Rheinland-Pfalz Katastrophenschutz im Umbruch: Ein neues Amt für den Ernstfall

Die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 hat die Grenzen des Katastrophenschutzes aufgezeigt.
Die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 hat die Grenzen des Katastrophenschutzes aufgezeigt.

Rheinland-Pfalz stellt den Katastrophenschutz neu auf. Den Ausschlag gab die Flutkatastrophe an der Ahr 2021. Die Zunahme der Klimawandelfolgen verstärkt die Dringlichkeit – aber auch die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine.

Innenminister Michael Ebling stellt den Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz neu auf. „Die Umstrukturierung wird sich über Jahre zu ziehen haben“, sagt der SPD-Politiker. Die Kommunen und der Landesfeuerwehrverband drängten aufs Tempo, wissen aber zugleich: „Der Aufbau braucht Zeit“, sagt der Präsident des Landesfeuerwehrverbands, Frank Hachemer.

Kern der Mammutaufgabe sind eine neue Behörde und veränderte Zuständigkeiten, mehr Personal, mehr Aus- und Weiterbildung und eine bessere Ausstattung der Kräfte. Auch eine Gesetzesnovelle ist dafür notwendig. Ebling betont, dass die beteiligten Menschen gestärkt werden sollen. Denn 99 Prozent der Feuerwehr- und Rettungskräfte sind Ehrenamtliche. Ein Überblick:

Weshalb ist die Neuaufstellung notwendig?
Die Flutkatastrophe im Ahrtal und dem Raum Trier vor knapp zwei Jahren mit mindestens 135 Toten hat die Grenzen aufgezeigt. „Und der Klimawandel macht auch keine Pause“, sagt Ebling. Punktueller Starkregen und die Waldbrände nehmen zu. Ein wichtiges Thema für Rheinland-Pfalz, 42 Prozent der Landesfläche besteht aus Wald.

„Die veränderte Weltlage kann man auch nicht außer Acht lassen“, sagt Ebling. Man könne beobachten, dass jede Entscheidung der Bundesregierung für die Unterstützung der Ukraine zu höheren Angriffen auf unsere Infrastrukturen führt, insbesondere der IT, so der Minister. Der Katastrophenschutz und die übrigen Bereiche der Kritischen Infrastruktur müssen auch auf einen langanhaltenden Stromausfall vorbereitet sein.

Welche neuen Behörden sollen geschaffen werden?
Der Kern des Landesamtes für Katastrophenschutz soll am Standort Koblenz an der heutigen Feuerwehr- und Katastrophenschutzakademie des Landes (LFKA) geschaffen werden. Außerdem soll es Regionalstellen geben. Damit das Land handeln könne, wenn erneut eine Katastrophe mehrere Regionen betrifft, soll – ebenfalls in Koblenz – ein Lagezentrum aufgebaut werden, das das ganze Jahr über rund um die Uhr besetzt ist. Die Ausschreibungen laufen. Ziel sei es Informationen zu haben, etwa bei einem extremen Wetterereignis oder einer anderen sich zuspitzenden Situation früher ein Risiko zu erkennen und Vorsorge zu treffen, sagt Ebling. Mit den Bauten und der technischen Ausstattung solle in diesem Jahr begonnen werden.

Und was ist bis dahin?
„Wir haben ja jetzt schon unser polizeiliches Lagezentrum in Mainz, was an sieben Tagen pro Woche 24 Stunden in Betrieb ist“, berichtet der Innenminister. Es sei mit einer Rufbereitschaft von Katastrophenschützern verstärkt worden; bei den jüngsten Starkregenereignissen sei es bereits erprobt worden. „Das haben wir regional vor Ort alles hinbekommen, aber wir haben jetzt auch schon einen größeren Überblick“, sagt Ebling. Der Landesbeirat für Brand- und Katastrophenschutz tage zudem wieder. Neben Vertretern der Hilfsorganisationen gehören zu dem Gremium auch Vertreter der Leitenden Notärzte, Experten der kommunalen Spitzenverbände sowie die Brand- und Katastrophenschutzinspekteure der Landkreise.

