Kaiserslautern „Das ist echt, das ist wirklich passiert“

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Joes einsamer Kampf mit der penetranten Wespe gerät zum Brüller. Wie der seit Dezember hinter stählerner Zellentür schmorende John Jürgen Guth wild fuchtelnd und genervt sein Kaltgetränk gegen ein Insekt verteidigt, das hat durchaus Unterhaltungswert. Auch für die in Ilse Menkes Kneipe versammelten Beobachter – wenngleich die das Geschehen in der „Straße ohne Ausweg“ natürlich mit ganz anderen Augen betrachten als das Millionenpublikum in ungezählten Wohnzimmern der Republik.

Die Kartenspieler in der hinteren Ecke lassen sich nicht stören, klopfen munter, spielen ihr Blatt aus – sie regt das Geschehen auf dem Bildschirm nicht auf. Mit größtem Interesse hingegen verfolgt der Rest des Kneipenpublikums die vierstündige Dokumentation, die Ausschnitte des Lebens einiger Bewohner beleuchtet. Ein Jahr danach, ein Jahr, nachdem der Brennpunkt bundesweit ins Bewusstsein gerückt ist und dem Asternweg zu Bekanntheit und Beachtung verholfen hat, feiern die Fernsehzuschauer ein Wiedersehen mit Joe und seinen Nachbarn, mit dem Wirtsehepaar Menke, mit illustren Leuten, die teils gar ein bisschen telegen, teils mitleiderregend daherkommen. Das Gelächter hallt, als Joe mit der Wespe kämpft. Aber es sollten, viel später, auch einige Tränen kullern. Gastwirt Ernst lässt sich nicht blicken: „Er ist oben, er will sich das ganz ungestört anschauen“, sagt seine „bessere Hälfte“, die „gute Seele“ Ilse. Jene Frau, die sich so selbstlos um ihr Klientel bemüht. „Zum Ilse“ – die Gaststube sei „Wohnzimmer, Trinkhalle, Versammlungsort und Beichtstuhl“, erklärt die Sprecherin bei der Ausstrahlung Millionen Menschen, die zum größten Teil womöglich Kaiserslautern hauptsächlich des Fußballs wegen kennen. Und die nun ein bisschen mehr wissen über die pfälzische Stadt. Dass sie hoch verschuldet sei – und sich am Stadtrand ein Viertel leiste, in dem große Not zu Hause sei, in der aber liebenswürdige Menschen das Beste aus ihrer Situation machen möchten. Werbung flimmert gerade über den Schirm, willkommene Pause, Gelegenheit, um Getränke-Nachschub zu ordern: 22.20 Uhr – vorm Haus fährt eine Polizeistreife vorbei. Dass Polizei nicht selten zu Besuch sei, erfahren die Fernsehzuschauer natürlich auch. Sie erfahren, dass Helmut geradezu heldenhaft einen albanischen Asylbewerber verteidigt – und sich dabei eine schwere Verletzungen zugezogen hat. „Das ist echt, das ist wirklich passiert, ich belüg’ dich nicht“, betont einer der Hauptdarsteller – und lüftet zum Beweis die Augenklappe. Echt schlimm, der Anblick. Die Doku ist durchaus authentisch. Es stimmt, das Joe im Knast sitzt. Es stimmt auch, dass sich Steffi letztlich zur Sterilisation hat überreden lassen – mit mehr als sanftem Druck derer, die es gut mit ihr meinen. „Bei Stern TV wollte es uns der Moderator ja entlocken. Ilse hätte es fast verraten, ich musste ihr ins Wort fallen“, blickt Katharina Dittrich-Welsh während des Abends mal kurz zurück auf ihren Auftritt bei der Show, bei der dem Fernsehpublikum noch mal kurz vorm großen Samstagabend Appetithäppchen serviert, Neugier gemacht worden ist. Die Vorsitzende des Vereins Asternweg behält während der vierstündigen Sendung stets ihr Smartphone im Auge. Es sollte sich so einiges tun; Getümmel in der Facebook-Gruppe. Das Leben am Asternweg – oder das, was das Fernsehpublikum nun dafür hält – bringt mächtig Bewegung in soziale Netzwerke. Mitternacht: Die Kartenspieler sind noch immer um ihren Tisch versammelt, auch wenn die Karten mal ruhen. Annähernd 50 Menschen füllen mittlerweile das große „Wohnzimmer“ am Kalkofen. Als gut 20 Minuten später Millionen Deutsche vom Asternweg Abschied nehmen, meldet sich auch Ernst Menke – telefonisch. Vor Jahresfrist hat er sich geweigert, vor der Kamera zu erscheinen. Beim Besuch ein Jahr danach hat sein Name im Fernsehen ein Gesicht bekommen. Er ist zum Sympathieträger avanciert – reiht sich dabei neben seiner Ilse und Dittrich-Welch ein. Ein kämpferisches Trio, das ans Gute glaubt, fantastische Pläne verfolgt – ohne allzu große Hoffnung, ein immens ehrgeiziges Ziel nur annähernd erreichen zu können. Und die anderen Darsteller? Joe sitzt, Steffi ist nicht da, auch Charlie glänzt durch Abwesenheit. Jockel sitzt am Tisch, unternimmt abendfüllend etwas gegen seinen Durst. Das abendfüllende Programm am Fernsehschirm hat noch mal Emotionen geweckt – bei den Beteiligten, die ja wussten, was blüht, aber auch bei vielen Zuschauern zwischen Garmisch und Flensburg. Die Freundesgruppe ist gewachsen, Spenden sind eingegangen, andere Spenden und Hilfsaktionen fest zugesagt worden. Auch eine halbe Stunde nach dem Ende der bundesweit beachteten Rückkehr an den Kalkofen ist bei Ilse noch keine Ruhe eingekehrt. „Morgen haben wir vor der Tür wieder Tourismus“, sagt die Wirtin voraus. Dann schleichen wieder Autos durch den Asternweg. Besetzt mit neugierig umherblickenden Leuten, die nicht so recht glauben können, dass es so etwas wirklich gibt.

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