Wirtschaft Finanz-Tipp: Sozialamt fordert bei Pflegefällen häufig zu viel

Können pflegebedürftige Eltern die Kosten für das Heim nicht mehr aufbringen, steht der eigene Nachwuchs in der Pflicht.
Können pflegebedürftige Eltern die Kosten für das Heim nicht mehr aufbringen, steht der eigene Nachwuchs in der Pflicht.

Über Nacht kann alles anders sein: Werden Mutter und Vater schwer krank, stehen plötzlich die Kinder in der Verantwortung. Und es taucht die bange Frage auf: Wie viel muss man finanziell schultern, wenn Rente, Vermögen der Eltern und die Leistungen der Pflegeversicherung nicht mehr reichen, um das Heim zu zahlen?

Zunächst springt das Sozialamt ein. Aber die Behörde versucht, Geld vom Nachwuchs zurückzuholen. Nur: Wie groß wird die Belastung sein? „Niemand muss wegen des Elternunterhalts um seinen Lebensstandard bangen“, sagt Jörn Hauß, Fachanwalt für Familienrecht aus Duisburg. Kinder dürfen mittlerweile mehr Geld für sich behalten, bevor sie ihre Eltern finanziell unterstützen müssen. Aufgepasst: Die Forderungen des Sozialamts sind häufig zu hoch angesetzt. Betroffene sollten in jedem Fall nachrechnen lassen.

Wann müssen Kinder zahlen?

Verwandte in gerader Linie sind nach Paragraf 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches zum Unterhalt verpflichtet, so auch Kinder gegenüber ihren Eltern. Die Furcht vieler, mit Haus und Hof geradestehen zu müssen, ist aber unbegründet. Erwachsene Kinder kommen erst dann ins Spiel, wenn ihre pflegebedürftigen Eltern die Kosten für Betreuung und Heim nicht mehr selbst aufbringen können. Lebt etwa die Mutter im Heim, ist erst der Vater in der Pflicht. Ihr Eigentum müssen sie nicht verkaufen, solange einer der beiden noch darin wohnt. Sind beide aus dem Haus, müssen sie es aber für die Heimkosten einsetzen. Ist das Vermögen der Eltern bis auf einen Schonbetrag von 5000 Euro erschöpft, fordert der Sozialhilfeträger die Ausgaben von den Kindern zurück. Gibt es Geschwister, wird bei allen geprüft, inwieweit sie zum Unterhalt beitragen können. Im Schnitt zahlen Sozialämter für mittellose Pflegebedürftige zwischen 500 und 1000 Euro im Monat. Kinder, die zahlen müssen, werden mit 200 bis 500 Euro im Monat zur Kasse gebeten. Ein zerrüttetes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ändert nichts an der Verpflichtung.

Was kommt auf Kinder zu?

Betroffene müssen nur so viel für den Unterhalt der Eltern zahlen, wie ihnen zuzumuten ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass ihr Lebensstandard geschützt ist (Az. XII ZR 266/99). Der Nachwuchs muss nur Mittel einsetzen, die er nicht für den Lebensunterhalt der eigenen Familie benötigt. Außerdem darf seine Altersvorsorge nicht angetastet werden (Az. BGH, XII ZR 98/04). Ein Durchschnittverdiener habe nichts zu befürchten, sagt Michael Baczko, Fachanwalt für Sozialrecht in Erlangen: „Dazu zählen etwa Verheiratete ohne Kinder mit bis zu 4000 Euro Nettoverdienst im Monat oder Alleinverdiener mit bis zu 2500 Euro.“

Wer muss mitzahlen?

Geschwister müssen anteilig nach ihrer Leistungsfähigkeit zahlen. Ist die Tochter beispielsweise ohne eigenen Verdienst und Vermögen, der Sohn berufstätig, wird nur er zur Kasse gebeten. Verlangt wird in jedem Fall, dass Geschwister ihre gesamten Finanzen bis ins Detail offen legen – und die des Ehepartners. Das Vermögen von Schwiegersöhnen und -töchtern bleibt erst einmal außen vor. Trotzdem haften auch sie indirekt, weil das gesamte Familieneinkommen betrachtet wird. Beispiel: Eine Hausfrau ohne Verdienst hat einen gut verdienenden Mann. Da sie gegen ihn einen Taschengeldanspruch hat, kann das Sozialamt einen Teil davon für den Unterhalt einfordern.

Wie wird gerechnet?

Zum Einkommen zählen neben dem Nettolohn inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld alle Einnahmen wie Arbeitslosengeld, Mieteinnahmen, Kapitalerträge oder Steuererstattungen. Bei Selbstständigen wird der Verdienst der letzten drei Geschäftsjahre als Basis genommen. Kindergeld zählt nicht mit. Als Selbstbehalt muss Alleinstehenden mindestens 1800 Euro im Monat bleiben, Verheirateten 3240 Euro. Dieser Betrag erhöht sich um notwendige Ausgaben wie etwa für den Unterhaltsanspruch eigener Kinder. Kredite, die schon vor der Pflegebedürftigkeit von Mutter oder Vater bestanden, werden oft anerkannt, aber nicht Autokredite, wie Baczko betont. Vorfahrt hat die Altersvorsorge. Arbeitnehmer und Beamte dürfen dafür monatlich 5 Prozent ihres Bruttolohns ausgeben. Wer nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, kann bis zu 25 Prozent einzahlen.

Was ist noch geschützt?

Wer ein Auto braucht, um zur Arbeit zu kommen, muss es nicht verkaufen. Tabu sind die selbst genutzte Immobilie, und Rückstellungen für notwendige Reparaturen. Was nach den komplizierten Berechnungen bleibt, ist das bereinigte Einkommen. Danach wird beurteilt, ob das Kind zahlen muss. Je mehr Kosten ein Unterhaltspflichtiger für sich selbst und seine Familie hat, desto weniger Elternunterhalt muss er zahlen. Einem 55 Jahre alten Kind mit einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro brutto stünde neben der selbst bewohnten Immobilie ein sogenanntes Schonvermögen von gut 250.000 Euro zusätzlich zu, wie Hauß erläutert. Orientierung kann ein Unterhaltsrechner bieten unter www.anwaelte-du.de (Elternunterhalt anklicken, dann Berechnungshilfe).

Rechnet das Amt immer richtig?

„Es gibt kaum ein Sozialamt, das nicht zu viel verlangt“, sagt Bazco. Über 80 Prozent der Forderungen seien falsch. Meist würden Abzugspositionen übersehen. Das Schreiben der Behörde sollte am besten gleich ein Sozialrechts- oder Familienrechtsanwalt prüfen. Häufig ließen sich Forderungen reduzieren. Der Zahlungsaufforderung des Amts muss erstmal niemand nachkommen. Stellen sich Kinder quer, muss das Amt im Streitfall vors Gericht ziehen. Die Erstberatung beim Fachanwalt kostet etwa 250 Euro. Manche Rechtsschutzversicherer übernehmen die Kosten.

Was ist noch ratsam?

Wer seit Längerem Elternunterhalt zahlt, sollte den Betrag vom Anwalt prüfen lassen. So mancher Bürger zahlt womöglich mehr als er müsste.

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