor jeder helfende Hand. Privat organisierte Hilfe funktioniert. Wer kommen möchte, kann sich unter www.helfer-shuttle.de/winzer informieren.

Sie bleiben im Ahrtal?
Klar! Wir schaffen das. Trotz der vielen Probleme gibt es bei vielen, nicht allen, Aufbruchstimmung, auch dank der vielen, vielen Helfer.

Info

Online-Bestellung unter www.flutwein.de

Ein Bild aus der Vor-Flut-Zeit: Ahrwinzer Peter Kriechel.
Ein Bild aus der Vor-Flut-Zeit: Ahrwinzer Peter Kriechel.
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