Kaiserslautern Die Kunst des Überlebens

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Catherine Meurisse war die erste Frau, die für das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ arbeitete. Dem Anschlag auf die Redaktion vor zwei Jahren entging sie durch Zufall. Sie war fortan eine Überlebende, die nicht wusste, wie sie weiterleben sollte. Jetzt hat sie diese Zeit in einer Comic-Erzählung verarbeitet.

Es ist der Tag vor dem 7. Januar 2015. Catherine Meurisse findet nicht viel Ruhe, ihr Geliebter, ein Familienvater, hat sich gerade von ihr getrennt. Am nächsten Morgen verschläft sie, kommt zu spät für das wöchentliche Treffen in der Pariser Redaktion von „Charlie Hebdo“. Vor ihr waren schon die Brüder Kouachi da – und damit das Unheil. Die islamistischen Terroristen richten ein Blutbad an. Meurisse entgeht dem, zehn ihrer Kollegen sterben. Ein Glück für die damals 34-Jährige, möchte man meinen. Doch für die Zeichnerin beginnt eine bedrückende Zeit. Durch das Geschehen verliert sie für Monate sowohl ihre Erinnerung als auch die Fähigkeit zu geordnetem Denken. An der „Überlebenden“-Nummer, der nächsten und weltweit beachteten Ausgabe des Heftes nach dem 7. Januar, kann sie noch mitarbeiten. Dann geht nichts mehr. Meurisse versucht verzweifelt, die „unverzichtbare Leichtigkeit des Seins“, wie sie selbst es nennt, wiederzuerlangen. „Die Leichtigkeit“ heißt folglich ihr Comic, der eindrucksvoll davon berichtet. Die Französin kam 2001 im Alter von 21 Jahren zu „Charlie Hebdo“ und wurde 2005 Redaktionsmitglied in der für ihre scharfe Satire bekannten französischen Wochenzeitschrift. Sie habe sich aber immer mehr als Zeichnerin denn als politische Journalistin verstanden, sagte sie in einem Interview. Sie beschäftigt sich vorwiegend mit kulturellen Themen. Die Hinwendung zur Kunst wird sie schließlich auch von ihrem Schock erlösen. „Charlie“-Zeichner Luz war der Erste der „Überlebenden“, der das Trauma des Attentats in Comicform verarbeitete. Während sein „Katharsis“, erschienen schon vor einem Jahr, eher bebildertes Tagebuch in Sketchform ist, erzählt Meurisse eine richtige Geschichte – in kurzen Episoden und skizzenhaftem Stil zwar, dennoch als zusammenhängende Handlung. Alpträume, Paranoia und Verstörung, für die sich schwer Worten finden, kann sie dabei in eindringliche Zeichnungen packen. Auch der gallige Humor von „Charlie Hebdo“ scheint gelegentlich auf. Meurisse zeigt etwa eine Szene, in der sie angestellt wird und jubelt: „Pressezeichnerin, endlich habe ich einen Beruf!“ In den Panels daneben stellt sie sich vor, wie gleichzeitig die jungen Brüder Kouachi ihren Arbeitsvertrag erhalten: „Pressezeichnermörder, endlich haben wir einen Beruf!“ Damit ihr solche Zeichnungen nach dem „Tsunami politischer Gewalt“ wieder leicht von der Hand gehen, ist ein heilsamer Schock vonnöten. Den hofft Catherine Meurisse durch die Kunst zu erfahren. Sie reist nach Italien, auf Stendhals Spuren. Der Schriftsteller soll 1813 dort angeblich eine Ohnmacht durch die Flut von Schönheit erlebt haben. Das gelingt der Zeichnerin nicht ganz. Zunächst sieht sie antike Statuen ohne Gliedmaßen noch als Darstellungen der Körper von Anschlagsopfern. Doch das Wahre und Schöne ist am Ende tatsächlich heilsam, so viel darf verraten werden. Catherine Meurisse hat „Charlie Hebdo“ inzwischen verlassen, bleibt der Kunst aber treu. Sie will sich ganz den Comics widmen. Gut so. Lesezeichen Catherine Meurisse: „Die Leichtigkeit“; Carlsen Verlag; 144 Seiten; 19,99 Euro.

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