Rheinpfalz Wenn die Psyche zum Notfall wird

Ältere Menschen trauen sich nach einem Überfall oft nicht mehr auf die Straße.
Ältere Menschen trauen sich nach einem Überfall oft nicht mehr auf die Straße.

«Mannheim.» Menschen, die Opfer oder Zeuge eines Verbrechens werden, tragen oft auch seelische Schäden davon. Seit wenigen Tagen gibt es bei einer Beratungsstelle Hilfe.

Bei den Nachbarn fliegen Möbel aus dem Fenster. Hätte ich eingreifen müssen? Nach einem Einbruch fühlt man sich in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher. Viele Menschen, die Zeuge oder Opfer eines schrecklichen Ereignisses oder eines Verbrechens werden, brauchen seelische Unterstützung. Die Beratungs- und Koordinierungsstelle Psychosoziale Notfallversorgung Rhein-Neckar bietet seit dem 15. März Hilfe an. Sie geht als zweijähriges Pilotprojekt an den Start. Die Städte Heidelberg, Mannheim und der Rhein-Neckar-Kreis finanzieren gemeinsam die Einrichtung, deren Träger die Arbeiterwohlfahrt ist. Unterstützung gibt es von den regionalen Vereinen der Kriminalprävention sowie dem Mannheimer Polizeipräsidium. „Als Polizisten haben wir ganz oft mit Menschen zu tun, die etwas ganz Schreckliches erlebt haben“, berichtet Polizeipräsident Thomas Köber. Die Notfallseelsorge kann direkt vor Ort helfen. Hat man das schlimme Ereignis nach Wochen oder Monaten nicht bewältigt, sind Ärzte oder Psychologen gefragt. Die Beratungsstelle stellt ein Angebot für die Zwischenzeit bereit, in der es bis jetzt eine Versorgungslücke gab. Angelika Treibel von der Arbeiterwohlfahrt berät und informiert. Die zentrale Schnittstelle dabei ist die Polizei, weil Beamte oft bei schlimmen Ereignissen vor Ort sind. Sie verteilen dann Karten mit der Nummer der Expertin. Daten- und Opferschutz sollen auf diese Weise gewährleistet sein. An eine Frau, die zufällig vorbeikam, als in Mannheim jemand von einem Hochhaus sprang, erinnert sich Erster Bürgermeister Christian Specht (CDU). „Sie stützte sich am Auto ab, meinte aber, sie bräuchte keine Hilfe. Doch drei Tage später rief sie bei mir im Büro an und fragte, an wen sie sich wenden könne.“ Specht konnte damals noch nicht richtig weiterhelfen. Ein weiteres Ziel ist es, vorhandene Einrichtungen in der Region besser zu vernetzen. „Die Menschen schämen sich. Sie verstehen sich oft hinterher selbst nicht mehr“, berichtet Polizeipräsident Köber. Auf falsche Polizeibeamte oder Enkeltrick-Betrüger hereingefallen zu sein, belastet die Opfer und deren Umfeld. Auch Personen, die selbst bei einem Verbrechen oder Unfall nicht dabei waren, können anrufen. Sie leiden als Partner, Angehörige oder Freunde oft stärker als die Betroffenen selbst. Fachkräfte können sich ebenfalls an die Stelle wenden. Treibel betont, dass die Einrichtung psychosoziale Beratung anbietet, aber keine Psychotherapie. Besteht psychotherapeutischer Bedarf, vermittelt sie an Fachstellen. Welche sozialen Folgen ein Überfall haben kann, erklärt Köber: Eine Seniorin wurde auf offener Straße ausgeraubt und brach sich dabei das Bein. „Die traute sich gar nicht mehr raus“, erzählt der Polizist. Für die Zusammenarbeit der Institutionen hat er bis zuletzt gekämpft. In wenigen Wochen geht er in Pension. Noch Fragen? Informationen bei der Fachinformation zur Beratungs- und Koordinierungsstelle Psychosoziale Notfallversorgung Rhein-Neckar unter Telefon 06221/ 7392116 oder auf der Internetseite www.beko-rn.de.

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