Donnersbergkreis „Mir hat der Job wirklich Spaß gemacht“

Herr Mohr, zunächst ein kleiner Blick in die Zukunft: Was machen Sie am 2. Januar 2017?

Wenn das Wetter passt, fahre ich Ski. Ich habe zum ersten Mal, seit ich Bürgermeister bin, nach Weihnachten und danach ab Neujahr frei. Sonst habe ich nach den Feiertagen angefangen, Reden für die Neujahrsempfänge zu schreiben, für jede Gemeinde etwas Eigenes. Da ist es schon vorgekommen, dass ich mich am zweiten Weihnachtsfeiertag abends hingesetzt und erste Gedanken zu Papier gebracht habe. Bis zum Schluss Ihrer Amtszeit hat Sie das Thema Fusion beschäftigt. Wie sehr sind Sie durch die Fusion gealtert? Ich war früher blond – jetzt habe ich graue Haare (lacht). Das hat ja 2009 angefangen. Seitdem habe ich dazu hunderte Sitzungen besucht, habe Berge von Akten da liegen – ohne Ergebnis. Die Fusion hat innerhalb der VG zu vielen Zerwürfnissen geführt. Wie sehr hat Sie das persönlich belastet – auch in Ihrem Privatleben und Ihrer Freizeit? Das hat mich sehr belastet. Mit tut das so leid, wenn sich die Leute deshalb so fetzen. Ich wurde immer angesprochen, egal ob ich im Rat oder etwa auf dem Sportplatz oder sonstwo war. Als ich einmal mit meiner Frau essen war, standen drei Leute an meinem Tisch. Das hat uns schon geärgert, weil man ja auch keine Privatsphäre mehr hatte. Auch eben auf dem Weg vom Parkplatz hierher kam jemand aus meiner VG auf mich zu. „Na Herr Mohr, wie geht’s? Wohin müssen wir fusionieren?“ Ich habe gesagt, ich weiß es nicht. Fertig. Was ich nicht gut finde: dass das Land vieles im Unklaren gelassen hat. Da zerstreiten sich Menschen wegen dieser Fusion, und eigentlich gibt es viel wichtigere Dinge auf der Welt. Meine beiden Söhne, die wegen der Arbeit und dem Studium nur an den Wochenenden bei uns sind – ich darf gar nicht sagen, was die über die Sache denken. Das ist die nächste Generation. Die denken nicht in VG- oder Kreisgrenzen. Die sagen, das müsste alles viel offener sein. Haben Sie, wenn Sie so drin sind, überhaupt noch eine Privatmeinung, oder sind Sie des Themas so überdrüssig, dass Sie sagen: Die sollen machen, was sie wollen. Oder haben Sie ihre persönliche Meinung die ganze Zeit zurückgestellt? Als Bürgermeister muss man schauen, dass man die Gemeinden unter einen Hut bringt, dass es keine großen Zerwürfnisse gibt. Aber beim Thema Fusion ist mir das nicht gelungen. Ich kann sicherlich mit Menschen umgehen – das wird mir auch attestiert. Ich kann viel Schärfe herausnehmen. Aber beim Thema Fusion hat sich das alles verselbstständigt, da denken einige nur an sich. Mehrheitsbeschlüsse werden nicht akzeptiert. Kurzum: Die Fusion ist mir nicht geglückt. Horst Fiscus ist als Beauftragter bis zum 31. Dezember 2017 im Amt. Glauben Sie noch ernsthaft daran, dass die Fusion – wie geplant – bis zum 1. Januar 2018 vollzogen wird? Bis 2018 gibt es keine Fusion, alles andere würde mich überraschen. Anderseits: Die VG lebt noch. Und ich glaube ehrlich: Wir vertreten unsere Interessen immer noch selbst am besten. Da sind wir bisher nicht schlecht gefahren. Das können weder die Rockenhausener noch die Meisenheimer oder sonst wer besser. Das ist meine Meinung. Damit will ich nicht sagen, dass wir dauerhaft in diesem Gebilde bleiben. Es ist nun mal so: Einwohnerzahlen zählen. Selbst wenn wir gute Finanzen hätten, glaube ich nicht, dass sie uns bestehen lassen würden. Wir verlieren, glaube ich, zwölf Prozent der Bevölkerung bis 2035. Ich sehe es an der eigenen Jugend. Nach der Schule gehen die studieren. Die Berufe für sie haben wir in der Region gar nicht in der Menge. Wagen Sie eine Prognose, wie das ausgeht? Nein. Ich hatte im