WIRECARD-PROZESS Kronzeuge erhebt heftige Anschuldigungen

Der Kronzeuge teilt aus und gesteht auch Schuld ein: der frühere Wirecard-Manager Oliver Bellenhaus (links). Im Hintergrund (r.)
Der Kronzeuge teilt aus und gesteht auch Schuld ein: der frühere Wirecard-Manager Oliver Bellenhaus (links). Im Hintergrund (r.) der ehemalige Unternehmenschef Markus Braun. Rechts Bellenhaus-Anwalt Florian Eder.

Ex-Manager Oliver Bellenhaus gesteht, bei Wirecard manipuliert und betrogen zu haben. Der mitangeklagte Kronzeuge packt schonungslos aus. Der Bandenchef sei Markus Braun gewesen.

Es ist der Beginn eines langen Auftritts von Oliver Bellenhaus. Über mehrere Prozesstage will der mitangeklagte Kronzeuge im Wirecard-Betrugsprozess enthüllen, wie dort 1,9 Milliarden Euro Konzernvermögen frei erfunden wurden.

Rasch geht es im Hochsicherheitssaal des Landgerichts München in die Vollen. „Wirecard war ein Krebsgeschwür, das wild und unentdeckt wucherte“, charakterisiert der 49-Jährige den früheren Dax-Konzern und gesteht Mitschuld. „Erst waren es kleine, dann große Lügen, aber ein Schwindel war die ganze Sache von Anfang an“, betont der Ex-Statthalter von Wirecard im arabischen Dubai. Dort saß er mit im Zentrum von ihm gestandenen Betrugs im Milliardenmaßstab. Haupttäter aber sei mit Markus Braun ein anderer gewesen.

„Absolutistischer Vorstandsvorsitzender“

Der war einmal Chef von Wirecard und sitzt nun mit dessen Ex-Chefbuchhalter Stefan E. sowie Bellenhaus auf der Anklagebank. „Doktor Braun ist ein absolutistischer Vorstandsvorsitzender gewesen, der sagte, wo es langgeht“, beschreibt der Kronzeuge das Wesen und die Rolle Brauns. Der habe geherrscht und Unangenehmes delegiert. Nun ist völlig klar, warum Brauns Anwalt zu Beginn des Prozesstags versucht hatte, die Erklärung von Bellenhaus zu verhindern und den Strafprozess auf unbestimmte Zeit verschieben zu lassen. Zumindest vorerst ist er damit gescheitert. Der Kronzeuge redet und redet und belastet seine beiden Mitangeklagten Braun und Stefan E. sowie andere Ex-Manager von Wirecard schwer.

Einer der mutmaßlichen Drahtzieher, Jan Marsalek, ist seit zweieinhalb Jahren flüchtig. „Ich erwarte nicht, dass Sie meine Anweisungen verstehen, sondern dass Sie sie umsetzen“, habe ihm dieser einmal klipp und klar erklärt, sagt Bellenhaus.

Der zweite Kopf der Managerbande?

Marsalek beschreibt er als zweiten Kopf der Managerbande, die alle kriminellen Taten gemeinsam geplant und ausgeführt habe. Ihm und Braun bescheinigt er machiavellistische Eiseskälte. Die Vorwürfe lauten Betrug, Untreue und Marktmanipulation, was einen Milliardenschaden hinterlassen hat.

Beim eigenen kriminellen Tun habe er eng mit dem Mitangeklagten Stefan E. und Marsalek kooperiert, beschreibt Bellenhaus. Persönlich miterfunden habe er Buchungen für angebliche Geschäfte in Asien, die dann in Wirecard-Bilanzen als echte Umsätze und Gewinne verbucht worden seien. Scheinverträge ohne reales Geschäft habe man fingiert, um von Braun vorgegebene Geschäftsprognosen auf dem Papier zu erfüllen. Um reales Geschäft zu simulieren, seien Gelder im Kreislauf von Tochter- zu Tochterfirma geschickt worden.

„Gradmesser war der Aktienkurs“

„Gradmesser war der Aktienkurs, und dafür war jedes Mittel recht“, betont der 49-Jährige. Bellenhaus spricht von einer „Unkultur“ bei Wirecard, die von blinder Loyalität zu Braun, Unterwürfigkeit und Willigkeit geprägt war. Das Ende kam im Juni 2020 mit der Wirecard-Insolvenz.

Als Höhepunkt der Scharade beschreibt Bellenhaus angebliche Treuhandguthaben von 1,9 Milliarden Euro. Das Geld habe es nie gegeben.

Anders sehen das Braun und Verteidiger Alfred Dierlamm. Ihnen zufolge hat es die 1,9 Milliarden Euro und darauf entfallende Geschäfte gegeben. Das Geld sei von einer Bande um Marsalek und Bellenhaus geraubt worden. Braun sei deren Opfer. Sich als Opfer zu inszenieren, sei bekanntes Wirecard-Muster, kontert Bellenhaus. „Brauns Taktik war stets, falsche Fährten zu legen“, betont er. Das „gelebte System des offenen Betrugs“ bei Wirecard gehe maßgeblich auf Braun zurück. Eigenes Zutun stellt der Kronzeuge nicht in Abrede. „Ich bereue zutiefst, wesentliche Voraussetzungen für einen immensen Schaden geschaffen zu haben“, sagt Bellenhaus. Wirecard sei ein Unternehmen von Hasardeuren, Kriminellen und Verrätern gewesen. „Ich schließe mich jeder dieser Klassifizierungen bewusst an“, betonte der Mitangeklagte.

Spannung bei Fortsetzung garantiert

Auch Braun will nun reden. Dierlamm stellt für die zweite Januar-Hälfte eine Erklärung seines Mandanten in Aussicht. Zuvor will Richter Markus Födisch noch über die beantragte Prozessaussetzung entscheiden. Spannung ist garantiert.

x