Rheinpfalz Wallraffs Methoden

Speyer. „Keine Sendung ohne Opfer“, sagt Uwe Herzog, ehemaliger Mitarbeiter von Günter Wallraff. Der Fachjournalist kritisiert die Vorgehensweise seines früheren Chefs. Jüngstes Beispiel: die Lebenshilfe Speyer-Schifferstadt. In einer Speyerer Wohngruppe für Senioren mit Handicap hatte Caro Lobig für die RTL-Sendung „Team Wallraff – Reporter undercover“ mit versteckter Kamera gedreht und wirft Mitarbeitern der Einrichtung vor, Bewohner schikaniert und vernachlässigt zu haben. Nach Ansicht Herzogs hat dieses Vorgehen System.

Nach der Ausstrahlung des Beitrags am 20. Februar hatte die Lebenshilfe vier Mitarbeiter freigestellt. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankenthal gegen Mitarbeiter wegen des Vorwurfs des Missbrauchs Schutzbefohlener. Ermittlungen laufen aber auch gegen Bürger wegen der Bedrohungen von Führungskräften der Lebenshilfe, zu denen es nach der Sendung gekommen sein soll. Die Methoden des Enthüllungsjournalisten Wallraff sind umstritten. „Die Sendungen von ,Team Wallraff` folgen immer dem gleichen Prinzip“, sagt Herzog. Er hat von 1976 bis 1985 projektbezogen mit Wallraff zusammengearbeitet, insbesondere bei den Büchern über die „Bild“-Zeitung und bei dem Buch „Ganz unten“ über einen Gastarbeiter. Inzwischen zählt Herzog zu den Kritikern Wallraffs. Zunächst suche die Redaktion Unternehmen oder Einrichtungen, bei denen die Mitarbeiter besonders hohen Belastungen ausgesetzt seien und denen die Einhaltung rechtlicher Vorschriften im betrieblichen Alltag Probleme bereite, so Herzog. Es würden Mitarbeiter ins Visier genommen, die aufgrund mangelnder Ausbildung, fehlender Berufserfahrung oder geringer Persönlichkeit zu Verfehlungen neigten. RTL-Reporterin Lobig, die aus der Pfalz stammt, beschreibt ihr Vorgehen so: „Wir erhalten viele Hinweise aus der Bevölkerung, sprechen mit ehemaligen und noch aktiven Mitarbeitern. Im Fall meiner Heimat Speyer haben mir vier Informanten über die Zustände bei der Lebenshilfe berichtet. Demnach läuft es in einigen Abteilungen nicht gut. Die Wohngruppe, in der ich gedreht habe, war am schlimmsten.“ Lobig hatte sich, wie berichtet, unter falschem Namen im Sommer 2016 bei der Lebenshilfe Speyer-Schifferstadt als Praktikantin beworben. Herzog kritisiert: „Die heimlichen Dreharbeiten dauern so lange, bis scheinbar ,handfeste Beweise` für ein vermeintliches Fehlverhalten gefunden wurden. Szenen, die die betroffenen Mitarbeiter in positivem Licht erscheinen lassen, fallen dagegen unter den Tisch.“ Im Film ist beispielsweise ein Mann mit Handicap zu sehen, der sich nur über das Stampfen mit dem Fuß mitteilen kann. Er sitzt einige Stunden in einem dunken Raum. Zu sehen ist, wie Betreuer ihn für sein Einnässen damit bestrafen, wie Lobig in dem Film erläutert. Herzog wirft Wallraff zudem vor, dass Monate oder Jahre vergehen, bis Missstände den Behörden und Betrieben mitgeteilt würden. Die Speyerer Lebenshilfe erhielt laut deren Geschäftsführer Michael Thorn im Januar ein Schreiben von Info-Network, einer Tochtergesellschaft von RTL. Die Lebenshilfe habe daraufhin mit allen Mitarbeitern gesprochen sowie die Beratungs- und Prüfbehörde eingeschaltet. Die Heimleitung und ein Mitarbeiter der Einrichtung hatten am 24. Januar Selbstanzeige bei der Polizei Speyer erstattet. Thorn wünschte sich, er hätte früher von den Vorgängen in seinem Haus erfahren. Dem entgegnet Lobig: „Wir haben in fünf Einrichtungen verdeckt gedreht. Hätte ich das sofort mitgeteilt, wären die anderen Drehs nicht erst zustande gekommen. Dann hätte man nicht erfahren, wie viele Missstände es auch anderswo gibt.“ Laut Herzog erhalten die betroffenen Betriebe umfangreiche Fragebögen von Info-Network: „Die Vorwürfe werden zwar benannt, aber zunächst ohne jede Konkretisierung, sodass die Verantwortlichen trotz gründlicher interner Nachforschungen keine Gelegenheit erhalten, die Vorwürfe auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen.“ Thorn bestätigt dies. Erst nach der Ausstrahlung der Sendung zog die Lebenshilfe personelle Konsequenzen, weil sie laut Thorn vorher nicht wusste, um welche Mitarbeiter und welche Verfehlungen es konkret ging. Lobig argumentiert: „Wenn alles vor der Sendung bekannt wird, laufen wir Gefahr, dass die Ausstrahlung gerichtlich gestoppt wird.“ Der Berliner Medienrechtsexperte David Geßner ordnet den Fall wie folgt ein: „Grundsätzlich wiegt dort das Recht auf Privatsphäre, das Recht am eigenen Bild und auch das Recht auf Intimsphäre schwerer als das besondere öffentliche Interesse.“ Gerade, weil in dem Beitrag Kranke gezeigt wurden. Seiner Einschätzung nach wäre die Ausstrahlung gerichtlich gestoppt worden. Die Folgen für die Gezeigten seien weitreichend: „Selbst wenn die Bewohner und Betreuer unkenntlich gemacht werden, können sie beispielsweise aufgrund eines markanten Körperumfangs von anderen identifiziert werden.“ In dem konkreten Fall der Lebenshilfe ist der Rechtsanwalt, der auf Persönlichkeitsverletzungen spezialisiert ist, der Ansicht: „Würden Journalisten nicht über solche Missstände berichten, würden sie vielleicht nie aufgedeckt und es würde sich nichts ändern. Aber ich bin der Meinung, dass im Fall der Lebenshilfe Videoaufnahmen völlig unangebracht sind. Man hätte auch anders darüber berichten können – wenn überhaupt. Hier wird der Mehrwert der Gesellschaft auf dem Rücken der Kranken generiert. Der Sender macht Quote und nimmt dies in Kauf.“

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