Ministerium schon gesagt: Lassen Sie uns doch fünf Jahre Zeit, bis die Kreisreform kommt. Dann wird das vielleicht leichter gelöst. Es kommt nicht darauf an, ob die VG noch vier oder fünf Jahre besteht. Die Fusion war zwar das bestimmende Thema der vergangenen Jahre, aber längst nicht das einzige Ihrer 16-jährigen Amtszeit. Was hat Sie in dieser Zeit am meisten beschäftigt? Wissen Sie, was mir als erstes einfällt? Der Hangrutsch in Mannweiler-Cölln, knapp vier Millionen Mark Kosten. Und 2001 das Reggae-Festival auf dem Gutenbacherhof. Das war ganz am Anfang meiner Amtszeit. Freitags bekam ich einen Anruf, dass ich zur Polizei kommen sollte. Auf einer Wiese in der Nähe des Gutenbacherhofs sei eine europaweite Veranstaltung, ein „Drogenfestival“. Ich habe zur Polizei gesagt: Lassen Sie alle Zufahrten sperren. Ich hatte einen Landwirt engagiert, der seine Rolle auf dem Gutenbacherhof in den Weg stellte. Aber dann sind alle – weit mehr als 1000 Besucher –, die über das Internet eingeladen waren, über die Autobahn und dann über Kriegsfelder Wirtschaftswege zu der Wiese gefahren. Keine Toiletten, keine ausgewiesenen Parkplätze. Dann hat es Starkregen gegeben. Und alle hingen auf der Wiese fest. Nach dem Festival – bei dem ich übrigens am Samstagabend zu Hause eine Beschwerde wegen Lärmbelästigung aus Fürfeld erhalten habe – mussten die meisten mit dem Traktor rausgeschleppt werden, natürlich nicht kostenlos. Aber alle Feldwege waren kaputtgefahren, von den hygienischen Zuständen will ich gar nicht reden. Einige wenige Besucher campten eine Woche später immer noch im Tal, denen hat es dort wirklich gut gefallen… Gab es noch ähnliche Aufreger? Eine andere Veranstaltung war das Burgfestival auf der Moschellandsburg. Ein Kölner Veranstalter hatte zugesagt, dass er Feuerwehr stellen würde und dass es kein offenes Feuer geben würde. Weil trotzdem keine Feuerwehr zu sehen war, haben wir zwei Autos hingeschickt. Sonntags hing eine schwarze Rauchwolke über der Burg. 20 Autos haben gebrannt. Ich hatte so viele Anzeigen am Hals wegen nicht ausreichender Ordnungsmaßnahmen. Das war drei Jahre vor dem Landgericht anhängig. Zig Versicherungsgesellschaften und Privatleute wollten Schadensersatz. Mich hat gerettet, dass ich samstags mit der Feuerwehr dort war und die Fahrzeuge angeordnet habe. Aber wenn da jemand umgekommen oder verletzt worden wäre, hätte das strafrechtliche Konsequenzen haben können. Da haben wir keine Versicherung. Nach dieser Veranstaltung habe ich rigoros alles kontrollieren lassen. Das sind Erlebnisse, die ich nicht vergesse. Und Erfreuliches? Positiv ist mir die Ferienspaßaktion in Erinnerung, die so ein Selbstläufer geworden ist. Das hat mir wirklich viel Spaß gemacht. Auch die Seniorenveranstaltungen. Die Leute sind so glücklich, wenn sie da miteinander erzählen können. Ich bin auch froh, dass wir das Einkaufszentrum in Alsenz umgesetzt haben. Das läuft gut. Wir haben uns auch stark engagiert bei der Energiewende, regenerativen Energien oder der Förderung der Landwirtschaft durch viel Wirtschaftswegebau in den Gemeinden wie auch bei anderen Dingen. Ein anderer Punkt, auf den Sie jahrelang hingewiesen haben, ist der Radwege- und Straßenbau. Ja, hier kann ich mit gutem Gewissen aufhören. Mit dem Bau der dritten Spur der B 420 Hochstättten-Fürfeld sind nahezu alle Straßenprojekte abgehakt. Viel Kraft habe ich auch auf den Ausbau der früher ganz schlechten L 379 zwischen Obermoschel und Feilbingert verwendet. Das begann 2005, der letzte Abschnitt wurde erst 2014 beendet, obwohl er für 2009 zugesagt wurde. Oder denken Sie mal an den Weg früher hinter den Leitplanken zwischen Ober- und