Kaiserslautern Die Legende lebt – wieder

Zweieinhalb Jahre und drei Festivalausgaben ist es her, dass der Gründer und Spiritus Rector des weltberühmten Jazzfestivals in Montreux, Claude Nobs, mit 76 Jahren gestorben ist. Sein „Kind“, die legendäre Konzertreihe, geriet danach ins Trudeln. Doch bereits mit der dritten Ausgabe nach seinem Ableben erreicht sie beinahe wieder alte Höhen. Und man darf mit Recht schon jetzt gespannt sein auf die große Jubiläumsausgabe 2016. Der diesjährige Konzertmarathon endete am Wochenende mit einem letzten Feuerwerk von Musikprominenz verschiedenster Genres.

Zunächst einmal ist natürlich die Stardichte Indikator für den Rang und die Akzeptanz des Festivals bei Künstlern wie beim Publikum. Und da hatte es diese 49. Ausgabe bereits schon wieder in sich: War vor allem im vergangenen Jahr noch manche Durststrecke zu überwinden und fanden sich nicht allzu viele Topgruppen eher ökonomisch über die Festival-Abende verteilt, so gaben sie sich diesmal wieder die Klinke in die Hand – und das wieder häufig an einem Abend. Jazzlegenden wie Herbie Hancock und Al Jarreau trafen auf Rocklegenden wie Toto oder Carlos Santana (letzterer nach Jahren der Abstinenz mal wieder am Genfer See), trafen auf aktuelle Stars wie Lenny Kravitz oder Lady Gaga (die mit Tony Bennett astrein swingte), trafen auf angesagte Newcomer wie den 25-jährigen Londoner Soulsänger Kwabs oder die südafrikanischen Rapper von Die Antwoord. An vielen Abenden begrüßte Produzenten-Urgestein Quincy Jones als Conférencier seine Gäste, womit er die Rolle des verstorbenen Nobs übernahm und dem Festival nun wieder einen Rahmen gab. Das letzte Konzertwochenende war nochmals ein gutes Beispiel für diese Vielfalt auf hohem Niveau: Auf der größten Konzertbühne, dem mit 3500 Plätzen immer noch vergleichsweise kleinen Auditorium Strawinsky, kamen die Tastengötter Herbie Hancock und Chick Corea zum kammermusikalischen Doppel zusammen. Ihre Höhenflüge zu vier Händen führten vom Klassiker („Cantaloup Island“) zur impressionistischen bis avantgardistischen, intensiven Interaktion. Da mochte man ihnen die Ausflüge Marke „Alte-Herren-entdecken-den-Synthesizer“ gerne nachsehen. Tags drauf bot die französische Sängerin Isabelle Geffroy, besser bekannt als Zaz, mit Wahnsinnsstimme und Energie ohne Ende ihrer druckvollen Beinahe-Bigband in jedem Moment ihres Auftritts Paroli. Mit ihrer swingenden, groovenden und vor allem phantasievollen Hommage an Paris von der aktuellen, gleichnamigen CD-Produktion stellte Zaz ihre US-Kollegin Melody Gardot, die am Vorabend ebenfalls mit großer Besetzung, aber nicht halb so viel Spielfreude aufgelaufen war, nochmals um Längen in den Schatten. Die Abteilung „Entdeckungen“ repräsentierte in den letzten Festivaltagen vor allem der junge Londoner Multiinstrumentalist und Soloperformer Jacob Collier. Beim Spiel mit sich selbst und mit Hilfe massiven Elektronik-Einsatzes multiplizierte sich der wie ein Irrwisch zwischen seinen Instrumentenbergen umherwuselnde Newcomer bis zum orchestralen Sound. Er warf jedoch einmal mehr die Frage nach vorgefertigten Einspielungen im Livekonzert auf – das überwältigende Klangerlebnis ließ solche Gedanken jedoch in den Hintergrund rücken. Ausgelassene Partystimmung prägte den allerletzten Festivalabend mit der umwerfenden niederländischen Stimmungskanone Caro Emerald, dem Altmeister George Benson mit all seinen 80er-Jahre-Soul-Hits und einem hochvirtuosen Gedächtniskonzert für den 2014 verstorbenen Paco de Lucia. Besser geht’s kaum. Und so durfte sich Festivalchef Mathieu Jaton zurecht entspannt geben bei der Abschluss-Pressekonferenz in der Beletage des Konzertzentrums hoch über dem Genfer See. Er fühle sich „einfach nur gut“, bekannte der 39-jährige Nobs-Nachfolger gelöst und glücklich zugleich. „Es hat alles traumhaft gepasst, von den Künstlern über das Publikum bis zum Wetter“, bilanzierte Jeton. Nach dem Minus des vergangenen Jahres können der gelernte Hotelfachwirt und sein vielköpfiges Leitungsteam nun eine ausgeglichene Bilanz vorlegen. Rund 240.000 Besucher (Vorjahr: 210.000) hatte das Festival an 16 Tagen auf die Festivalmeile am Seeufer, zu den vielen kleineren Gratisbühnen, in die zahlreichen Workshops und zu den Wettbewerben gelockt. 92.000 Karten (Vorjahr: 83.000) konnten für die 48 Bezahlkonzerte auf den drei Hauptbühnen verkauft werden. Und das, obwohl für die vielen Nicht-Schweizer Besucher die Kosten wegen des gegenüber dem Franken abgewerteten Euro um rund 20 Prozent gestiegen waren. Das Flaggschiff der weltweiten Musikfestivalszene hat also wieder deutlich Fahrt aufgenommen – mit Kurs auf seinen 50. Geburtstag. Und so lebt auch die Legende Claude Nobs weiter, nicht nur in seinem Chalet hoch über dem See, zu dem die Künstler in diesem Jahr wieder in Scharen pilgerten, um neben der Aussicht das umfangreiche Musikarchiv zu entdecken. Wenn Nobs das noch erlebt hätte...

x