Rheinland-Pfalz Untersuchungsausschuss: Enttäuschung und neue Vorwürfe um Missbrauchsfälle an Homburger Klinik

Der kaufmännische Direktor des Uniklinikums in Homburg, Ulrich Kerle, wies am Mittwoch den Vorwurf eines „Kartells des Schweigen
Der kaufmännische Direktor des Uniklinikums in Homburg, Ulrich Kerle, wies am Mittwoch den Vorwurf eines »Kartells des Schweigens« zurück. Foto: dts

Ein „Kartell des Schweigens“ habe es am Uniklinikum des Saarlands (UKS) in Homburg nicht gegeben: Das UKS nutzte den Auftakt des Untersuchungsausschusses Missbrauchsverdacht am Mittwoch erneut, um Vorwürfe zurückzuweisen. Die Abgeordneten im Ausschuss dagegen waren von den Erklärungen der vier Verantwortlichen teils schwer enttäuscht. Ein neuer Verdachtsfall spielte ebenfalls eine Rolle.

Kameras und Mikrofone sind bereit, als am Mittwoch um 9.30 Uhr der neue parlamentarische Untersuchungsausschuss am Saar-Landtag seine Arbeit aufnimmt. Das Medieninteresse ist groß an dem Skandal am Universitätsklinikum des Saarlands (UKS). Warum konnte ein offenbar pädophil veranlagter, 2016 verstorbener Assistenzarzt an der Kinderpsychiatrie des UKS trotz Hinweisen auf sexuelle Übergriffe an seinen kleinen Patienten mehrere Jahre weiterarbeiten? Und wer ist dafür in der Ärzteschaft, am staatlichen Klinikum und auch politisch verantwortlich? Warum haben Staatsanwaltschaft und Klinikum Eltern möglicher Opfer über Vorfälle zwischen 2010 und 2014 erst in diesem Sommer informiert, obwohl die Justiz zumindest einen Fall anklagereif hatte? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Untersuchungsausschuss unter CDU-Vorsitz.

Verantwortliche erklären sich drei Stunden lang

Vier Verantwortliche des UKS waren als Betroffene geladen: der kaufmännische Direktor Ulrich Kerle, die Justiziarin des UKS, sowie zwei leitende Mediziner, beide Vorgesetzte jenes Assistenzarztes. Drei von ihnen bezogen persönlich Stellung zu den Abläufen in jener Zeit, als der junge Arzt fast 300 Kinder und Jugendliche unter anderem wegen Bettnässens behandelte – dabei aber medizinisch nicht angezeigte Untersuchungen vornahm. Der frühere Leiter der Kinderpsychiatrie, Professor G., ließ sich durch seinen Anwalt vertreten. Mit dem, was da am Mittwoch fast drei Stunden lang hinter verschlossenen Türen gesagt wurde, waren die wenigsten Ausschussmitglieder zufrieden. Jutta Schmitt-Lang (CDU) sprach hinterher von „einem langen Weg der Aufarbeitung“. Eine zufriedenstellende Antwort darauf, warum die Eltern damals von den bis zum Tod des Assistenzarztes dauernden staatsanwaltlichen Ermittlungen und den im Raum stehenden Vorwürfen nichts erfahren haben, habe sie nicht erhalten. Ähnlich enttäuscht zeigte sich Dennis Lander (Linke): „Echter Aufklärungswille und eine Kultur des Hinschauens sehen anders aus.“ Es habe viele „widersprüchliche Aussagen“ gegeben. SPD-Obmann Jürgen Renner erklärte, dass fast alle Gehörten „keine echte Einsicht“ zeigten. Einzig der Justiziarin habe es „leidgetan“, dass Eltern nicht früher etwas erfahren hätten. Der Psychiatrie-Professor habe sich Renner zufolge sogar selbst als Opfer einer Vorverurteilung dargestellt. „Das ist absolut nicht angemessen“, so der SPD-Politiker.