Niedermoschel. Heute ist dort ein schöner, breiter Rad- und Fußgängerweg. Hier fehlte oft das Geld oder dann Planungs- und Baurecht. Alle haben mich gekannt, weil ich die Themen immer wieder angesprochen und auch Unmut über den Zustand bei uns geäußert habe. Einmal hieß es schon: „Herr Mohr, Sie kriegen mal wieder eine Straße gebaut, damit Sie den Mund halten“ (lacht). Ich kenne eigentlich jeden Meter der Straßen bei uns. Im Appeltal wurde die L 400 von Niederhausen in Richtung Tiefenthal neu gemacht und ein Stück weiter runter auch die K 88 in Richtung Bad Kreuznach. Die B 420 von Unkenbach bis Alsenz ist komplett saniert worden. Was ich noch angeleiert habe, ist die Deckenerneuerung der B 420 auf der Strecke zwischen Unkenbach und Callbach, die kommen soll. Und der Radweg durchs Moscheltal... Ja. ich wollte unbedingt diese Strecke bis nach Waldgrehweiler, ein wunderschönes Tal. Aber gleichzeitig sollte dieser Radweg auch über den Alsenztal-Radweg an den Nahetal-Radweg, der damals in Bad Münster verlief, angebunden werden. Das war richtig schwierige Arbeit. Da muss man immer dran bleiben. Oder im Ohlbachtal, die Verbindung vom Alsenztal zum Appeltal-Radweg. Die Kalkofener haben aus lauter Dankbarkeit den Radweg sogar nach mir benannt! Der Weg hat eine wunderbare Verbindung zwischen den Gemeinden Hochstätten und Kalkofen ausgelöst, alle Jahre wird da abwechselnd gefeiert. So was freut einen natürlich. Und da geht man auch persönlich hin, das gehört sich so. Ein Thema, das Sie noch gar nicht angesprochen haben, ist die Flut. Ja. Ab dem 20. September 2014 war ich nur noch unterwegs. Da habe ich versucht zu helfen, wo es nur ging. Neben der Schadensbeseitigung am Gewässer galt es auch, Spendengelder zu kriegen. Ich habe alle großen Unternehmen angeschrieben. Bei den Spendern ist schon der Ehrgeiz entstanden, den anderen übertrumpfen zu wollen. In Niedermoschel kamen beispielsweise bei einem Spendenfest über 20.000 Euro zusammen. Da hat einen sehr gefreut. Alle haben mitgemacht und geholfen. In Mainz hatten viele montags, zwei Tage nach der Flut, offenbar noch nicht registriert, wie schlimm es hier war. Das habe ich auch so erlebt. Ich war samstags mit meiner Frau beim Einkauf in Kreuznach. Um 16 Uhr wurde ich angerufen. In Waldgrehweiler gibt es Hochwasser – in Kreuznach schien die Sonne. Wir wollten eigentlich noch ein Eis essen, das haben wir ausfallen lassen und ich bin nach Waldgrehweiler. Dort habe ich schon gehört: In Ransweiler gibt es einen Hubschraubereinsatz, zwei Häuser sind zusammengebrochen. Da war die Straße noch nicht überflutet. Innerhalb einer halben Stunde war dann auch bei uns alles unter Wasser. Es war ein Riesenglück, dass es da keine Toten gegeben hat. Da müssen wir wirklich froh drüber sein. Montags hat mich eine Frau angerufen: „Herr Mohr kommen Sie vorbei.“ Sie hat mir Bargeld gegeben und gesagt, ich solle sie an arme Leute und Leute mit Kindern verteilen, was ich dann auch getan hatte. So Menschen gab es. Das war die Kehrseite. So schlimm die Flut war – die Hilfsbereitschaft war groß. Von überall bekamen wir Spenden, sogar für Tiere. Es ging weit über die Region hinaus. Das war richtig super. Der FCK spielte in Rockenhausen, Mainz 05 stellte uns Karten für die Feuerwehrleute zur Verfügung. Alle direkten Nachbargemeinden und Verbandsgemeinden haben geholfen. Da sieht man, dass die Menschen in großer Not zusammenhalten. Da hatte ich auch viele schöne Erlebnisse. In diesem Zusammenhang habe ich immer gesagt: Wir müssen die Feuerwehren erhalten. Auch die kleinste Feuerwehr. In solchen Extremlagen ist das wichtig. Unsere Erfahrung ist: Wenn eine Feuerwehr erst einmal