Kaiserslautern Der Meister macht sich locker

„100 Jahre, 100 Sinfonien“ ist der Titel unserer Serie, in der wir 100 sinfonische Werke vorstellen, die zwischen 1800 und 1900 entstanden sind beziehungsweise uraufgeführt wurden. Heute geht es um ein Werk, das erst drei Jahre nach dem Tod des Komponisten in seiner – wenn auch gekürzten – viersätzigen Form erstmals erklang: Anton Bruckners sechste Sinfonie in A-Dur.

Einerseits ist alles wie immer bei Bruckner: Auch mit der sechsten Sinfonie gelingt ihm der Durchbruch nicht. Im Grunde ist es sogar noch schlimmer. Bruckner hat sein Werk nie vollständig hören können. Eine erste Aufführung aller vier Sätze gab es erst am 26. Februar 1899 durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von keinem Geringeren als Gustav Mahler. Der hatte sich zwar als eifriger Förderer der Musik Bruckners erwiesen, er griff aber durchaus auch in die Partituren ein. Jahrelang wurde die Sechste nur in der von Mahler gekürzten Fassung gegeben. Dieses Schicksal, das andere als der Komponist selbst in die Partituren eingriffen, teilt die Sechste mit einigen weiteren Bruckner-Sinfonien. Dabei ist ihr Entstehungsprozess durchaus verschieden. Denn so schnell, quasi in einem Rutsch, hat Bruckner sonst nicht komponiert. Er beginnt mit der Sechsten im September 1879, knapp zwei Jahre später ist das in A-Dur stehende Werk abgeschlossen, ohne dass Bruckner nochmals selbst Hand anlegen würde. Die Tonart verweist zudem auf ein weiteres Charakteristikum. Zunächst einmal erinnert sie an die ebenfalls in A-Dur stehende siebte Sinfonie von Beethoven, mit der sie zudem den positiv-optimistischen, nachgerade aufbrausend-jubelnden Grundton ebenso gemein hat wie ihren ungeduldig-drängenden Bewegungsimpuls. Man muss sich daher von einigen Bruckner-Klischees frei machen. Schließlich galt der Meister aus dem Stift St. Florian als eine Art Gottsucher unter den Sinfonikern. Der tiefgläubige Katholik suchte nach dem tönenden Gottesbeweis, schuf Sinfonien wie Kathedralen, deren Instrumentierung und formaler Aufbau sich an den Möglichkeiten der Orgel orientierten. Die Konsequenz: Seine Sinfonien mit weit ausholenden Themen und den immer wieder eingeschobenen Choralthemen wirkten nicht nur gewaltig und majestätisch, sie kommen auch etwas statisch daher, weil Bruckner eher Kompositionsblöcke aneinanderreiht als einem Bewegungsimpuls der Musik nachzugeben. Das ist nun in der Sechsten ganz anders, beginnend mit dem Eröffnungssatz und dessen ersten Thema. Während man sonst vom Bruckner′schen Ur-Nebel spricht und damit jenes rhythmische Ungefähre meint, dieses typische Wabern, mit dem seine Sinfonien beginnen, drängt dieses erste punktierte Thema nach vorne und setzt damit eine Bewegung in Gange, die bis zum finalen Jubel im Schlusssatz anhält. Überhaupt hat man ein wenig den Eindruck, dass sich Bruckner mit dieser Sinfonie, die immer wieder zu strahlend-emphatischen Passagen und Ausbrüchen ansetzt, richtig locker macht. Wenn er ansonsten strenge Gotteszuversicht in machtvollen Klanggebäuden einmauert, so bringt er hier so etwas wie naiv-heitere Lebensfreude zum Ausdruck. Die mitunter eisige Größe, die kühl-abweisende, sakrale Erhabenheit seiner Musik ist einer optimistischen Humanität gewichen. CD-Tipp Zu den großen Bruckner-Dirigenten des 20. Jahrhunderts zählt Bernhard Haitink am Pult des niederländischen Royal Concertgebouw Orchestra. Es gibt bei Amazon diverse CD-Boxen mit Haitinks Bruckner-Aufnahmen.

x