Wissen Der Mensch und der Wald: Bäume hegen keine Muttergefühle

Viele Menschen fühlen sich dem Wald und den Bäumen besonders verbunden.
Viele Menschen fühlen sich dem Wald und den Bäumen besonders verbunden.

Pflanzen, vor allem Bäumen, werden in vielen populären Veröffentlichungen Fähigkeiten zugeschrieben, wie sie in der Tier- oder Menschenwelt bekannt sind. Dafür gibt es aber keine wissenschaftlichen Beweise, betont eine Expertengruppe.

Angeblich sind Bäume, wie in populärwissenschaftlichen Büchern zu lesen ist, zur Kommunikation untereinander und zu Gefühlen fähig sowie in der Lage, wie Mütter für ihren Nachwuchs zu sorgen. In einem Beitrag für das Review Journal „Trends in Plant Science“ sind 32 internationale Pflanzen- und Forstwissenschaftler solchen Zuschreibungen nachgegangen. Die Forscherinnen und Forscher haben, koordiniert durch David G. Robinson vom Centre for Organismal Studies der Universität Heidelberg, solche Aussagen zum Thema Wald analysiert. Sie kommen zu dem Schluss, dass hier Mutmaßungen mit Fakten gleichgesetzt werden, und warnen davor, Pflanzen zu „vermenschlichen“.

In Bestsellern wie „Das geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben oder „Finding the Mother Tree“ (deutscher Titel „Die Weisheit der Bäume“) von Suzanne Simard geht es um das mutmaßlich verborgene Leben der Bäume und die Suche nach dem sogenannten Mutterbaum. Darin würden Bäumen menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben, so die Wissenschaftler, darunter die Fähigkeit, Schmerz oder Glück zu empfinden und altruistisch zu handeln.

„Mutterbaum“-Konzept nicht haltbar

Für beide Veröffentlichungen weisen Robinson und seine Co-Autoren nach eigenen Angaben anhand vorhandener Forschungsliteratur detailliert nach, dass zentrale Aussagen wissenschaftlich nicht haltbar seien. So werde beispielsweise die Behauptung, wonach Bäume einer Art sich gegenseitig unterstützen und am Leben halten, durch viele Forschungsarbeiten zur Bedeutung innerartlicher Konkurrenz klar widerlegt. Für den Heidelberger Wissenschaftler und seine Kollegen ist mit Blick auf neue Untersuchungen auch das „Mother Tree“-Konzept nicht haltbar.

So seien diesem Mutterbaum-Konzept zugrundeliegende Publikationen, die vermeintlich einen gezielten Transfer von Kohlenstoff von älteren zu jüngeren Bäumen mittels vernetzender Pilze – den sogenannten Mykorrhizzen – belegen können, unter anderem wegen fehlender Kontrollvarianten inkorrekt. „Und dort, wo die Daten einen solchen Transfer tatsächlich nahelegen, ist die ausgetauschte Kohlenstoffmenge so gering, dass sie für den empfangenden Baum physiologisch völlig irrelevant ist“, sagt Robinson. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren zudem, dass in beiden Büchern für bestimmte Aussagen Quellen als Belege verwendet würden, die kein qualitätssicherndes Begutachtungsverfahren durchlaufen hätten.

Fatale Folgen für Anpassung der Wälder

Die Teilnehmer der Meta-Studie verweisen darauf, dass es fatale Folgen für die Anpassung der Wälder an den Klimawandel haben könnte, wenn politische Weichenstellungen dafür nicht auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern auf „der Grundlage wohlklingender, aber falscher Botschaften“ getroffen werden, so Robinson. Zur Gruppe der Autoren gehören Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Göttingen ebenso wie aus Chile, Großbritannien, Irland, Israel, Kanada, Österreich, Schweden, der Schweiz, Spanien und den USA. Sie vertreten die Fachbereiche Biologie, Forstwissenschaften und Pflanzenwissenschaften.

Zu den Mitverfassern der Analyse von 87 wissenschaftlichen Publikationen gehörte der Waldökologe Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme. „Wir fanden keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Bäume schwächere Individuen der gleichen Baumart unterstützen. Im Gegenteil: Es existieren belastbare wissenschaftliche Belege, dass es sowohl zwischen Bäumen gleicher wie auch unterschiedlicher Art zu Konkurrenz um begrenzte Wuchsressourcen wie Licht, Wasser und Nährstoffe kommt“, berichtet er. Ebenfalls nicht wissenschaftlich belegbar sei die Annahme, dass sich Bäume über das Pilznetzwerk quasi wie über ein „Wood Wide Web“ miteinander austauschen.

„Bäume sind anders als wir und das ist großartig“

„Letztlich zielen die beiden Bücher nicht auf eine rein faktenbasierte Beschreibung von Bäumen, Pflanzen und Pilzen ab, sondern auf eine Zuschreibung menschlicher Eigenschaften, die es erlauben, dass wir uns mit ihnen identifizieren“, sagt Andreas Bolte.

Dies verstelle aber den Blick auf die faszinierenden und einzigartigen Eigenschaften und Leistungen dieser Organismen jenseits menschlicher Ähnlichkeiten, ohne die es unsere bekannte Welt nicht gäbe. Hierzu gehören die Photosynthese, die Biomasse überhaupt erst erzeugt, ausgefeilte Wassertransportsysteme, die ein Leben an Land ermöglichen und vieles mehr. „Bäume sind anders als wir Menschen, und das ist großartig“, hebt der Waldökologe Andreas Bolte hervor.

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