aufgelöst ist, gehen die Leute nur selten oder gar nicht in die Nachbarwehren. Da würden wir sicher an der falschen Stelle sparen, wenn wir eine Wehr zumachen würden. Wenn Sie an Ihre erste VG-Ratssitzung als Bürgermeister zurückdenken und nun an die letzte: Wie hat sich das Klima im Rat verändert? Am Anfang war mein Wahlgewinn ja sehr überraschend. Im VG-Rat saßen damals auch vier, fünf Mitglieder, die gerne einen anderen Bürgermeister gesehen hätten. Das war deshalb nicht so ganz einfach. Aber ich konnte alle mit Kompetenz, Authentizität und Engagement überzeugen. 2008 bei der zweiten Wahl haben mich dann alle Parteien und Gruppierungen unterstützt. Ich habe immer den Kontakt in den Gemeinden gepflegt, bin rausgegangen. Daher habe ich oft vielleicht sogar mehr gewusst als unsere Sachbearbeiter, weil ich in den Sitzungen war. Ich opfere lieber abends zwei Stunden, dafür habe ich dann in der Verwaltung weniger Arbeit. Ich bin auch gerne danach sitzengeblieben. Das hat mit dazu beigetragen, dass wir ein gutes Klima hatten. Gerade Sie waren als Bürgermeister unheimlich viel in den Ortsgemeinden unterwegs, hatten kaum Tage ohne eine Sitzung. Ist Ihnen das nicht schon mal zu viel geworden? Da muss ich wirklich meiner Familie dankbar sein, vor allen Dingen meiner Frau. Meine Kinder waren damals ja acht und zehn. Wenn meine Frau das nicht aufgefangen hätte, hätte ich alt ausgesehen. Da bin ich dankbar für die Rückenstärkung. Auch meine Mutter hat viel geholfen. Mir hat der Job aber wirklich Spaß gemacht. Sonntags bin ich auch gerne auf die Kerwen gegangen. Nicht, damit man mich sieht, sondern aus innerer Überzeugung. Ich war auch früher schon immer auf Kerwen oder anderen Veranstaltungen in den Gemeinden. Was hat Sie über die Jahre am meisten enttäuscht? Enttäuscht bin ich eher nicht. Ich bin kein Freund von anonymen Briefen, da habe ich einige bekommen. Das will ich nicht, weil ich über alle Themen offen reden kann. Das war aber nicht nur bei der Fusion oder in anderen Bereichen so. Was hätten Sie gerne noch in Ihrer Amtszeit realisiert? Ich gebe zu: Die Fusion ist mir nicht geglückt. Da habe ich viel Kraft darauf verwendet. Ich hoffe, dass meine Nachfolger das besser machen. Persönlich würde ich den Radweg von Unkenbach nach Obermoschel noch gerne umsetzen. Das ist mir nicht mehr gelungen. Und wie geht’s mit Ihnen weiter? Was haben Sie vor? Ich werde jetzt ein paar Wochen aussetzen. Aber ich werde noch was tun, bin ja auch noch ehrenamtlich tätig. Ich muss nur schauen, wie ich von 500 auf null komme. Aber ich schreibe zum Beispiel gerne. Im Ruhestand will ich einen Reiseführer über das Baltikum schreiben – ich fahre ja Motorrad. Dafür will ich mir mal vier Wochen Zeit nehmen, um zu reisen. Das ist etwas, was ich bisher nicht machen konnte, weil mir die Zeit gefehlt hat. Dafür hätte ich sogar schon einen Verlag. Wenn die Verbandsgemeinde Alsenz-Obermoschel fusioniert und ein neuer Bürgermeister gewählt wird: Ist es ausgeschlossen, dass Sie doch noch einmal antreten? Man sollte niemals nie sagen (lacht). Was werden Sie am meisten vermissen? Die tägliche Arbeit. Ich fahre seit über 40 Jahren jeden Tag nach Alsenz. Das wird morgens schon eine Lücke geben. Bei Ihrer letzten Sitzung haben Sie Schiller zitiert: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der Mohr kann gehen.“ Wohin würde der Mohr denn noch gerne gehen? Ich würde gerne auf den Jakobsweg gehen, zunächst einmal bei uns in der Region und wenn es halt sein muss, auch bis nach Santiago de Compostela, ich habe ja ab 1. Januar 2017 viel mehr freie Zeit als bisher... |kra/kth

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