Kaiserslautern Der unbeirrbare Technokrat des Komischen

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Am Montag sind es 50 Jahre, dass er gestorben ist. Den Zenit seines Erfolgs erlebte er – vom Publikum geliebt, den Rezensenten gefeiert und den Produzenten hochbezahlt − zu einer Zeit, als der Film noch stumm und deshalb weitaus ausdrucksvoller war, als es heutige Bombast-Bilder und Achterbahn-Toneffekte erahnen lassen. Dennoch wirken die Werke des Komikers und Filmemachers Buster Keaton ebenso modern wie aktuell.

Das liegt vor allem an der Szenerie, die „der Mann, der niemals lacht“, mit traumwandlerischer Souveränität durchmisst. Während Laurel & Hardy ihrer Überforderung eine surreal unterfütterte Zerstörungslust entgegensetzen, Charlie Chaplin ins Landstreichertum flüchtet, Harry Langdon die Ahnungslosigkeit des Neugeborenen kultiviert und Harold Lloyd dem übersteigerten Fortschrittsglauben mit Wolkenkratzer-Kraxeleien willfährt − während sie also eine komplexe, technisierte, zunehmend bedrohliche Umwelt auf die eigene Wesensart umzumünzen trachten, stellt sich Keaton mit Ruhe, Sorgfalt und Intellekt den Auswüchsen der Moderne. Unter den Wegbereitern des komischen Films ist „der Mann mit dem gefrorenen Gesicht“ eine einzigartige Erscheinung. Obwohl seine Miene selbst in Augenblicken größter Emotion völlig regungslos bleibt, vollbringt er das Wunder, eine Vielfalt von Gefühlen auszudrücken. Die Palette reicht von unglücklicher Liebe bis zum grenzenlosen Staunen über eine von Apparaten und Maschinenmenschen geprägten Umwelt, die ihn über- und zugleich herausfordert. Keatons Filmfigur ist nüchtern und skeptisch, stellt sich (den im Slapstick-Film selbstredend mannigfaltig auftretenden) Problemen mit Konzentration und stoischer Unbeirrbarkeit. In „Der Mann mit den tausend Bräuten“ (1925) wird er von besagten heiratswilligen Damen verfolgt; in „Die Kreuzfahrt der ,Navigator’“ (1924) irrt er mit seiner Herzdame mutterseelenallein an Bord eines Riesendampfers über den Ozean; in „Der General“ narrt er als Lokomotivführer im Alleingang die gesamte Nordstaaten-Armee; in „Der Killer von Alabama“ (beide 1926) strebt er einen Meistertitel als Boxer an, obwohl er nicht einmal das Seilspringen beherrscht − und stets blickt dieser Technokrat des Komischen scheinbar ungerührt in die Runde. Hinter dieser Beharrlichkeit arbeitet so rastlos wie ideenreich ein Intellekt, der die böse − will sagen: unverständliche, unbarmherzige, unüberschaubare − Welt zu bewältigen sucht, indem er ihre Gesetzmäßigkeiten übernimmt und ad absurdum führt. Buster gibt nie auf im Bestreben, diese Welt begreifen zu wollen. „Aber er klagt die Welt nicht an, sondern akzeptiert sie“, schrieb 1964 der Komiker-Experte Werner Schwier. „Seine Schwierigkeiten entstehen nicht deshalb, weil er selbst Sinnloses erstrebt, sondern sein Handeln wird sinnlos, weil er korrekt ist und genau nach der Vorschrift handelt. Öfter noch als der Mensch ist deshalb die Maschine, die moderne Technik sein Gegner.“ Oder aber die Naturelemente wie in „Wasser hat Balken“ (1927), wo ein Wirbelsturm ein komplettes Dorf in Trümmer legt und Buster nur überlebt, weil er ausgerechnet in der Fensteröffnung einer kippenden Hausfront steht. Bei der Inszenierung seiner Filme war der Sohn zweier Jahrmarktsartisten, der im Vorspann meist als Ko-Regisseur und -Autor geführt wird, risikofreudig und innovativ. So ist in „Sherlock Holmes jr.“ (1924) der Sprung einer Filmfigur von der Leinwand herab in die Kleider eines realen Menschen zu sehen, über dessen Aufnahmetechnik die Filmhistoriker noch heute rätseln. Zudem war er ein vollendeter Akrobat, der auf Doubles verzichtete und beispielsweise in „Bei mir, Niagara“ (1923) selbst im Wasserfall baumelt. Seinen ersten Film drehte er 1917 mit Unterstützung des korpulenten Riesenbabys „Fatty“ Arbuckle, bereits wenige Jahre später war er ein millionenschwerer, internationaler Top-Star. Er machte sich mit einer eigenen Produktionsgesellschaft selbstständig, verkaufte sie aber später ans Großstudio Metro-Goldwyn-Mayer. Hier büßte er − einer vielpublizierten Legende zum Trotz! − auch nach Aufkommen des Ton- und Sprechfilms keineswegs seinen Erfolg ein, wohl aber die Endkontrolle über seine Werke. Eine wirtschaftlich wie psychisch ruinöse Scheidung, schwere Alkoholprobleme und wachsende Differenzen mit den Studiochefs führten schließlich zu seiner Entlassung, sodass Keaton 1933 praktisch auf der Straße stand. Er spielte in billigen Kurzfilmen und verdingte sich als Gagman für andere Komiker. Aber genau wie seine Filmfigur, die durch Zähigkeit mit allen Tücken des Daseins fertig wird, biss er sich auch im wahren Leben durch. Er blieb bis zu seinem Krebstod am 1. Februar 1966 aktiv, wenngleich er sich mit kleinen Rollen, TV-Shows und Werbespots zufrieden geben musste. Immerhin war es ihm vergönnt, die eigene Wiederentdeckung und überfällige Anerkennung als Titan der stummen Filmkomödie miterleben zu dürfen. Was Wunder, dass die Memoiren des Olympioniken den Titel „Schallendes Gelächter“ tragen?

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