Rheinland-Pfalz BASF-Prozess: „Sehr sehr unwahrscheinlich“

Hat er mehrere Theorien zur Unglücksursache zu einem neuen Szenario verbunden: Rechtsanwalt Carsten Tews mit dem Angeklagten und
Hat er mehrere Theorien zur Unglücksursache zu einem neuen Szenario verbunden: Rechtsanwalt Carsten Tews mit dem Angeklagten und einem Dolmetscher.

Im Prozess um das BASF-Unglück haben die Richter und der Verteidiger gestern Theorien aufgegriffen, die eines verbindet: Sie sollen erklären, wie es auch ohne einen Fehler des Angeklagten zur Explosionsserie gekommen sein könnte.

Fast kerzengerade steigt die tiefschwarze Rußwolke in den Himmel, unter ihr flackert im Rohrgraben am Ludwigshafener BASF-Nordhafen eine meterhohe rote Brandsäule. Deren gelblicher Kern allerdings lodert leicht verkrümmt in die Höhe. So zeigt es das Handyvideo eines Lastwagenfahrers, der in der Nähe war und durch seine Windschutzscheibe filmte, ehe er wegfuhr. Minuten später ließ die Brand-Hitze am 17. Oktober 2016 dann eine Pipeline bersten, in der verheerenden Explosionsserie starben fünf Menschen. Im Frankenthaler Prozess um das Inferno führt der Tüv-Gutachter Fritz Miserre die Aufnahme nun auf einer Leinwand vor. Denn er findet: Sie ist ein guter Beleg dafür, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage richtig liegt. Ein Schlosser soll bei Demontage-Arbeiten an einer leeren Pipeline das Feuer entfacht haben, als er Rohre verwechselte und mit einer Flex die falsche Leitung seitlich aufschlitzte. Denn später wurde ein passender Schnitt entdeckt. Und Miserre meint: Die Flamme auf dem Video krümmt sich, weil sie just von dieser Stelle aus emporlodert.

Wie der Gutachter die BASF in Schutz nimmt

Trotzdem wollen Richter und Anwälte von ihm wissen, ob nicht doch andere Ursachen für die Katastrophe denkbar wären. Außerdem soll der Gutachter beurteilen, ob die BASF mit besseren Verkehrungen hätte verhindern können, dass ein Brand an dieser Stelle so schlimme Folgen hat. Doch der Tüv-Experte nimmt das Unternehmen in Schutz und bekräftigt, was er zum Teil schon bei einem ersten Auftritt im Prozess ausgeführt hat: Ob etwa zusätzliche, fest installierte Wasserwerfer die Katastrophe noch hätten abwenden können, lasse sich nicht mit Sicherheit sagen. Vor allem aber bescheinigt er dem Konzern: Der habe für die Sicherheit alles getan, was in der Branche üblich und vorgeschrieben sei. Der Angeklagte sitzt währenddessen mit geschlossenen Augen da. Sein Verteidiger Carsten Tews fordert für seinen Mandanten immer wieder Pausen ein, weil der 63-Jährige von den Flammen auch selbst verletzt wurde und bis heute an den Folgen leidet. Am Vormittag dieses Verhandlungstags hat der gelernte Schlosser im Gerichtssaal zum ersten Mal über das Unglück gesprochen und gesagt: „Das hat mein Leben kaputtgemacht.“

Nach welchen anderen Theorien die Richter fragen

An die entscheidenden Augenblicke kann er sich nach eigenen Angaben allerdings nicht erinnern. Doch er beteuert: „Ich denke, ich war am richtigen Rohr.“ Und so präsentieren die Richter dem Tüv-Fachmann jetzt verschiedene im Prozess schon mehr oder weniger deutlich angesprochene Szenarien, die eines verbindet: Sie unterstellen, dass der Brand ausbrach, obwohl der Angeklagte keinen Fehler gemacht hatte. Etwa, weil in der geleerten Leitung doch noch Chemikalien waren. Oder weil sich gefährliche Stoffe unbemerkt im Boden angesammelt hatten. Verteidiger Tews verknüpft mehrere dieser Ansätze schließlich in einer neuen Theorie. Denn er räumt ein: Die auszutauschende Leitung war schon an mehreren Stellen zerschnitten. Demnach kann es dort keine Chemikalienreste mehr gegeben haben, die minutenlang eine meterhoch lodernde Flamme nährten. Wenn überhaupt, dann könnten nur noch Mini-Mengen zurückgeblieben sein. Also fragt der Jurist, ob beim Flexen zunächst ein kleines Feuer entstanden sein könnte. Und ob das dann ein unentdecktes Gas-Leck an einer weiteren Pipeline hätte entzünden können.

Warum ein Anwalt eine Schadstellen-Liste kritisiert

Damit knüpft er indirekt an einer Kritik an, die der Opfer-Anwalt Alexander Klein zuvor vorgebracht hat. In den Prozessakten ist zwar aufgeführt, dass die BASF bei eigenen Kontrollen an den Rohren in der Nähe der späteren Unglücksstelle immer wieder Schadstellen entdeckt hatte. Doch die Dokumente verraten nicht, um was für Mängel es dabei ging. Zusammengestellt hat diese Listen ein weiterer Tüv-Experte. Also überlegen die Juristen nun, ob sie auch ihn noch in den Prozess einbestellen. Doch erst einmal hören sie, was Miserre zu den verschiedenen Theorien sagt, die den Angeklagten entlasten könnten. Und die hält der Fachmann allesamt für „sehr, sehr unwahrscheinlich“. Allerdings muss er auch zugestehen: Nach den Verwüstungen so einer gewaltigen Explosionsserie lässt sich kaum etwas mit allerletzter Sicherheit ausschließen. Ein Rest an Unsicherheit bleibt sogar bei der Interpretation der Aufnahmen, die der Lastwagenfahrer ganz aus der Nähe durch seine Windschutzscheibe gemacht hat. Anwalt Tews will von Miserre wissen: Zeigt das Video tatsächlich, dass die gekrümmte Flamme aus genau dem Rohr emporlodert, das sein Mandant aus Versehen aufgeschlitzt haben soll? Doch der Tüv-Gutachter sagt: „Man sieht die Leitung nicht direkt.“

x