Ludwigshafen Zwischen Hoffen und Bangen

Patenmodell in Mundenheim

Mundenheim mit seinen rund 12.000 Einwohnern ist ein Stadtteil, der besonders betroffen ist von der wachsenden Flüchtlingszahl. In den nächsten zwei Jahren werden dort laut Ortsvorsteherin Anke Simon (SPD) etwa 700 Zuwanderer untergebracht. Die Landtagsabgeordnete sieht’s pragmatisch. „Wir müssen das anpacken. Und wir können das eigentlich auch.“ Eigentlich. Leider habe es die Bundesregierung versäumt, die notwendigen Strukturen zu schaffen, um den Zustrom zu bewältigen. Leidtragende seien Länder und Kommunen, beklagt die 52-Jährige. Längst hätte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr Personal für die Bearbeitung der Asylanträge einstellen müssen. Und die Kriterien für die Verteilung der Flüchtlinge nach dem „Königsteiner Schlüssel“ (Steueraufkommen, Bevölkerungszahl) müssten durch weitere ergänzt werden, um finanziell überforderte Oberzentren wie Ludwigshafen zu entlasten. In Mundenheim will Simon die Integration der Flüchtlinge mit einem Patenmodell vereinfachen. Beim nächsten Runden Tisch Ende September/Anfang Oktober soll der Stein ins Rollen gebracht werden. Die Idee dahinter: Bürger sollen Asylsuchende im Alltag betreuen – etwa beim Einkauf oder bei Behördengängen. Ferner sucht Simon Räume für eine zweite Anlaufstelle für Flüchtlinge neben dem Café Asyl, in dem wöchentlich rund 100 Zuwanderer zu Gast sind. (ier) Agentur plant Arbeitgeberbörse Die Bilder verzweifelter Flüchtlingsfamilien in Ungarn lassen Beatrix Schnitzius (61), Geschäftsführerin der Ludwigshafener Arbeitsagentur, CDU-Stadtrat Heinrich Jöckel und seinen Parteikollegen Clemens Körner (56), Landrat des Rhein-Pfalz-Kreises, nicht kalt. Jöckel weist die Aussage des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán zurück, die Flüchtlingskrise sei ein deutsches Problem. „Das ist eine große europäische Aufgabe“, stimmt ihm Körner zu. Er fordert, über den Verteilungsschlüssel im Land nachzudenken, weil dieser Ballungsräume wie die Metropolregion Rhein-Neckar besonders belaste und neuer Wohnraum hier am teuersten sei. Außerdem fordert Körner, dass die Rückführung der abgelehnten Asylbewerber, etwa vom Westbalkan, nicht länger an den Kommunen hängenbleiben dürfe, sondern zentralisiert werden müsse. Schnitzius fordert „konsequente Regelungen“. Auf eine Frage von Uwe Lieser vom Mundenheimer Café Asyl, welche Programme die Arbeitsagentur für Flüchtlinge habe, antwortet Schnitzius: „Wir verfolgen eine Politik der kleinen Schritte.“ In jedem Team gebe es einen Beauftragten Asyl. „Zum Glück haben wir in Ludwigshafen ein ganz enormes Netzwerk.“ Im Modellprojekt „Early Intervention: Jeder Mensch hat Potenzial“ zur Integration von Asylbewerbern werden laut Schnitzius derzeit 80 Flüchtlinge betreut, davon 28 mit Hochschulabschluss. Sie weiß, dass manche Firmen vergeblich nach Fachkräften suchen und plant eine Arbeitgeberbörse für Asylbewerber. „Dabei können Arbeitgeber dann beweisen, wie groß ihr Interesse an weiteren Arbeitskräften ist.“ Unterstützung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise könnte auch die Kreisverwaltung gebrauchen. Körner baut darauf, dass der Kreisausschuss am Montag ein entsprechendes Personalkonzept beschließt. Aber die dringend benötigten Zusatzkräfte seien derzeit schwer zu bekommen. (evo) „Jeder Mensch hat ein Potenzial“ Engelbert Apelt ist Regionalkoordinator für Integration beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Gestern war er zu Besuch in Ludwigshafen und traf sich mit Mitarbeitern der Agentur für Arbeit sowie mit Verantwortlichen aus dem Rhein-Pfalz-Kreis. „Es ging darum“, sagt der 58-Jährige, „Asylbewerber frühzeitig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen.“ Das Projekt „Jeder Mensch hat ein Potenzial“ läuft in neun Regionen Deutschlands. Ludwigshafen, der Landkreis sowie Frankenthal und Speyer gehören dazu. Apelt: „Wir versuchen, Menschen, die bereits einen Aufenthaltstitel haben, in Zusammenarbeit mit den Verwaltungen schneller zu integrieren.