Rheinpfalz „Wir müssen neue Lieder singen“

„Das Dorf in Zeiten gesellschaftlichen Wandels“ – unter diesem Thema diskutierten am Sonntag Kommunalpolitiker und eine Uni-Professorin auf Einladung des Landkreises Kaiserslautern über die Zukunft der Kommunen. Rund 50 Zuhörer, in der Mehrzahl selbst sozial oder politisch engagierte Bürger, warteten gespannt auf neue Einsichten zur Zukunft ihrer Kommunen. Doch Patentrezepte gibt es offenbar nicht, jede Gemeinde muss ihre eigenen Stärken ausbauen. Aber man kann voneinander lernen.

Drei wichtige Schwerpunkte waren es, zu denen Landrat Paul Junker (CDU), der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Otterbach-Otterberg, Harald Westrich (SPD), und der Ortsbürgermeister von Frankenstein, Eckhard Vogel (FWG), ihre praktischen kommunalpolitischen Erfahrungen austauschen sollten. Als Wissenschaftlerin stand ihnen die Stadtsoziologin Annette Spellerberg von der Technischen Universität Kaiserslautern zur Seite, moderiert wurde der Vormittag von RHEINPFALZ-Redakteur Sebastian Stollhof. Das erste Thema betraf den sozialen Zusammenhalt, für Landrat Junker „den wohl wichtigsten Standort-Vorteil von kleineren Orten“. Hier beobachten die Kommunalpolitiker einschneidende Veränderungen: „Vor allem jüngere Menschen sind nicht mehr ohne weiteres bereit, sich zum Beispiel langfristig in einem Verein zu engagieren“, berichtete Westrich von seinen Erfahrungen. „Wenn es allerdings um konkrete Projekte mit überschaubarem Aufwand geht, können wir sie dafür gewinnen.“ Manche Vereine hätten daraus bereits ihre Schlussfolgerungen gezogen, berichtete der Bürgermeister und nannte dafür ein Beispiel: „So hat unser Kirchenchor einen eigenen Projektchor gegründet, nur für Aufführungen zu Weihnachten und Ostern. Da machen jetzt ganz neue Leute mit, weil sie sagen: Sechs Proben vor der Aufführung, das können wir zeitlich bewältigen. Das ganze Jahr über können wir uns zeitlich aber nicht binden.“ Westrich zitierte den lakonischen Kommentar des Chorleiters: „Wenn die alten Lieder nicht mehr ziehen, müssen wir eben neue Lieder singen.“ Ähnlich ist es beim ehrenamtlichen Engagement der Bürger, bislang auch ein wichtiger Faktor für das dörfliche Leben. „Bei uns kommen die bisherigen Helfer langsam in die Jahre, wo sie nicht mehr so recht können“, sagte Frankensteins Ortsbürgermeister Vogel. „Jüngere Nachfolger zu finden, ist nicht so einfach.“ Auch hier sucht der Praktiker sein Heil in überschaubaren Angeboten für die freiwillige Mitarbeit: „Wenn es zum Beispiel darum geht, eine kleine Grünanlage vor der Haustür zu pflegen, machen die Menschen mit. Wichtig ist allerdings, dass man auf ihre eigenen Vorschläge und Ideen hört.“ Das zweite Thema, das fast alle Kommunalpolitiker aktuell drückt, ist der zunehmende Leerstand in den Ortskernen. „Wir haben inzwischen in Frankenstein ein genaues Leerstandskataster, aber es hilft uns in der Praxis bisher ziemlich wenig“, klagte Vogel. „Denn uns fehlen bisher die Instrumente, um solche Häuser in neue Nutzungen zu bringen. Viele Eigentümer haben noch nicht verstanden, dass ihre oft jahrzehntelang vernachlässigten Häuser nicht mehr viel wert sind. Und sie sperren sich auch dagegen, etwa über eine Internet-Börse nach neuen Interessenten zu suchen.“ Verschärft wird diese Entwicklung durch den demografischen Wandel: „Bis zum Jahr 2035 werden wir im Landkreis rund 15.000 Menschen verlieren, das entspricht den Einwohnern einer kompletten Verbandsgemeinde“, zitierte Westrich eine Studie des statistischen Landesamtes. „Schon heute haben wir Ortsteile, in denen unsere Versorgungsnetze nur noch mühsam aufrecht erhalten werden können, weil der Verbrauch stark rückläufig ist. Hier brauchen wir irgendwann völlig neue Antworten, nicht nur in unserer Region. Da muss sich auch das Land engagieren.“ Dabei werde man über einen „Rückbau“, also den Abriss leerstehender Häuser in den Ortskernen nachdenken müssen, glaubt auch Eckhard Vogel. „Und ich habe durchaus den Mut zur Baulücke“, fügt der Ortsbürgermeister hinzu. „Denn dadurch können in unserer geografisch beengten Situation neue Flächen für Grünanlagen oder andere Nutzungen entstehen.“ Das letztlich aber sogar einmal ganze Dörfer verschwinden werden, glaubt Uni-Professorin Spellerberg nicht. Neue Herausforderungen bräuchten neue Lösungen, zum Beispiel mit dem Frankensteiner Weide-Projekt. „Wo bislang verfallene Hausgärten standen und der Wald immer näher an den Ortsrand rückte, haben wir jetzt insgesamt 50 Hektar Weideland, das von Eigentümern kostenlos zur Verfügung gestellt wurde“, berichtet Vogel. In einem Punkt waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig: Der soziale Wandel in den Dörfern bietet auch Chancen. „Überall im Landkreis setzen sich Bürger für den Erhalt ihrer Grundschule ein, kämpfen für den Ausbau ihres Kindergartens und gründen Initiativen zum Bau altersgerechter Wohnungen“, fasste Landrat Junker zusammen. „Und ich bin sehr optimistisch, wenn ich solche Entwicklungen sehe. Denn am Ende kommt es auf die Menschen an, die sich bewusst für das Leben in einem Dorf entschieden haben.“ (mibo)

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