Pfalz „Verrohung des Umgangs“: Rettungskräfte klagen über Schaulustige

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Der Landesbetrieb Mobilität hat Sichtschutzwände gegen Gaffer - wie sie hier auf unserem Symbolbild aus Nordrhein-Westfalen zu sehen sind. Angefordert wurden sie bisher noch nicht.

„Gaffer“ sind ein emotional diskutiertes Phänomen. Auch Einsatzkräfte in Rheinland-Pfalz berichten von Problemen mit Schaulustigen. Wie viele Vorfälle es gibt, ist aber gar nicht so leicht zu ermitteln: Eine Statistik wird nicht geführt.

Schaulustige, die Unfälle und Verletzte fotografieren und „begaffen“, Rettungskräfte behindern und Staus oder sogar erneute Unfälle auslösen, sind auch in Rheinland-Pfalz ein Problem. Das berichten Rettungsdienste, der Landesfeuerwehrverband und die Polizeipräsidien im Land. Wie stark das „Gaffer“-Problem ist, unterscheidet sich aber von Region zu Region. 76 Vorfälle mit „Gaffern“ und Schaulustigen hat die Polizei Mainz in ihrem Zuständigkeitsbereich von Mai 2017 bis April 2018 registriert, wie Sprecher Alexander Koch mitteilte. Schaulustige habe es etwa bei Bränden, Verkehrsunfällen, Gewaltdelikten und suizidalen Ereignissen gegeben. Auch die Polizeipräsidien Rheinpfalz und Koblenz melden Probleme mit Schaulustigen.

Gaffer werden statistisch nicht erfasst

Das Phänomen scheint aber in verschiedenen Regionen unterschiedlich stark aufzutreten: Das Polizeipräsidium Trier teilte mit, dass es zwar immer wieder Schaulustige gebe, aber nicht so, dass es ein gravierendes Problem wäre. Im Trierer Bereich gebe es nicht viel Autobahn, Gaffer gebe es aber vor allem dort bei schweren Unfällen. Das Polizeipräsidium Westpfalz in Kaiserslautern teilte mit: „Wir hatten in der Westpfalz bislang keine Probleme mit sogenannten „Gaffern“. Vorfälle mit Schaulustigen werden von der Polizei nicht statistisch erfasst. „Sie müssen jeweils mit Suchbegriffen recherchiert und dann einzeln angeschaut werden“, schrieb die Sprecherin des Polizeipräsidiums Koblenz, Claudia Müller. Ein Vergleich zwischen verschiedenen Regionen und ein Überblick, wie sich das Phänomen entwickelt, ist daher schwierig.

Auch früher Menschentrauben bei Unfällen

In Mainz hat es laut Polizeisprecher Alexander Koch von Mai 2016 bis April 2017 insgesamt 71 Vorfälle gegeben. Im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor waren es nur 40 gewesen. Dass die Zahl der Gaffer zugenommen hat, könne man allein daraus aber nicht schließen. Durch die mediale Berichterstattung erhelle sich dieses Dunkelfeld, sagte er. „Weil wir darüber berichten, haben wir automatisch mehr Fälle.“ „Gaffer gab's ja immer schon“, sagte auch der Präsident des rheinland-pfälzischen Landesfeuerwehrverbandes, Frank Hachemer. Auch in der Vergangenheit hätten sich bei Unfällen Menschentrauben gebildet, Neugier sei menschlich. Das Phänomen sei aber stärker geworden - auch, da wegen der technischen Möglichkeiten Unfälle leicht gefilmt und veröffentlicht werden könnten. Das führe nicht nur zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die Rettungskräfte würden dadurch irritiert und bei ihrer Arbeit gestört: „Möchten Sie ständig dabei beobachtet werden, wie Sie gerade versuchen, ein Menschenleben zu retten?“, fragte Hachemer.

Auch Probleme mit "Leserreportern"

„Ich glaube, das Thema Gaffer hat weder zu- noch abgenommen“, sagte Marco Prinz, der Geschäftsführer des Rettungsdienstes des Deutschen Roten Kreuzes Westpfalz. Fälle von Gewalt gegen Einsatzkräfte würden aber stetig zunehmen. „Der Respekt vor den Organen des Staates fehlt“, sagte Prinz. Es gebe eine Verrohung des Umgangs der Menschen untereinander, sagte auch Landesfeuerwehrpräsident Hachemer. Autoritäten würden nicht mehr so ohne weiteres akzeptiert. Das schlage sich auch hier nieder. „Haben wir es nötig, uns gegenseitig am Schaden anderer zu erfreuen?“ fragte der Mainzer Polizeisprecher Alexander Koch. Von Menschen, die den Rettungsdienst behindern oder attackieren, berichtete auch Philipp Köhler, Sprecher des DRK-Rettungsdienstes Rheinhessen-Nahe. Sein Rat zum Verhalten in Notfallsituationen: „Nicht zukucken, sondern anpacken.“ Man dürfe dem Rettungsdienst gerne Hilfe anbieten. Sollte diese nicht benötigt werden, dürfe man aber nicht stören. Neben Privatpersonen gebe es auch Probleme mit sogenannten „Leserreportern“, die Unfälle und Verletzte fotografierten und filmten. „Das gehört sich einfach nicht. Es ist unanständig“, sagte Köhler. Auch das Polizeipräsidium Trier teilte mit, mehr Ärger als mit Gaffern gebe es wohl eher mit Journalisten, die Absperrungen der Polizei ignorieren.

Schutzwände noch nicht angefordert

Um vorzubeugen, dass Schaulustige nach Unfällen Persönlichkeitsrechte verletzten und Staus oder sogar erneute Unfälle auslösen, können Rettungskräfte seit Anfang Mai auf Sichtschutzwände zurückgreifen, die der Landesbetrieb Mobilität (LBM) bereithält. Die an Bauzäune erinnernden Wände mit Stahlrohrrahmen und grüner Folie stehen in den Autobahnmeistereien Wattenheim an der A 6 und Heiligenroth an der A 3. Die Kosten von 50 000 Euro pro Autobahnmeisterei trug der Bund. „Die Sichtschutzwände wurden bisher noch nicht angefordert“, teilte eine Sprecherin des LBM mit. Man werde nur aktiv, wenn die Polizei den LBM mit den Wänden hinzurufe. Sichtschutzwände seien an sich eine sinnvolle Maßnahme, sagte Landesfeuerwehrpräsident Frank Hachemer. „Die Idee, sie bei den Straßenmeistereien zu deponieren, ist schlecht“, sagte er. Es bringe nichts, wenn sie erst nach einer halben Stunde da seien. Hilfreicher wäre es, die Einsatzkräfte würden den Sichtschutz selbst mitführen. „Wir empfehlen die Unterbringung in leichter Form direkt bei den Feuerwehren“, sagte er. „Dann können sie auch sofort eingesetzt werden.“

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