“ Ein weiteres Ziel sei, die Anzahl der Aufnahme-Einrichtungen zu vergrößern. Denn je mehr es gebe, desto schneller könne über das Bleiberecht entschieden werden, „und dann können wir den Kommunen sagen: Die Leute, die hier sind, können bleiben“. Bei seiner Behörde mit Sitz in Nürnberg gebe es 1000 neue Stellen. Mit Apelt am Tisch sitzen Pfarrer Stefan Bauer von der protestantischen Apostelkirche im Hemshof und der Speyerer Altdekan Friedhelm Jakob, der in Edigheim lebt. Sie sind besorgt. Materielle Hilfe, wie sie auch Kirchen anböten, sei sicherlich notwendig, sagen sie. Doch die Menschen bräuchten auch andere Unterstützung während ihrer Asylverfahren. „Kontinuierliche Begleitung bei Behördengängen, Vertrauen aufbauen – das wird kaum in dem Maße zu leisten sein, wie der Bedarf wächst“, befürchtet Bauer. Deshalb müsse sich die Gesellschaft als Anwalt dieser Menschen verstehen. Ein Ansatz, den auch Hannele Jalonen, Integrationsbeauftragte der Stadt, voll unterstützt. (ptr) Bibel als Vorbild nehmen „Unser Spendentelefon im Café Asyl läuft schon heiß“, berichtet Pfarrerin Birgit Kiefer (54) und freut sich über die große Hilfsbereitschaft. Wie Kollegin Barbara Schipper, seit August Pfarrerin in Süd, und Josef Steiger, Pfarrer der Gartenstadt, sieht sich Kiefer gerade als Christin in der Pflicht, Menschen in Not zu helfen. „Die Bibel ist doch auch eine Geschichte voller Flucht“, verweist sie auf die Anfänge des Juden- und Christentums. Da ärgert es Steiger besonders, dass die ungarische Regierung die christliche Religion vorschiebe, um gegen die Flüchtlinge zu schießen. „Solange eine Unterscheidung nach Religionen gemacht wird, ist man unchristlich“, meint er. Um das Thema auch in die Gartenstadt zu tragen, in der momentan noch keine Asylsuchenden untergebracht seien, nehme er die Flüchtlinge in jeder Messe in einer Fürbitte auf. So macht es auch Schipper: „Ich spreche das Thema in meinen Predigten an.“ Doch die Kirchenleute predigen nicht nur, sie handeln auch: Kiefer engagiert sich im Café Asyl, das von der Kirchengemeinde betrieben wird, Schipper und Steiger helfen, vermitteln und koordinieren dort, wo Hilfe nötig ist. Leider seien die Anlaufstellen in den Stadtteilen noch nicht optimal vernetzt, meint Schipper. „Wir brauchen eine Stelle in der Stadt, wo alle Angebote zu ehrenamtlicher Unterstützung und Sachspenden zusammenlaufen“, sagt sie. (gpl) Arbeit, Auto, Wohnung Brigitte Eckhardt von der Hilfsorganisation „Respekt: Menschen!“ berichtet von einer Familie aus Mazedonien. Der Vater dürfe einen Beruf ausüben. Tatsächlich habe der Mann – er spreche nach anderthalb Jahren gut Deutsch – in Germersheim einen Job gefunden. Aber mit dem Zug wäre er morgens nicht pünktlich am Arbeitsplatz gewesen. „Doch weil er einen Führerschein hat, mussten wir uns nur um ein Auto kümmern“, erzählt die Oppauerin. „Zunächst mussten wir die Fahrten für ihn individuell organisieren.“ Inzwischen habe er ein gebrauchtes Fahrzeug geschenkt bekommen. „Was ein Glück!“, sagt die ehemalige Erzieherin. „Und stellen Sie sich vor: Die dreiköpfige Familie (zu der eine sechsjährige Tochter gehört) konnte ihre 13-Quadratmeter-Unterkunft im Heim verlassen, denn wir haben eine 80 Quadratmeter große Wohnung für sie gefunden.“ Am 1. September war der Umzug. (ptr) Lob für BASF und GAG Die geplante Notunterkunft für 200 Flüchtlinge auf dem Messplatz in Mitte, die bald stehen soll, ist Sabine Gerassimatos (52) zufolge eine Mammutaufgabe für die Stadt. Die Nachricht, dass nun vorerst auch die Zelte der Stadtranderholung an der Blies für die Unterbringung von Flüchtlingen stehenbleiben sollen (siehe „Zur Sache“), hat die linke Stadträtin gestern ebenso überrascht wie alle anderen Gäste. Sie wehrt sich gegen eine Aufteilung der Asylbewerber in „gute und schlechte Flüchtlinge“. Letzteres Attribut gelte derzeit vor allem für Ankömmlinge vom Westbalkan, die nach Ansicht vieler möglichst umgehend wieder abgeschoben werden sollten, weil ihr Asylantrag kaum Aussicht auf Erfolg hat. Gerassimatos beklagt die mangelhafte Aufklärung über die Situation dieser Menschen in ihren Herkunftsländern. Lobenswert findet die 52-Jährige, die in Süd lebt, das finanzielle Engagement der BASF mit Blick auf Deutschkurse für Flüchtlinge. Auch dass die Immobiliengesellschaft GAG verkündet hat, neue Wohnungen in Süd und in der Gartenstadt zu bauen, begrüßt sie. Aber: „Die Bundesregierung müsste mit Blick auf die Flüchtlinge viel mehr machen, es wird zu viel auf das Ehrenamt abgeschoben“, wünscht sich Gerassimatos mehr Hilfe aus Berlin. (evo)

x