Rheinpfalz Suche nach Glaubwürdigkeit

91-74595800.jpg

TRIER. Um 10.15 Uhr ahnt Herbert Braun noch nicht, dass er fast vier Stunden brauchen wird, um den Lebens- und Fluchtweg des 21-jährigen Somaliers nachzuzeichnen, der an diesem Morgen vor ihm sitzt. Braun ist Vorsitzender Richter der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Trier, und er muss ein Urteil darüber fällen, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) richtig oder falsch entschieden hat, als es dem 21-jährigen Mann im Mai 2015 die Anerkennung der Schutzbedürftigkeit als Flüchtling verweigerte. Der Somalier kam 2013 nach Deutschland. Nach seiner Darstellung lagen zwei Jahre Flucht vor einer Zwangsrekrutierung durch die islamistische Al Shaabab-Miliz hinter ihm, die ihn von Somalia über Kenia, Äthiopien, den Sudan und schließlich durch die Sahara nach Libyen verschlug. „Von dort aus geht es immer nur übers Meer nach Europa“, sagt seine Anwältin Anne Feßenbecker aus Mannheim. Den Transport durch die Wüste haben die Schlepper im Einbahnstraßensystem organisiert. Jetzt wohnt der junge Somalier im Rhein-Pfalz-Kreis. Er hat begonnen, Deutsch zu lernen, und verrichtet zeitweise gemeinnützige Arbeiten. Die Flucht habe ihn traumatisiert, sagt die Anwältin, ein Gutachten des Traumapsychologen Axel von Maltitz im Auftrag der Flüchtlingshilfsorganisation Exilio bescheinigt dies. Es sind Organisationen wie Exilio oder wie das Asylcafé in Mannheim, die über Rechtshilfefonds finanziell helfen, dass die Flüchtlinge vor Gericht vertreten werden. Die Richter in Trier haben sich auf verschiedene Länder spezialisiert. Sie arbeiten sich durch Berichte des Auswärtigen Amtes, von Amnesty International oder von anderen Quellen ein. Heidi Heinen, als Richterin unter anderem für Flüchtlinge aus Afghanistan zuständig, sagt, dass sie wissen muss, wo Angriffe durch Taliban drohen und wo es sicher ist. Die Verfahren aus Krisenländern wie Somalia oder Afghanistan sind selten geworden, seit das Bundesamt verstärkt Asylanträge von Menschen aus dem Westbalkan bearbeitet. Etwa zwei Drittel der Flüchtlinge klagen nach den Worten von Georg Schmidt, Präsident des Trierer Verwaltungsgerichts, gegen ablehnende Entscheidungen des BAMF. Allein aus dem Westbalkan erwartet er in den nächsten Monaten rund 6000 Verfahren. Das Justizministerium hat bei Bedarf zusätzliche Richter versprochen. Unterliegen die im Fall des Westbalkan häufig als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnten Flüchtlinge im Eilverfahren, müssen sie ausreisen, falls nicht gesundheitliche Gründe die Abschiebung verhindern. Viele gehen laut Schmidt dennoch ins Hauptsacheverfahren, kommen aber häufig gar nicht mehr zur mündlichen Verhandlung nach Trier. Um nicht unnötig viel Zeit zu verlieren, setzt das Gericht diese Termine im Halbstundentakt an. Der Asylantrag des 21-jährigen Somaliers ist als „unbegründet“, nicht als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden. Er darf nicht abgeschoben werden, solange das Hauptsacheverfahren läuft. Der vereidigte Dolmetscher wirkt an diesem Verhandlungsmorgen verzweifelt. In langen muttersprachlichen Dialogen mit dem 21-jährigen Kläger versucht er, Dinge auf den Punkt zu bringen. Der Richter fragt nach chronologischen Abfolgen. Aber die Angaben sind verwirrend. Nach seinen Angaben zur Dauer des Schulbesuchs hätte der Somalier schon längst die Schule beendet haben müssen, als die Al Shaabab-Miliz auf den Plan getreten ist. Aber er bleibt bei der Darstellung, sie habe ihn und andere Jungen aus der Schule heraus rekrutieren wollen, weshalb sein Vater ihm Geld für die Flucht gegeben habe. Auch passt die angeblich erhaltene Nachricht vom Schänden und Töten der Schwester nicht damit zusammen, dass die junge Frau inzwischen in Deutschland lebt. Um 14 Uhr hat Herbert Braun genug gehört. Die Verteidigerin räumt ein, ihr Mandant habe „mit Sicherheit kein tolles Bild abgeliefert“. Beobachter bleiben ratlos. Spielt er etwas vor oder ist er intellektuell und psychisch einfach nicht in der Lage, angemessen Auskünfte zu geben? Ein letztes Mal fasst der Richter die Angaben des Klägers zusammen und spricht sie in einen Computer, der die Sprache sofort in Schrift umsetzt. Knapp zwei Wochen später liegt das Urteil vor: Braun hält die Angaben des jungen Mannes für nicht glaubhaft, seine Klage bleibt erfolglos. Mehr noch: In der Region Somalias, aus der er angibt zu kommen, sei nicht davon auszugehen, dass „praktisch jede Zivilperson mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre“. Aus Sicht des Gerichts kann er also abgeschoben werden.

x