Pfalz Juso-Chef Kühnert wirbt für Nein zum Koalitionsvertrag

Rechts Kevin Kühnert, links Daniel Stich, Generalsekretär der SPD Rheinland-Pfalz. In der Mitte Jana Schneiß von den Jusos. Foto
Rechts Kevin Kühnert, links Daniel Stich, Generalsekretär der SPD Rheinland-Pfalz. In der Mitte Jana Schneiß von den Jusos.

(Aktualisiert, 24. Februar, 9.40 Uhr) „Die GroKo hat uns in unserem Denken sehr klein werden lassen“, sagte am Freitagabend in Mainz Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos. Der Koalitionsvertrag wecke Erwartungshaltungen, die nicht bedient werden. Die Gemeinsamkeiten mit der Union seien aufgebraucht.

Stimmung ruhig und diszipliniert



Das Haus am Dom in Mainz ist kein Hort des Aufstandes oder der Revolution. Und auch an diesem Freitagabend bleibt die Stimmung ruhig, diszipliniert, fast besonnen. Kevin Kühnert macht auf seiner „NoGroKo-Tour“ Station in der Landeshauptstadt.

Großes Interesse, viele Besucher



Selbst auf den Stehplätzen wird es eng, so groß ist der Andrang. Etwa 200 vorwiegend junge Menschen sind gekommen. Juso-Mitglieder, aber nicht nur. Gegner einer erneuten Großen Koalition mit der CDU - mit Ausnahmen. Wer hitzige Gemüter erwartet, kampfeslustige Genossen, die, wie es im neuen Politsprech heißt, „den Saal rocken“, erlebt an diesem Abend etwas ganz anderes.

Neue politische Sachlichkeit



Eine neue politische Sachlichkeit und eine Ernsthaftigkeit - der Verantwortung angemessen, die auf den mehr als 460.000 SPD-Mitgliedern lastet, die noch bis zum 2. März darüber entscheiden, ob ihre Partei mit der CDU koalieren wird oder ob es ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl weiter offen bleibt, wie Deutschland regiert werden soll.

Generalsekretär Stich hält Gegenrede



Daniel Stich ist gekommen, der Generalsekretär der Rheinland-pfälzischen SPD, um die Gegenrede zu Kühnert zu halten und für ein „Ja“ zum Koalitionsvertrag zu werben. „Die Menschen da draußen verstehen es nicht, wenn wir jetzt mit Nein stimmen“, sagt Stich und warnt davor, dass die SPD bald schon an Wahlkampfständen in Erklärungsnot geraten könne. Er spricht davon, dass die Partei angesichts ihres Wahlergebnisses von 20,5 Prozent sehr viel in den Verhandlungen herausgeholt hat. Das Schreckgespenst Neuwahl steht im Raum, die Angst vor einem weiteren Absturz der SPD, vor dem Undenkbaren, dem Überholtwerden von der AfD.

Kühnert: Es geht nicht um richtig oder falsch



Ist es jugendlicher Übermut, der die Jusos stattdessen von einer Minderheitenregierung der CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel sprechen lässt? „Ich habe keine Glaskugel“, sagt Kevin Kühnert. Aber der Charme wäre, dass sich der Fokus von der SPD auf die CDU verlagern würde, wenn es darum gehe, dass Merkel zur Kanzlerin einer Minderheitsregierung gewählt würde. Überhaupt: Bei der jetzt anstehenden Entscheidung gehe es nicht um richtig oder falsch.

Kühnerts Wette auf die Zukunft



„Wir schließen ein Stück weit eine Wette auf die Zukunft ab“, sagt er und versichert, dass es beiden Seiten um die Zukunft der SPD gehe, dass die Partei stellvertretend für die Gesellschaft eine Debatte in einer veränderten Parteienlandschaft führe. Kühnert fokussiert den Blick auf die SPD. „Die GroKo hat uns in unserem Denken sehr klein werden lassen.“ Es gebe Ansprüche, die es nicht einmal in das eigene Wahlprogramm geschafft hätten, weil der Kompromiss schon vorweggenommen sei. „Waren unsere Antworten nicht zu klein, haben uns unsere Kompromisse uns nicht zu schräg werden lassen?“

Unterschied zwischen Grundsicherung und Solidarrente



Dann seziert er die vermeintlich erfolgreich verhandelte Grundsicherung und ihren Unterschied zur Solidarrente, die der SPD einmal vorgeschwebt hat. Darin sollte festgelegt sein, dass jemand, der 35 Jahre gearbeitet hat, zehn Prozent Aufschlag auf die Grundsicherung erhalten würde. „In Rentenpunkten, automatisch“, sagt Kühnert. Die Grundrente dagegen unterliege einer Bedürftigkeitsprüfung. Wer seinen berechtigten Anspruch geltend machen wolle, müsse erst zum Amt, seinen Antrag stellen und seine persönlichen Verhältnisse offen legen.

Kostenvergleich zeigt große Differenz



Und dann zitiert Kühnert Martin Schulz, der mehr Respekt vor der Lebensleistung von Menschen gefordert hat. „Aber wir können doch nicht erwarten, dass die Leute strahlend aus dem Grundsicherungsamt herauskommen“, sagt Kühnert und verzichtet darauf, den Satz durch eine veränderte Tonlage in seiner Wirkung zu verstärken. Aber sachlich legt er nach: Während die Kosten für die Solidarrente mit mehreren Milliarden Euro angegeben wurden, würden für die Grundsicherung nur 600 bis 900 Millionen Euro eingeplant. Darauf spekulierend, dass die Leute ihre Ansprüche nicht geltend machten. „Wenn wir in der Partei keine Antworten mehr auf die gerechte Verteilung haben, dann werden uns Maßnahmen wie diese nichts bringen.“

Juso-Chef sieht Uneinigkeiten in Partei



Kühnert geht mit den eigenen Genossen hart ins Gericht. Über die Bürgerversicherung, wie sie während der Verhandlungen mit der CDU gefordert wurde, werde auch innerparteilich noch gerungen. „Wir tragen Sprechblasen vor uns her, aber in der Ausarbeitung sind wir gar nicht so einig.“ Zum vierten Mal sei die Partei damit bereits in den Wahlkampf gezogen, aber längst bestehe in der konkreten Ausgestaltung keine Einigkeit mehr. Bei der sachgrundlosen Befristung hinterfragt Kühnert, ob es tatsächlich 400.000 Personen seien, die von der vereinbarten, abgeschwächten Regelung profitierten. Oder ob die Arbeitgeber nicht schon an Möglichkeiten arbeiteten, um die Vorschriften zu umgehen.

Stich: „Schmerzlicher Kompromiss“



Stich spricht von einem schmerzlichen Kompromiss. Er wirbt für das Erreichte, auch in der Frage des Familiennachzugs von subsidiär geschützten Flüchtlingen: 1000 Personen monatlich ab August. „Mehr war nicht drin, weil die Union keinen Nachzug wollte. Soll ich jetzt nein zum Vertrag sagen, weil ich 5000 im Monat will?“ Kompromisse verteidigen muss Kühnert nicht in seiner Rolle. Auf die Frage, was das beste Argument der GroKo-Befürworter sei, antwortet er: „Kurzfristig lässt sich in der Koalition natürlich mehr sozialdemokratische Politik umsetzen als in der Opposition. Aber mittel- und langfristig könnte es die SPD die eigene Existenz kosten“, fürchtet er. „Und das ist ja keine Selbstbespaßung an sich.“

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