Kultur Südpfalz Macht euch keine Sorgen

Roland Paul und Hannelore Bähr geben bewegende Einblicke in das Schicksal von Gretl Drexler.
Roland Paul und Hannelore Bähr geben bewegende Einblicke in das Schicksal von Gretl Drexler.

Bewegend und von emotionaler Dichte war die Lesung „Die Briefe von Gretl Drexler“ am Donnerstag im Frank-Loebschen Haus Landau. Einblicke in das Schicksal der Jüdin aus Landau, die 1940 als eine von 825 Pfälzer Juden ins französische Lager Gurs deportiert wurde und in Auschwitz starb, gaben Historiker Roland Paul und Hannelore Bähr, Pfalztheater Kaiserslautern. Moderiert hatte die gut besuchte Veranstaltung des Bezirksverbands Pfalz die Stadt-Archivarin Christine Kohl-Langer, die zuvor im Obergeschoss durch die Ausstellung „Juden in Landau. Vom Mittelalter bis zum Holocaust“ führte. Im Säulensaal stellte die Archivarin die Referenten vor und erwähnte Dorothea Drexler, „Dorle“, die Tochter von Gretl Drexler, die 1988 aus den USA nach Landau zurückkehrte, wo sie bis 2006 lebte und zu der sie Kontakt hatte. Roland Paul von der Arbeitsstelle für Juden in der Pfalz des Instituts für pfälzische Geschichte und Volkskunde beleuchtete Hintergründe und Abläufe diese dunklen Kapitels, das in der Pfalz am 22. Oktober 1940 mit der Deportation pfälzischer Juden nach Gurs begann. 825 jüdische Bürger (von im Jahr 1933 noch knapp 6500 jüdischen Einwohnern) wurden bei der so genannten „Bürckel-Aktion“ (benannt nach Gauleiter Joseph Bürckel) ins Internierungslager nach Südfrankreich verschleppt. Die meisten kamen aus Ludwigshafen, 35 aus Landau. Margarethe (Gretl) Drexler, wohnte in Mannheim, von wo aus sie mit 2000 weiteren Menschen deportiert wurde. Weit über 100 Briefe sind von ihr erhalten, „beeindruckende, sehr traurig stimmende Zeugnisse“, so Roland Paul über die bislang umfangreichste bekannt gewordene Briefesammlung aus Gurs. An sie kam der Historiker im Jahr 2000 durch deren Tochter Dorothea Drexler, Dorle, die ihn bei einem Vortrag ansprach. Sie lebte in der Schweiz und über 40 Jahre in USA, bevor sie in ihre Geburtsstadt Landau zurückkehrte, wo sie 2006 verstarb. In einem Schuhkarton übergab ihm die damals fast 80-Jährige das Geschenk mit den Worten, dass er der Richtige sei, daraus was zu machen. Gretl Drexler, geboren am 8. Juni 1894 als Tochter des Weinhändlers David Metzger und seiner Frau Lina, besuchte nach der Volksschule das „Institut der Englischen Fräulein“ (Maria-Ward-Schule), war sehr musikalisch, arbeitete im 1. Weltkrieg in der Krankenpflege im Lazarett. 1919 Heirat mit dem Pirmasenser Arzt Hermann Drexler. 1921 verwitwet, kam Tochter Dorle zur Welt. Diese beschrieb ihre Mutter als moderne, elegante, der Kunst zugeneigte Frau. Wollte Gretl 1933 den „bösen Spuk“ antisemitischer Ausschreitungen noch nicht wahrhaben, zog sie nach der Reichskristallnacht 1938 nach Mannheim im Glauben, als Witwe ihres hochdekorierten Mannes Privileg zu genießen. Dorle kam zum Schutz zu Gretls Schwester Irma nach Bern, ab September 1940 musste Gretl den „Judenstern“ tragen. Der Abtransport am 22. Oktober durch Polizei und Waffen-SS geschah „am hellichten Tag“, inmitten teils hetzender Bevölkerung, gab Paul die Beschreibung eines Zeugen wieder. Einfühlsam las Hannelore Bähr aus 25 Briefen Drexlers aus Gurs und Grenoble, an Tochter und Schwester, zwischen 1940 und 1942. Von Feuchtigkeit, Schlamm, Lärm und Elend ist im Oktober und November die Rede, von der Bitte um Essenspakete mit „Butter, Käse, Wurst, Handtuch, Trinkbecher, Messer“. Auch Schnürschuhe brauche sie, die jetzt mit Tante Lina in einer „Altersbaraque“ stecke. Sie zweifelt an Gott, der dies alles geschehen lasse, es sei so unwirklich und „es ist etwas gestorben in einem“. Aber auch die grenzenlose Freude über die Post vom lieben Dorle kommt zum Ausdruck. Niemand solle sich Sorgen machen daheim, denn „ich bin stark“, macht sich Gretl Mut, die, statt zu verzagen, lieber anderen hilft. Ein Paket im Dezember mit Wurst, Tee, Maggi, Wollhaube, Socken und Handschuhen wird zum Lichtblick. Aber auch das Lied eines Tenors im Hospital rührt sie zu Tränen, zu dem die „in der Küche beschäftigte Arierin“ anmutig tanzt. Äpfel und Datteln verteilte der Kommandant des Camps um die Weihnachtszeit, streng rationiert, dennoch eine schöne Geste. Aus Wollresten häkelt sich Gretl im Januar 42 einen Büstenhalter und Handschuhe, freut sich an Autos und Fahrrädern „als Zeichen von draußen“, wo das Leben pulsiert. Emotionale Wechselbäder prägen die Briefe zwischen Elend und Paketfreuden, Trauer und Hoffnung. Etwa auf die Papiere für die ersehnte USA-Ausreise, und den Wechsel zuvor nach Grenoble, der im Juni 42 endlich wahr wird. Sie schwärmt von dieser „traumhaften Stadt“, von Spinat, Kartoffeln, Kirschen und Kaffee. Von dort schreibt sie am 26. Juni voller Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit ihren Lieben: „So vieles geht mir durch den Kopf“. Am 26. August wird sie bei einer vom Vichy-Regime organisierten Judenrazzia mit über 80 Personen in Grenoble festgenommen. Drei Tage später soll sie ihren letzten Brief von Vénissieux aus geschrieben haben, „Ihr braucht Euch wirklich keine Sorgen zu machen“. Von dort gelangte sie ins Lager Drancy bei Paris, am 2. September 1942 wurde Gretl Drexler nach Auschwitz deportiert. Beim 27. Transport, mit 1000 Menschen, von denen 877 gleich nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. Erst nach Kriegsende erfuhren Drexlers Angehörige von ihrem schrecklichen Tod in Auschwitz.

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