Kultur Südpfalz Wider die Ausgrenzung

„Aven!“ Einmal im Jahr ruft der Landesverband Deutscher Sinti und Roma „Kommt!“ und lädt damit während des Kultursommers Rheinland-Pfalz zu einem ganz besonderen Konzert ins Haus am Westbahnhof ein. Ein Jugendprojekt präsentierte im Vorfeld seine Arbeit.

Heuer hatte der Vorsitzende Jacques Delfeld mit dem Lulu Weiss Ensemble und dem Jordan Weiss Quintett zwei regional verwurzelte Sinti-Swing-Ensembles engagiert, deren Leiter und Namensgeber beim selben musikalischen Ziehvater, Oskar Weiss, ihr Talent zum Gitarrespielen entwickelt haben. Jordan und Lulu machten dem Namen Weiss als Gitarrenvirtuosen ebenso viel Ehre wie Borsche und Nello an der Rhythmusgitarre. Das Jordan Weiss Quintett hat sich dem modernen Jazz ebenso verschrieben wie dem Bossa nova und glänzte am Samstagabend unter anderem mit einer Interpretation von Antonio Carlos Jobins „Manha de Carneval“ aus dem Film „Orfeu negro“. Das Lulu Weiss Ensemble widmet sich auch dem traditionellen französischen Chanson, wenn Nello Weiss „Je suis seul ce soir“ im Stil der frühen 1920er-Jahre-Swing anstimmt, krabbelt Gänsehaut über den Rücken der Zuhörer. Auch wenn sie dieselben musikalischen Wurzeln haben, sich an der Tradition des Hot Club de France orientieren und als Vorbilder Django Reinhardt und Stéphane Grapelli nennen, so präsentieren die beiden Ensembles bekannte „Klassiker“ wie den „Minor Swing“ doch auf ihre jeweils individuelle Art. Allein die für Gypsy-Swing ungewöhnlichen Besetzungen bringen eine ganz persönliche Note in die beiden Gruppen. Jordan hat mit Frank Bungartz aus Bonn einen genialen Pianisten in seine Band geholt, Lulu hat den Peruaner Sergio Parra an Bord, der mit dem Tenorsaxophon den traditionellen Part von Geige, Klarinette oder Akkordeon bravourös übernimmt und etwa in Djangos Ballade „Manoir de mes rêves“ traumhaft genial weiterentwickelt. Aus Jordans Truppe hatte Stammgeiger Jensi Winterstein-Reinhardt seinen Platz der Niederländerin Karin von Kooten überlassen und verfolgte das Konzert von der ersten Zuschauerreihe aus. Immer wieder auftauchende Probleme mit der Technik verschafften am Samstagabend dem Saxophon eindeutige Vorteile gegenüber der Geige, die, von Karin van Kooten zunächst etwas zaghaft eingesetzt, auch im später aufregend solistischen Einsatz der Stimme zum Spiel doch immer im Hintergrund und damit im Schatten der Gitarre blieb. Den Kontrabassisten der Ensembles kam die Funktion des „Ansagers“ zu, Otmar Klein erklärte Herkunft und Art der Stücke aus der französischen Valse Musette oder der ungarischen Folklore, die das „Lulu Weiss Ensemble“ mit Herzblut und eigener Note ebenso interpretierte wie George Gershwins „Crazy Rhythm“ in der Django-Version des 1-6-2-5-Wechsels. Für das „Jordan Weiss Quintett“ übernahm Kontrabassist Wolfgang Syfuß die Moderation, die leider aufgrund des ausgefallenen Mikrofons im hinteren Bereich des Saals nur leidlich ankam. Das lag unter anderem daran, dass eine Gruppe von Männern unter den Zuhörern das Konzert wohl im Stil des Tanzsalon-Swing der 1930er-Jahre interpretierte und in bierseliger Laune lautstark debattierte und telefonierte, was andere Gäste zunehmend störte, die ihren Unmut auch laut äußerten oder demonstrativ den Raum verließen. So wurde im Verlauf des nahezu fünf Stunden dauernden Gesamtereignisses aus dem Kommen dann ein Gehen, sodass im anfangs voll besetzten Haus am Westbahnhof eine halbe Stunde vor Mitternacht nur noch wenige Reihen mit Zuhörern besetzt waren. Wer aber dachte, die „Störer“ interessierten sich nicht für die Musik, sollte sich gewaltig irren: Ihre angeregte Unterhaltung unterbrechend, riefen die Herren begeistert den Titel eines nicht angesagten Stücks bereits nach dem ersten Takt aus oder zählten nach der Ansage noch vor der Band den Rhythmus vor, beklatschten scheinbar „nebenbei“ eigenwillige Spielarten und bedachten besonders hervorragende solistische Einlagen mit „Bravo“-Rufen. Was hier gefordert war, nämlich die Annäherung unterschiedlicher Kulturen, Toleranz und Inklusion, war das Thema im diesjährigen Jugendprojekt „Blaudes on tour“. 18 Schüler der Integrierten Gesamtschule Rülzheim waren ausgewählt, sich im Tanzmedia-Projekt der Medienpädagogin Katja Batzler und der Tanzpädagogin Nadja Winterstein in jugendgerechter Weise mit Themen wie Ausgrenzung und Verleumdung, die im sozialen Netzwerk schnell und schmerzhaft durch „Daumen runter“ die Runde machen und Menschen diskriminieren, auseinanderzusetzen. Ursprung des Projektes war ein Tanzmedia-Film als kreative und moderne Gedenkarbeit an die Ermordung Deutscher Sinti und Roma während des Nationalsozialismus, der zur Eröffnung des Denkmals im Oktober 2012 in Berlin uraufgeführt wurde und nun als Projekt in Schulen und Jugendgruppen weitergetragen wird. Am Freitag waren es Neunt- und Zehntklässler wie Celina Amann und Ergin Kerelay, die sich freiwillig für das Projekt gemeldet hatten und einen Tag lang übten, Gefühle allein über Bewegung, ohne Worte, auszudrücken. Im zweiten Schritt lernen die Teilnehmer den Umgang mit der Kamera und erstellen einen Videofilm mit der getanzten Botschaft, dass Gemeinschaft besser ist als Ausgrenzung. Eine dafür eingesetzte Deckenkamera beleuchtet die Szenen aus einer dramaturgisch wirkungsvollen Perspektive. Am Samstag präsentierten sie das Ergebnis als Präsentation des Tanzes zur Filmeinspielung.

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