Neustadt Leben auf der Straße

91-110089058.JPG
Ein Blick in die Küche der »Lichtblick«-Notwohnung in der Amalienstraße.

Ein Zuhause für jeden (2): Menschen in der Neustadter Tagesbegegnungsstätte „Lichtblick“.

„Ich hätte mir nie vorgestellt, dass mir so was passiert“, sagt die 56-jährige Caroline mit leiser Stimme. „So was“ heißt, dass die Frau drei Nächte in der Grünanlage in der Amalienstraße verbracht hat, weil sie keine andere Möglichkeit zum Übernachten hatte. Fast drei Jahre hatte die Neustadterin keine Wohnung. Vor kurzem hat sie ein Zimmer gefunden. „Das wäre ein Traum“, sagt der 39-jährige Neustadter Christian, der seit 2014 ohne Wohnung ist. Auch der 25-jährige Muhamed und der 68-jährige Dieter sind obdachlos. „Jeder normale Mensch hat eine Wohnung“, sagt Muhamed. Er und Christian verschweigen nach Möglichkeit, dass sie obdachlos sind, denn „das ist unangenehm und peinlich“, so Christian. Die beiden wissen, dass sie „Mist gebaut haben“ und auch deshalb auf der Straße gelandet sind, doch ihre jetzige Situation sei „deprimierend“. Auch im Leben von Caroline ist nicht immer alles glatt gelaufen, „ich habe aber immer eine Wohnung gehabt“. Sie hat mehrere Kinder groß gezogen, „Putzplätze“ gehabt. Aber: „Vor drei Jahren bin ich dann vor dem Nichts gestanden.“ Wegen der Folgen eines Schlaganfalls konnte die damals 53-Jährige nicht mehr putzen gehen, und die Beziehung mit ihrem Freund, in dessen Wohnung sie lebte, ging in die Brüche. Über eine Zeitungsannonce hatte sie zwar eine Wohnung gefunden, doch deren Größe entsprach nicht den Vorgaben des Jobcenters, sodass dieses nicht die Miete übernahm. Was zur Folge hatte, dass die Hartz-IV-Empfängerin auf der Straße stand. „Ich konnte außer ein paar Kleidern nichts behalten, alle meine Sachen, Erinnerungen an meine Eltern und an meine verstorbene Schwester, alles ging den Bach runter, das tut weh“, erzählt Caroline. Weh tut auch, dass ihre Kinder nichts mehr von ihr wissen wollten, „seitdem sie mitgekriegt haben, dass ich nichts mehr habe“. Caroline schlief „mal da, mal da“, wohnte einige Zeit bei einer Freundin, manchmal hätten ihr Fremde für einige Tage eine Möglichkeit zum Übernachten geboten oder Leute, die sie im „Lichtblick“ kennenlernte. 2017 ist dann das eingetreten, von dem Caroline nie gedacht hätte, „dass mir so was passiert“: Sie konnte nirgends unterkommen und musste die Nacht in der Grünanlage in der Amalienstraße verbringen. „Es war grauenvoll, ganz schlimm, ich hatte viel Angst“, sagt Caroline. Sie habe nicht richtig geschlafen, „wegen der Angst und weil es kalt war“. Drei Nächte ging das so, bis die 56-Jährige wieder eine Möglichkeit zum Übernachten fand. „Schlafen kann man nicht, vor allem nicht, wenn es kalt ist“, sagt Christian, der schon die eine oder andere Nacht im Freien verbracht hat. Er hatte eine Wohnung, lebte aber überwiegend bei seiner damaligen Freundin in Frankfurt. Er konnte die Miete für die Neustadter Wohnung nicht mehr zahlen, geriet so weit in Rückstand, dass er durch eine Räumungsklage die Wohnung verlor. Danach lebte er noch einige Zeit bei der Freundin in Frankfurt, bis die Beziehung in die Brüche ging und er wieder nach Neustadt kam. Seitdem übernachtet er bei Bekannten und Freunden, manchmal in der Notwohnung des „Lichtblicks“ und immer mal wieder im Freien. Wegen einer Verletzung am Rücken könne er nicht mehr in seinem Beruf als Gerüstbauer arbeiten, er lebe von Hartz IV. Er suche ständig