Wirtschaft Wirecard: Suche nach mysteriösen Milliarden

Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun muss sich derzeit vor Gericht verantworten. Der Insolvenzverwalter widerspricht
Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun muss sich derzeit vor Gericht verantworten. Der Insolvenzverwalter widerspricht in einem Bericht einem zentralen Punkt in Brauns Verteidigungslinie.

Während der Münchner Wirecard-Betrugsprozess in die Weihnachtspause geht, enthüllt Insolvenzverwalter Michael Jaffe pikante Details.

Es ist der inzwischen vierte Sachstandsbericht von Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffe. Der Jurist fahndet in den Trümmern des früheren Dax-Konzerns nach verwertbaren Resten, um bislang aufgelaufene Forderungsanmeldungen von gut 18,2 Milliarden Euro möglichst gut bedienen zu können. Der Bericht, der dieser Zeitung vorliegt, befasst sich deshalb mit 1,9 Milliarden Euro Treuhandvermögen, die einmal in Wirecard-Bilanzen geführt wurden. Ob diese Gelder je existiert haben oder nur erfunden waren, ist Kernfrage auch des aktuellen Strafprozesses vor dem Landgericht München. Jaffe findet dazu eine klare Antwort.

„Die vermeintlichen Treuhandgelder … mit Milliardenbeträgen hat es bei Wirecard nicht gegeben, weder im Jahr 2018 noch 2019 noch in Vorjahren“, schreibt er im Report.

Der im Prozess angeklagte Markus Braun als ehemaliger Wirecard-Chef behauptet das Gegenteil. Das Geld habe existiert. Es sei nur von anderen geraubt worden, er selbst ein Opfer und kein Täter. Jaffe bietet für seine Variante der Wahrheit indessen mehr als nur Vermutungen oder Indizien. Er hat Wirecard-Treuhandbanken unter die Lupe genommen.

Fälschungen bestätigt

Treuhandbanken auf den Philippinen haben ihm erklärt, dass frühere Bestätigungen über Guthaben gefälscht waren. Für zuvor angeblich existierende Konten in Singapur hat Jaffe bis ins Jahr 2006 zurückreichende Kontoauszüge besorgt. „Die bilanzierten Treuhandguthaben haben zu keinem Zeitpunkt existiert“, schreibt Jaffe nach Durchsicht aller Auszüge.

Gefunden hat der Insolvenzverwalter aber durchaus etwas. Zwei Treuhandkonten hätten Beträge von unter 3000 Euro, ein drittes eine Summe von drei Millionen Singapur-Dollars aufgewiesen, was gut zwei Millionen Euro entspricht. Ende 2018 hätten es nach der Wirecard-Bilanz 1,03 Milliarden Euro sein sollen. Genutzt wurden die vermeintlichen Treuhand- als Spesenkonten, vermutet Jaffe.

Mehr als 600 Zahlungen in Tanzbar

„Es wurden … Einkäufe getätigt zum Beispiel Toys’R’Us (mindestens sechs Mal), Tankfüllungen bezahlt (mehr als 90 Mal) und insbesondere an Wochenenden wurde wohl häufig die Tanzbar Hedgehog in der Clive Street besucht, wofür mehr als 600 Zahlungen geleistet wurden“, schreibt Jaffe. In der Bar sei das dortige Terminal genutzt worden, um Bargeld abzuheben. Die Kontoauszüge würden damit belegen, dass es weder die Treuhandmilliarden noch vorgeschaltete Drittpartnergeschäfte bei Wirecard gegeben hat, folgert Jaffe.

Er hat noch weiter geforscht und die Kreditkartenfirmen Mastercard sowie Visa, über die Wirecard abgerechnet haben will, um Auskunft gebeten. Diese Transaktionen hat der Skandalkonzern als Beweis zur Existenz von Drittpartnergeschäft angeführt. Ergebnis: Die angeblichen Transaktionen wurden nie prozessiert, vorgelegte Buchungslisten haben sich als falsch erwiesen. Es lasse sich damit nachweisen, „dass die Behauptung von Wirecard, ein profitables Drittpartnergeschäft geführt zu haben, falsch war“, schreibt Jaffe.

Wirecard-Beschäftigte befragt

Vom Insolvenzverwalter gefragte Wirecard-Beschäftigte konnten keinen Vorgang benennen, bei dem ein angeblicher Händler aus dem Drittpartnergeschäft nachweisbar vermittelt worden wäre. Nach der Wirecard-Pleite habe sich auch keiner der angeblichen Händler beim Insolvenzverwalter gemeldet, was undenkbar wäre, wenn es sie gäbe. Denn nach den Wirecard-Büchern haben sie dort 2019 rund 51 Milliarden Euro bewegt.

Es geht noch weiter. Gut ein Drittel der angeblich existierenden Händler hatte ihren Sitz im britischen Consett. Dort seien Einwohner der Gemeinde überredet worden, als Geschäftsführer von Briefkastenfirmen zu fungieren, wird im Sachstandsbericht erklärt. Ein Drittel der geprüften Händler hätten in Wohnhäusern firmiert. Auch Geldwäsche könnte eine Rolle gespielt haben.

Für Brauns Staranwälte zahlt die Versicherung

Jaffe erklärt ferner, warum sich Braun im Münchner Betrugsprozess eine Riege von Staranwälten leisten kann, obwohl sein Vermögen von Behörden eingefroren wurde. Bedient werden die Anwaltskosten aus einer Managerhaftpflichtpolice, die Wirecard für das eigene Spitzenpersonal abgeschlossen hat. Zwar wollte der Versicherer wegen arglistiger Täuschung erst nicht zahlen. Braun hat aber per Gerichtsurteil eine Zahlung erstritten, und zwar eine äußerst üppige.

„Herr Doktor Braun … erhält ausweislich des Urteils nicht nur eine Erstattung für die Kosten der Rechtsverteidigung, sondern – zumindest vorübergehend – auch für die Kosten einer PR-Beratung“, schreibt Jaffe. Dafür habe der Hauptangeklagte des Prozesses „bereits erhebliche Beträge im zweistelligen Millionenbereich“ ausgegeben.

Zum Wirecard-Prozess:

Kronzeuge erhebt schwere Anschuldigungen

Die rauchende Pistole fehlt

x