Ludwigshafen „Diese Querelen schaden unheimlich“

Ohne Punkt und Komma hat Gregor Gysi (67) am Donnerstagabend 57 Minuten lang im proppenvollen Kulturzentrum Das Haus zum Ausdruck gebracht, was er von der schwarz-roten Regierungspolitik und dem „neoliberalen EU-Kurs“ hält: gar nichts. Danach haben wir mit dem Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag gesprochen.

Herr Gysi, Sie waren über zwei Stunden zu spät dran. Was war los?

Der Flieger hatte Verspätung, und auf der Autobahn von Frankfurt hierher gab es einen riesigen Stau. Damit hätten wir einen Tag vorm 1. Mai rechnen müssen. Fürs Flugzeug kann ich nichts. Das musste noch einige Warteschleifen drehen, bevor es landen durfte. Tut mir sehr leid. Mir auch. Auf ihrer Hauptversammlung hat die BASF am Morgen einen Quartalsumsatz von 20 Milliarden Euro präsentiert. Die Stadt Ludwigshafen hat gut 1,3 Milliarden Schulden. Was sagen Ihnen diese Zahlen? Dass es Widersprüche gibt, die wir endlich auflösen müssen. Inwiefern? Es kann nicht sein, dass die Kommunen am schlechtesten finanziert werden. Das liegt daran, dass es im Bundestag eine Interessenvertretung der Parteien und im Bundesrat eine der Länder gibt – nur die Kommunen kommen nicht vor. Werden dort Kompromisse geschlossen, gehen die häufig zulasten der Städte und Gemeinden. Deshalb müssen Bürgermeister von CSU, CDU, SPD, Grünen und Linken endlich lernen, gemeinsam zu agieren, um eine andere Finanzstruktur zugunsten der Kommunen zu erreichen. Dort arbeiten und leben die Menschen. Und es kommt noch etwas hinzu. Was denn? Erst gehen Kompetenzen nach Europa, dann holt sich der Bund Kompetenzen vom Land, und das Land holt sie sich von der Kommune – an der bleiben die unangenehmen Dinge dann hängen. Wenn Bund oder Länder Gesetze beschließen, die Kommunen Geld kosten, ist ja noch nicht mal geregelt, dass sie verpflichtet sind, Kommunen diese Mittel zur Verfügung zu stellen. In der Landesverfassung von Sachsen ist das jetzt erstmals geregelt worden. Sonst steht das in keiner Verfassung drin. Auch das muss geändert werden. Kurzfristig hilft das einer Stadt wie Ludwigshafen nicht weiter. Das stimmt. Kurzfristig hilft nur, dass der Bund eine andere Verteilung vornimmt und sich Länder wie Rheinland-Pfalz dafür auch beim Bund engagieren. Die Verantwortlichen sitzen doch ständig zusammen. Die könnten doch mal genau die Stellung der Kommunen in der Gesellschaft ernsthaft erörtern. Ich erlebe doch, wie Kultureinrichtungen oder Bäder geschlossen werden, und die da oben geben noch und nöcher Geld für Banken aus. Zur Linken in Rheinland-Pfalz: Deren Vorsitzender Alexander Ulrich ist intern umstritten, der Vorwahlkampf davon überschattet. Von Lug, Betrug und einem „System Ulrich“ ist die Rede. Was sagen Sie dazu? Da will ich mich mal nicht einmischen, weil ich das nicht beurteilen kann. Ich sage dem Landesverband nur eins: Diese ganzen inneren Querelen schaden unheimlich. Man geht in eine Partei, um in der Gesellschaft etwas zu verändern. Das müssen die Leute spüren. Wenn sie mal den Eindruck haben, es wird zu viel Zeit mit inneren Auseinandersetzungen verplempert, dann verlieren sie das Vertrauen zu uns. Das können wir uns gar nicht leisten. Steht denn die Bundespartei ohne Wenn und Aber hinter Ulrich? Ohne Wenn und Aber gibt es in meiner Partei schon gar nicht – bei niemandem (lacht). Aber natürlich unterstützen wir immer die gewählte Landesleitung. Völlig klar. Das Motto des Abends hieß „Rheinland-Pfalz geht besser“. Wie denn? Indem man bei den Wahlen in zehn Monaten eine weitere Oppositionskraft in den Landtag bekommt. Das halte ich für wichtig. Wenn die Linkspartei dort einzöge, wäre das eine Bereicherung. Ich finde, der Bundestag hat durch uns nicht verloren, sondern gewonnen, weil es Fragen gibt, zu denen nur wir alternative Antworten anbieten. Wie zum Beispiel? Bei der Rente ab 67 – alle anderen Fraktionen waren dafür, 70 Prozent der Bevölkerung dagegen. Ohne uns hätte es nicht mal ein einziges Argument dagegen gegeben. Das gilt auch für die falsche Eurorettung oder Kriege wie in Jugoslawien oder Afghanistan, da standen nur wir dagegen. Ich glaube, dass das wichtig war und auch die Medien gelernt haben, das zu schätzen. Es ist gut, dass es eine Kraft gibt, egal ob man ihr folgt oder nicht, die Argumente dagegen vorträgt. Das hätte Rheinland-Pfalz auch verdient (lacht). Wie schätzen Sie die Chancen ein? Das fragen Sie mich nächstes Jahr noch mal. Die Stimmung ändert sich heutzutage viel schneller als früher. Stammwählerschaften sind eine Rarität geworden. Wie Querdenker in der Politik. Sie sind 67. Was haben Sie noch vor? Kanzler werden Sie nicht mehr … (lacht) Wieso? Wie alt war denn Adenauer, als er Kanzler wurde? 73. Sehen Sie (lacht). Aber im Ernst: Um Kanzler zu werden, hätte ich in einer anderen Partei sein müssen. Ans Aufhören denken Sie aber nicht? Ich habe noch viel vor, aber auch beschlossen, das Alter zu genießen. Wenn du in meinem Alter bist, kann es vorkommen, dass dir ein junger Mann anbietet, die Tasche zu tragen. Die meisten reagieren dann so wie ich und sagen: Na nun wer’n Se mal nicht komisch, das kann ich noch alleine. Das ist ein großer Fehler. Warum? Weil man sagen muss: Selbstverständlich dürfen Sie die Tasche tragen, und da steht noch ein Koffer. Das heißt, man muss die Privilegien des Alters annehmen. Das ist mein erster Entschluss. Zweitens brauche ich mehr Zeit für meine Kinder. Aber keine Sorge. Ich bin und bleibe ein politischer Mensch. Anders kann ich mir Gregor Gysi nicht vorstellen.

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