Donnersbergkreis Schlachtplatte gegen Kichererbsen

Keine Fragen mehr am Tisch von Wolfgang Kolodzik.
Keine Fragen mehr am Tisch von Wolfgang Kolodzik.

«KIRCHHEIMBOLANDEN.» Die Glocke, laut Neumayer-Chef Jörg Oeynhausen bestimmendes Element beim Speed-Dating, hätte es wahrscheinlich gar nicht gebraucht, so diszipliniert läuft die Veranstaltung ab. Übrigens nicht nur hinsichtlich des Geräuschpegels. Die Schülerinnen und Schüler der zehnten Jahrgangsstufe der Realschule plus und der zwölften des direkt angrenzenden Nordpfalzgymnasiums sind höflich, aufmerksam, interessiert. Am Ende sieht man es den Schulleitern und Lehrkräften an: Sie sind äußerst zufrieden. Man könnte auch sagen: Sie platzen fast vor Stolz. Da war die anfängliche leicht verkrampfte Nervosität bei den sechs Bürgermeisterkandidaten Marc Muchow (CDU), Siegfried Groß (SPD), Alexander Groth (FWG), Thomas Bock (Wir für Kibo), Jamill Sabbagh (Grüne) und Wolfgang Kolodzik (FDP) vollkommen unnötig. Nun gut, das wissen die Sechs natürlich erst mal nicht, als sie sich zur Begrüßung mit Schülern, Lehrkräften und anderem Bodenpersonal und zum gegenseitigen Taxieren im Stuhlkreis (aus logistischen Gründen allerdings quadratisch) im Foyer der Neumayerschule versammeln. Muchow, Groß, Sabbagh und Kolodzik sind „Smart Casual“ gekleidet: Jeans, schickes Hemd ohne Krawatte, braune Lederschuhe und Sakko. Nur Bock (Freizeitschuhe und Sweatshirt) und Groth (Lederjacke und Sneakers) tanzen aus der Reihe. Dann geht es los: Zwei Kandidaten residieren jeweils in einem Raum, flankiert von den Protokollführern aus der Schülerschaft. Dazwischen gehen die Schülergruppen auf Wanderschaft. Und hier kommt wieder die angesprochene Disziplin ins Spiel: Alle Bewegungen laufen äußerst geordnet ab, der auf Kante genähte Zeitplan kann genau eingehalten werden. Die Fragen sind eine Mischung aus erwartbar („Was hat Sie dazu bewogen, für das Amt des Stadtbürgermeisters zu kandidieren?“) und verblüffend: „Wenn man Sie essen könnte, welches Gericht wären Sie?“ Hier kommt die psychologisch interessanteste Antwort übrigens von FDP-Mann Kolodzik, der wäre nämlich gerne eine Schlachtplatte. Jamill Sabbagh dagegen wird seinem israelisch-palästinensischem Migrationshintergrund gerecht und sieht sich eher als frittiertes Kichererbsenbällchen, auch als Falafel bekannt. So divers wie die kulinarischen Identitäten sind auch die Selbstinszenierungen: Groth gibt sich lässig-kumpelhaft, Muchow auch, allerdings schon mit einem gewissen Herr-Bürgermeister-Habitus. Groß ist sichtlich bemüht, den jungen Leuten auf Augenhöhe zu begegnen, Kolodzik wirkt wie ein sehr netter Wirtschaftsdozent im Gespräch mit Uni-Erstsemestern, Sabbagh eher wie ein evangelischer Gemeindereferent, und Bock beginnt jede seiner Antworten mit einem apodiktischen „Also!“. Die Fragen beziehen sich natürlich stark auf die Stadt Kirchheimbolanden selbst (Freibad, Zukunft von Kibo als Industriestandort), aber es wird auch national (Flüchtlinge), international (Brexit, Donald Trump) und sogar ideologisch (Dieselfahrverbot, Kohleausstieg, Fridays for Future). Bei der typischen Vorstellungsgespräch-Frage „Nennen Sie drei negative Eigenschaften von sich“ kommen überwiegend gut vorbereitete Vorstellungsgespräch-Antworten: Perfektionistisch und ungeduldig ist immer dabei. Richtig auf dem falschen Fuß erwischt werden fast alle vom Artikel 13. Überwiegend Achselzucken, selbst beim Juristen Groß. Der wähnt sich im ersten Moment beim Grundgesetz. Dort geht es in Artikel 13 allerdings um die Unverletzlichkeit der Wohnung und richterliche Durchsuchungsbefehle. Was die Schüler stattdessen im Sinn haben, ist die Urheberrechtsreform der EU. Die sieht vor, dass zukünftig Onlineplattformen wie Facebook, YouTube oder Instagram für die Inhalte haften, wenn Urheberrechtsverletzungen auftreten. Da sieht man halt, dass „ältere“ Herrschaften, der Jüngste, Muchow, ist 44, der Älteste, Sabbagh, 60, doch ganz andere Prioritäten haben als die Jugend. In der Abschlussrunde sind alle des Lobes voll: Die Kandidaten, die von den intelligenten Fragen beeindruckt waren, stellen fest, dass das alte Vorurteil, wonach die Jugend sich nicht für Politik interessiere, nicht zutrifft. Und die Jugendlichen haben den Eindruck gewonnen, dass im Fall seiner Wahl jeder der sechs Kandidaten die jungen Menschen in Kirchheimbolanden gerne mit im Boot hätte: als Ideengeber und irgendwann vielleicht sogar als Mitglieder und Akteure der jeweiligen Partei. „In echt“ wählen dürfen diesmal zwar nur einige der Zwölftklässler vom Nordpfalzgymnasium, doch eine Wahl mit echter Kabine und (fast) echter Urne findet dann natürlich auch noch statt. Das Ergebnis dürfte für künftige Wahlausgänge aufhorchen lassen, denn demnach ist die Zukunft in Kibo grün: Der Sieger heißt Jamill Sabbagh.

Bei Marc Muchow darf auch mal gegrinst werden.
Bei Marc Muchow darf auch mal gegrinst werden.
Die Zeit läuft: In einer Minute müssen die Kandidaten die Fragen beantworten.
Die Zeit läuft: In einer Minute müssen die Kandidaten die Fragen beantworten.
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