Kaiserslautern Lust, Leichtigkeit und Lebensleid

Die Pfalzgalerie feiert ein Jubiläum und jubiliert. Denn eine Idee wurde zum Selbstläufer. Am Sonntagvormittag zum 100. Mal. Nicht alle Interessenten schafften es dabei sein zu können. Die Rede ist vom 100. Kunst(früh)stück mit dem sowohl pragmatischen wie mehrdeutigen Titel „Jahrhundertwende“.

Kunst(früh)stück – oder das Kunststück, hehre Kunst mit kulinarischen Freuden zu toppen oder zuerst den Kopf mit Kunstgenuss zu sättigen, dann den leeren Magen zu befrühstücken. Wie auch immer sich das Kunstwort Kunst(früh)stück auseinander dividieren ließe – es passt als Wortspiel ebenso wie thematisch. Und so kam es, dass das 100. kaum enden wollte, so sehr begeisterte, was Annette Reich, Initiatorin, Organisatorin und Kuratorin der Reihe, mit historischen Kandidaten der Jahrhundertwende um 1900 vorführte, vorgetragen von leibhaftigen Kreativen eines „Zentenniums“ eben jener Museumsfrühstücke. Namentlich kamen da etwa aus dem Musikbereich Johann Strauss (Sohn), Gustav Mahler oder Claude Debussy ins Museum. Die bildende Kunst vertraten Max Schödl und Max von Schmädel, und das Lebensgefühl jener Belle Époque ließ sich an Mode mit blumigem Schleier aus Seide und Gehrock zu gestreiften Hosen ablesen. Die Kompetenz, dies ins Heute beziehungsweise ins große, sonntäglich repräsentative Oberlichtzimmer des Nordflügels zu bringen und damit die Veranstaltungszahl 100 zu vollenden, besaßen – neben Reich – das „Quartetto Polatino“ mit Mari Kitamoto und Ekaterina Romantchouk (Violine), Johannes Pardall (Viola und Rezitation) und Caroline Busser (Violoncello), Herren-Gewandtmeisterin Brigitte Fiedler, Jasmin Becker und Jörg Schneider (die beiden gestisch und choreographisch wie aus einem Schaufenster entsprungenen, perfekt agierenden Models) sowie die Unsichtbaren, jene kreativen Geister des Hauses, die einmal mehr lange Tafeln einladend einzudecken und die Gäste daran zu bedienen wussten. In diesem Begegnen von Musik, Malerei, Mode, Menü und Menschen steckt alles, was als Urbedürfnis nach Natur und Kultur gilt. Und noch mehr. So wie hier angeboten, kristallisiert sich eine gefilterte Ästhetik, die Seelen füttern kann. Beispielsweise mit Lebensfreude gleich zu Beginn des Kunst(früh)stücks. Die vier Orchestermitglieder des Pfalztheaters ließen mit Strauss’ prickelnd schmissig gespielter „Pizziacato Polka“ Lust und Leichtigkeit erklingen, die für die Belle Époque stehen. Allerdings nicht nur. Mahler folgte und damit Lebensleid. Sogar Strauss’ Kaiserwalzer schlich dahin. Und erinnerte Fiedler an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und somit ans Ende jener Belle Époque. Jedoch nicht nur. Mit ihren Notizen modischer Eskapaden der Mittel- und Oberschicht sorgte sie für Heiterkeit, beispielsweise anhand männlicher Unterwäscheexemplare. Oder für Träumereien, beispielsweise anhand Ober- und Unterröcke, Schleier und Stoffblüten aus purer Seide. Sie gab einen gesellschaftspolitischen Einblick in jene Jahre, die nach 1870/1871 ungewohnt lange kriegsfrei blieben, mit technischen Erfindungen den Alltag erleichterten und somit Raum für Lebensgefühl und damit verbunden Aufschwung in Industrie und Kultur ermöglichten. Als Beispiele in der Kunst wählte Annette Reich aus dem Bestand Schödls (1834 bis 1921) Stillleben sowie Schmaedels (1856 bis 1939) „Sein Alles“ und zog auch hier einen Spannungsbogen, der ebenso konkret wie allegorisch Licht und Dunkel, Mythologie und Realismus, Lebenslust und Todessehnsucht erfasste. Am Ende warteten dampfende Töpfe im Foyer und weckten lecker kulinarisch überaus redselige Lebensgeister.

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