Leitartikel Neue Wagenknecht-Partei: Die Projektionsfläche

An die neue Partei von Sahra Wagenknecht werden hohe Erwartungen geknüpft.
An die neue Partei von Sahra Wagenknecht werden hohe Erwartungen geknüpft.

Am Montag gründen Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter eine neue Partei. Die Gruppe ist eine Projektionsfläche für allerlei Wünsche und politische Hoffnungen.

Jetzt also wird das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zur Partei. Am Montag wird sie gegründet. Es ist übrigens die achte Neugründung von Parteien in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren, die derzeit in Landesparlamenten, im Bundestag oder im Europaparlament vertreten sind. Die Neugründungen sind Die Partei (Gründung 2004), Bürger in Wut (2004, ab 2023 Verschmelzung mit Bündnis Deutschland), WASG (2005), Die Piratenpartei Deutschland (2006), Die Linke (2007), AfD (2013), Volt (2017) und BSW (2024).

Diese Vielfalt ist ein Hinweis darauf, wie fragmentiert die politische Landschaft in Deutschland inzwischen geworden ist. Es ist keine neue Erkenntnis, aber sie trifft auch in diesem Fall zu: Die Bindekraft der traditionellen Parteien nimmt ab, vor allem im Osten, wo die emotionale Distanz zu Parteien historisch bedingt ohnehin stärker ausgeprägt ist. Die meisten Parteien haben Mühe, ihr altes Klientel zu halten – und noch größere Mühe, Angebote für neue Milieus zu entwickeln. Die einigenden Erzählungen, die einst die jeweils beiden großen politischen Lager zusammengehalten haben, haben weitgehend ausgedient. Sie entfalten kaum noch Wirkung.

Lediglich Leitplanken sind bekannt

Die Bevölkerung weiß relativ wenig über die neue Gruppe. Allenfalls sind ein paar Leitgedanken öffentlich bekannt. Plakativ sagt die Partei, sie wolle eine starke Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, die demokratische Mitbestimmung ausweiten, günstige Energie aus Russland – und weniger Flüchtlinge. Das sind lediglich Schlagworte. Aber ein ausformuliertes Grundsatzprogramm oder Programme für die Europawahl und die drei Landtagswahlen kann es naturgemäß noch nicht geben. Möglicherweise wird der erste Parteitag am 27. Januar konkretere programmatische Hinweise geben.

Obwohl also Programm und Personal noch nicht wirklich bekannt sind, gibt es hohe Erwartungen an die neue Partei. Demoskopen wollen ermittelt haben, dass das BSW aus dem Stand mit elf Prozent Wählerzustimmung rechnen kann. Noch größer ist sein Potenzial. Bei einer Umfrage gaben 27 Prozent der Wähler an, sich grundsätzlich vorstellen zu können, die neue Partei zu wählen.

Ein politisch unverbrauchtes Gesicht

Warum ist das so? Da ist zum einen die große Unzufriedenheit mit der Ampel. Weil der CDU die 16 Regierungsjahre im Bund nach wie vor in den Kleidern hängen, konnte die Union bisher nur wenig Honig saugen aus der allgemein schlechten Stimmung im Land. Der politische „Unmutsaufsauger“, wie es der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte mal formuliert hat, war bisher die AfD. In dieser Lage bietet sich jetzt die Person Sahra Wagenknecht als Projektionsfläche für allerlei Wünsche und Hoffnungen an. Wagenknecht ist ein politisch unverbrauchtes Gesicht, das ganz unterschiedliche Milieus ansprechen kann. Ihre persönliche und rhetorische Strahlkraft überdeckt programmatische Ungewissheiten. Ihre Andeutungen – sozialpolitisch links, gesellschaftspolitisch konservativ – bringt Positionen zusammen, die bisher nicht zusammenzupassen schienen. Sie heben sich allerdings ab von der politischen Konkurrenz. Auch das mag Erwartungen geweckt haben. Vielleicht schafft sie es ja, Enttäuschte aus unterschiedlichen Lagern einzusammeln.

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