UKS: „Kein Kartell des Schweigens“

Der kaufmännische Direktor des UKS, Ulrich Kerle, wies auf Journalistennachfrage erneut Vorwürfe gegen das Klinikum zurück. Man gehe „transparent“ mit den Vorwürfen und den Vorfällen um. „Es gibt kein Kartell des Schweigens.“ Zugleich räumte er ein, dass es aus heutiger Sicht ein Fehler gewesen sei, den Aufsichtsrat des Klinikums damals nicht informiert zu haben. Zu einem jetzt bekannt gewordenen neuen Missbrauchs-Verdachtsfall an der HNO-Klinik des UKS in 2012 wollte er auf RHEINPFALZ-Nachfrage nichts sagen. Im Gespräch mit der RHEINPFALZ erhob Opferanwältin Claudia Willger in diesem Fall am Mittwoch schwere Vorwürfe gegen Klinikum und Staatsanwaltschaft. Im Sommer 2012 war ihren Schilderungen zufolge während einer Mandel-Operation bei einem sechsjährigen Mädchen frisches Blut im Genitalbereich entdeckt worden: ein Dammriss – ein Riss von der Scheide bis zum After, den Frauen bei einer heftigen Geburt erleiden können. Das Klinikum bestätigte jetzt, dass es sich um eine Verletzung im Analbereich handelte, von der man wusste. Die genaue Ursache habe aber intern nicht geklärt werden können. Laut Anwältin Willger ist die Mutter des Mädchens von dem Befund der Rechtsmedizin des UKS 2012 unterrichtet worden. Die hinzugezogene klinikinterne Kinderschutzgruppe habe der Frau jedoch von einer Anzeige abgeraten.

Klinikum wusste von frischen Verletzungen

Mit „ungeheuerlicher“ Begründung, so Willger: zum einen, um die Tochter vor psychischen Schäden zu bewahren. Noch heute wisse das Mädchen übrigens nichts davon. Zum anderen, so hieß es, hätte eine Anzeige Vertuschungen künftiger Fälle zur Folge. Ärzte würden dann darauf verzichten, die Kinderschutzgruppe einzuschalten und hausintern zu informieren. Laut Willger wusste die Justiziarin des UKS Anfang August 2012 von den Verletzungen der Sechsjährigen durch Gewalteinwirkung. Warum sie nicht die Polizei eingeschaltet hat, ist bislang ungeklärt. Ihr Anwalt wollte sich dazu gestern nicht äußern. Auch das Klinikum schwieg dazu.

Staatsanwaltschaft entschied sich schnell um

Die Staatskanzlei will erst am 25. Juni 2019 von dem Fall vor sieben Jahren erfahren haben – durch einen Anruf der Mutter, die durch Berichte über den Skandal im Sommer 2019 aufgeschreckt worden war und nach einem Zusammenhang suchte. Vor vier Monaten fragte sie bei der Staatsanwaltschaft nach. Die aber verneinte im Juli noch einen Anfangsverdacht. Nur einen Monat später war das anders: Seitdem untersucht die Behörde den Fall. Angeblich gab es Druck von ganz oben, von Ministerpräsident Tobias Hans.

Ist vom Auftakt des Untersuchungsausschusses Missbrauchsverdacht am Uniklinikum sichtlich enttäuscht: Obmann Jürgen Renner (SPD)
Ist vom Auftakt des Untersuchungsausschusses Missbrauchsverdacht am Uniklinikum sichtlich enttäuscht: Obmann Jürgen Renner (SPD). Foto: dts
Hier soll ein früherer Assistenzarzt zahlreiche Kinder sexuell missbraucht haben. Der Untersuchungsausschuss nahm am Mittwoch se
Hier soll ein früherer Assistenzarzt zahlreiche Kinder sexuell missbraucht haben. Der Untersuchungsausschuss nahm am Mittwoch seine Arbeit auf. Foto: dts
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