Wo soll es mehr Personal geben und wie viel?
Das Personal bei den Behörden soll alleine in diesem Jahr um 47 Stellen aufgestockt werden, davon 23 bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) und 24 bei der Brand- und Katastrophenschutzakademie. Beide sind künftig unter dem Dach des Landesamtes für Katastrophenschutz angesiedelt, und die Akademie ist dafür verantwortlich, dass Haupt- und Ehrenamtliche über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen. 2024 werde es ein Hoch an Lehrgängen geben, kündigt Ebling an. Bis 2030 sollen die derzeit 113 Stellen für Brand- und Katastrophenschutz bei der aktuell zuständigen ADD sowie der Feuerwehr- und Katastrophenschutzakademie auf 300 aufgestockt werden.

Was kostet das?
Eine Summe nennt Ebling nicht. Der Landesfeuerwehrverband drängt darauf, das erforderliche Geld für Geräte, Ausbildung und Personal zur Verfügung zu stellen. Aus den Gesprächen mit Katastrophenschützern und Feuerwehrleuten berichtet Hachemer, dass in der Politik an manchen Stellen „eine besorgniserregende Zurückhaltung, was die Bereitschaft von Finanzmitteln angeht“, beobachtet werde.

Ist das Land allein in der Pflicht?
Ebling sieht auch die Kommunen und den Bund gefordert. Zudem brauche es einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft. „Der Zivilschutz muss in der hybriden Bedrohungslage mehr Bedeutung bekommen, um den Menschen Sicherheit zu geben“, fordert Ebling vom Bund. Und die Kommunen müssten sich fragen, ob sie gut genug vorbereitet seien, denn sie blieben die Träger des Brand- und Katastrophenschutzes. Die Neuaufstellung muss nach Ansicht des Städtetags allmählich an Fahrt aufnehmen, sagt die Geschäftsführende Direktorin Lisa Diener.

Bei aller Stärkung der Organisationen und des Katastrophenschutzes könne der Staat die Menschen in Katastrophen nie hundertprozentig schützen, betont der Innenminister. „Alle müssen einen Teil der Vorsorge selbst leisten.“ Außerdem dürften Feuerwehr- und Rettungskräfte nicht mit Bagatell-Einsätzen verschlissen werden.

Wird es auch wieder mehr Katastrophenschutz-Übungen geben?
„Die Akteure müssen regelmäßig zusammenarbeiten“, betont Ebling. Dafür sollen bis Ende dieses Jahres auch überörtliche Verbände aufgebaut werden. In den Leitstellenbereichen Koblenz, Montabaur und Bad Kreuznach gebe es bereits einen. Die Lagedienste der derzeit noch acht Integrierten Leitstellen im Land sollen personell verstärkt werden. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, die im Katastrophenschutz und Rettungsdienst mitwirkenden Hilfsorganisationen sowie die Bundeswehr sollen im künftigen Landesamt enger zusammenarbeiten. Das ist auch eine Erfahrung aus dem Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz in Bonn, in dem Rheinland-Pfalz seit April als eines der ersten Bundesländer vertreten ist.

Wie geht es mit dem Warnmix weiter, also Sirenen, Apps, Funk?
Das digitale Alarmnetz, über das die mehr als 50.000 Helfer erreicht werden können, soll 2025 stehen. Zudem gebe es ein mit 13,3 Millionen Euro ausgestattetes Sirenen-Förderprogramm und die Bundesregierung habe das sogenannte Cell Broadcasting etabliert. Über die Telefonanbieter können Warnungen auf Handys übertragen werden, ohne dass dafür eine App installiert werden muss.

Wie wird die Ausstattung mit Einsatzfahrzeugen ausgeweitet?
Ebling verspricht eine bessere Ausstattung zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Dazu gehörten etwa zwei neue Spezialboote sowie ein Zug von Booten, aus denen auf Mosel und Rhein schneller Hilfe über Wasser geleistet werden könne. Der erste Rettungshubschrauber mit Winde in Rheinland-Pfalz werde Anfang Juli in der Pfalz stationiert, zwei neue Polizeihubschrauber mit Winden folgten 2024. In allen acht Leitstellenbereichen seien schon neue Löschfahrzeuge stationiert worden.

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