Kaiserslautern Lieder von Liebe und Liebesleid

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Es ist mittlerweile schon eine Tradition geworden: Jedes Jahr im Herbst bringen der Carus-Verlag und Reclam eine neue Liederedition heraus. Wiegenlieder, Kinderlieder, Volkslieder, Weihnachtslieder. Und in diesem Jahr: Liebeslieder. Wieder einmal ein wunderbares Projekt.

Hier sind Überzeugungstäter am Werk. Überzeugt von der Magie des Gesangs. Angetrieben von der Sehnsucht, einen verlorenen, vergessenen Kontinent wiederzuentdecken. Hausmusik, Familien, die zusammen singen. Weihnachtslieder, Wiegenlieder, Volkslieder. Liebeslieder. Und vor allem Kinderlieder. Eines schöner als das andere. Es gab Zeiten, da wurde in den Haushalten noch zusammen gesungen. Heute geht man ins Fußballstadion, vielleicht auch in die Kirche, um sich seiner Singstimme zu erinnern. Also, um daran erinnert zu werden, dass man eine hat. Sofern man nicht aktiv in einem der vielen Laienchöre dieses Landes ist. Denn diese Szene gibt es glücklicherweise eben auch. Wirkt auf den ersten Blick alles ziemlich gestrig. Klingt denn auch stark nach 19. Jahrhundert. Manchmal vielleicht sogar ein bisschen deutschtümelnd. In Form von gesungener Heimatliebe. Aber den Liederprojekten geht es nicht um den in Vereinen und Chören organisierten und verwalteten Gesang. Vielmehr um die Stimme im Hausgebrauch. Am Bett des Kindes. Unter dem Weihnachtsbaum. Beim Wandern. Gelegenheiten gibt es viele. Gerne auch unter der Dusche. Das Lieder-Projekt animiert zum Mitsingen. Früher eine Selbstverständlichkeit, heute für viele Kinder leider absolutes Neuland geworden. Gesungen wird allenfalls noch in Schule und Kindergarten. Seit dem Start des Liederprojekts 2011 war dies die Sorge, welche die Macher um- und antrieb. Dass Kinder irgendwann in einer Welt ohne Musik, ohne Gesang aufwachsen könnten. Mit dem beim Verkauf der CDs und Bücher erzielten Gewinn werden deutschlandweit Projekte gefördert, in denen Kinder zum Singen angeleitet werden. Fast eine halbe Million Euro ist seit 2011 geflossen. Die jüngste Anthologie präsentiert Liebeslieder aus unterschiedlichen Epochen, vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart, von Henry Purcells „Sweeter than roses“ bis Freddy Mercurys „Crazy little thing called love“. Der mitproduzierende Südwestrundfunk hat dabei in seinen Archiven geforscht, und so findet sich unter den Interpreten auch beispielsweise Fritz Wunderlich, der begleitet von Hubert Gießen zwei Schumann-Lieder singt. Zwei Kunstlieder „Hör’ ich das Liedchen klingen“ und „Ich grolle nicht“ aus Schumanns „Dichterliebe“ opus 48 –, interpretiert von einem der größten Liedsänger aller Zeiten. Das Mitsingen kann dann zwar schon ziemlich frustrierend werden, ist aber zugleich ein Leitstern, an dem man sich aufrichten kann. Und der Anteil an Volksliedern ist in dem Projekt ja auch mindestens genauso hoch wie der an Kunstliedern. Da fällt es leichter, mitzuhalten. Poesie und Liebe sind ja so etwas wie eine unendliche Geschichte. Seit der Mensch zu schreiben begann, ging es um Liebe. Und daran ändert natürlich auch die Musik nichts. Die großen Kunstlied-Zyklen handeln von enttäuschter Liebe, allen voran Franz Schuberts „Müllerin“ und seine „Winterreise“. Von Schubert findet sich das berühmte „Gretchen am Spinnrad“ in der Sammlung, weitere Vertreter des Kunstlieds sind Johannes Brahms, Gustav Mahler und Max Reger. Zu den Interpreten zählen der Tenor Christoph Pregardien oder auch die Sopranistin Anja Harteros. Und das früher Claudio Monteverdi zugeschriebene „Pur ti miro“ von Benedetto Ferrari wird mit Nuria Rial und Philippe Jaroussky von zwei ganz außergewöhnlichen Spezialisten für Alte Musik interpretiert. Das hauseigene SWR-Vokalensemble kommt ebenso zum Einsatz wie etwa auch der Kammerchor Stuttgart unter Frieder Bernius. Die meisten Lieder stammen aus dem deutschen und englischen Sprachraum, aber auch Frankreich und Italien sind vertreten. Die Liebe sozusagen als grenzenlose Angelegenheit. Und in den Volksliedern zugleich in durchaus kindgerechter, naiv-harmloser Aufarbeitung. Immer wieder begegnen einem aber auch Bilder und Motive wie das von den beiden Augen, mit denen die Frau den Mann, der sie vergöttert, regelrecht verletzt, jedenfalls komplett aus der Bahn geworfen hat. So etwa in dem Volkslied „Wenn alle Brunnen fließen“, aber auch in Mahlers „Die zwei blauen Augen“. Es ist ein Ringen um Aufmerksamkeit, ein Flehen um Liebe, das in allerbester Minnesang-Tradition unerwidert bleibt. Die beste Liebeslyrik ist dann doch immer noch die des unglücklich Verliebten. Schmachten seit Jahrhunderten. Zu den beiden CDs ist dann auch wieder ein Liederbuch inklusive einer Mitsing-CD erschienen. Illustriert ist dieser aufwendig gestaltete Band mit einzelnen Szenen aus Gemälden des Wiener Jahrhundertwende-Künstlers Gustav Klimt. Das können Berühmtheiten wie der „Kuss“ sein, aber auch Zeichnungen, die man weniger kennt. Die Lieder sind dort einstimmig notiert, also nur mit der Melodiestimme. Die Gedichte in Fremdsprachen werden übersetzt. Die beiliegende CD bietet nur den Instrumentalpart – die menschliche Stimme muss man selbst ergänzen. Am besten zusammen mit Kindern. Nils berichtet Lesezeichen —Liebeslieder, Volume eins und zwei, Carus-Verlag, SWR. —Liebeslieder, Liederbuch mit Mitsing-CD, Carus/Reclam.

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