nach einer Wohnung, schaue im „Lichtblick“ ins Internet und lese die Wohnungsanzeigen in der Zeitung. „Doch es gibt in Neustadt nichts, das den Vorgaben des Jobcenters entspricht“. Wenn doch einmal eine entsprechende Wohnung angeboten wird, „stehen da schon zehn, fünfzehn Leute, wenn du hinkommst“. „Es ist deprimierend“, sagt Christian. „Ich weiß manchmal nicht mehr, wie es weitergeht“. Er sei nur froh, dass „der Hans da ist“ und ihm immer wieder helfe. Hans, das ist Hans Eber-Huber, der Leiter der Tagesbegegnungsstätte. Der 68-jährige Dieter hat nicht mehr die Kraft, um nach einer Wohnung zu suchen. Über 40 Jahre habe er in der Westpfalz in der gleichen Mietwohnung gelebt. Als das Haus verkauft und ihm gekündigt wurde, ging er nach Neustadt, weil hier sein Sohn lebt. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich da so untergehe“, sagt Dieter, die Verbitterung ist nicht zu überhören. Es habe Probleme mit der Schwiegertochter gegeben, die mit seinem Vermieter gut bekannt sei. „Im Juni war dann mein ganzes Zeug draußen gestanden“, erzählt Dieter. Warum es so weit kam, will er nicht sagen. Das war im Sommer 2016. „Ich bin dann zum Ordnungsamt geschickt worden und die haben gesagt, dass ich in die Notwohnung in der Kurt-Schumacher-Straße soll“, berichtet er. Er sei dort aber nicht hin, „denn man weiß ja nicht, da kriegt man noch eins über“. Seither übernachtet der 68-Jährige, „mal hier, mal da“, immer mal wieder im Freien und öfter im Selbstbedienungsfoyer einer Bank. Schlafen könne er nur selten, „ich habe Angst, man ist es nicht gewohnt“. Wenn jemand ihn frage, was er in dem Foyer mache, „sage ich, ich warte auf den Zug“. Dem 68-Jährigen ist es peinlich, dass er keine Wohnung hat, ebenso wie es ihm peinlich war, „als mir jemand Geld geben wollte“. „Man ist das nicht gewohnt“, sagt er noch einmal unter heftigem Husten. Der 68-Jährige hat eine Lungenkrankheit. Mehrere Monate konnte er nicht zum Arzt und hatte keine Medikamente, denn seine geringe Rente – „ich habe viel nebenbei gearbeitet“ – war gestrichen worden und damit hatte er keine Krankenversicherung mehr. „Wer keine Meldeadresse hat, bekommt keine Rente“, erklärt Eber-Huber. Inzwischen hat der 68-Jährige eine Adresse beim „Lichtblick“, erhält wieder Rente, ist krankenversichert. „In meinem Alter ist das alles nicht so optimal“, meint Dieter und hustet wieder. Im Vergleich dazu geht es Muhamed noch gut. Er hat seit etwa fünf Monaten keine Wohnung mehr. Der 25-Jährige weiß, dass er einigen Mist gebaut hat und nach wie vor sein Leben nicht richtig auf die Reihe kriegt. Weil der Hartz-IV-Empfänger mehrfach Ärger mit dem Jobcenter hatte, wurde die Miete für seine Wohnung nicht mehr gezahlt, und dem 25-Jährigen wurde gekündigt. Jetzt schläft er abwechselnd bei drei Freunden. „Die schmeißen mich nicht ’raus, wir haben zusammen schon einiges durchgemacht“, sagt Muhamed. Bei einem der Freunde hat er seine Sachen untergestellt. Gelegentlich darf er bei seiner Ex-Freundin übernachten, und zur Not kann er zu seiner Schwester, die in der Nähe von Frankfurt wohnt. „Man fühlt sich nicht als richtiger Mann, wenn man auf andere angewiesen ist. Ich schäme mich“, sagt Muhamed. Die Serie In Teil 3 lesen Sie, wie Frauen, die im Neustadter Frauenhaus untergekommen sind, den Wohnungsmarkt erleben. Bislang erschienen: „Keine schnelle Hilfe in Sicht“ am 19. Mai.

91-110089059.JPG
Über eine Außentreppe geht es in die »Lichtblick«-Wohnung.
x