Rheinpfalz Leitartikel: Digitaler Kraftakt

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Noch nie ist das Wort Digitalisierung in einem Koalitionsvertrag so häufig erwähnt worden. Worte reichen aber nicht. Vom schnellsten Netz der Welt, wie vor einigen Jahren angekündigt, ist Deutschland noch weit entfernt. Bei der Zukunftstechnologie Glasfaser ist Deutschland Schlusslicht in der EU.

Die neue Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt, Dorothee Bär (CSU), hat sich viel vorgenommen. Bär will koordinieren, sie will bei der Digitalisierung „Weltmeister“ werden und selbst „Taktgeber“ sein, hat sie vor einigen Tagen in den ARD-Tagesthemen gesagt. Große Worte beim Thema Digitalisierung gab es bereits 2013 vom damaligen Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt (CSU). Seine Ankündigung, bis 2018 flächendeckend eine Übertragungsrate beim Internet von 50 Megabit pro Sekunde zu gewährleisten und „das schnellste und intelligenteste Netz der Welt“ zu schaffen, blieb allerdings eine Ankündigung. Die neue große Koalition spricht jetzt von „Gigabitnetzen“ bis 2025. Den Takt wird Bär dabei nicht angeben, ihr CSU-Kollege Andreas Scheuer verantwortet im Verkehrsministerium weiterhin den Breitbandausbau. Bär, die sicher die größte Digitalkompetenz in der jetzigen Regierung hat, spricht deshalb auch lieber von Flugtaxis, Digitalisierung von Schulen und Chancen für den Gesundheitsbereich. Konkret wird sie bisher selten. Kann sie auch gar nicht, da sich ihr Titel zwar wichtig anhört, aber mit wenig Kompetenzen ausgestattet ist. Sie ist eher eine Art Frühstücksdirektorin. Bär kann keine Gesetze einbringen, sie kann der Digitalisierung aber ein Gesicht und eine Stimme geben. Das hat sie in den vergangenen Wochen bereits ausgiebig getan. Inklusive Fotos auf Instagram, auf denen sie mit Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner mit weißer Bluse und locker geschlungener Schleife auftrat: „Die bezaubernde Julia Klöckner und ich haben auch noch beide einen suuuuuuper Geschmack“, ließ sie dort verlauten. Das mag sein, bringt die Digitalisierung aber wenig voran. Wie eine Erhebung des Tüv Rheinland ergab, ist der Breitbandausbau lediglich bei niedrigen Datenraten von bis zu sechs Megabit pro Sekunde (Mbit/s) flächendeckend vorangekommen. Verbindungsgeschwindigkeiten von mehr als 16 Mbit/s sind lediglich in 90,4 Prozent der deutschen Haushalte verfügbar, bei mehr als 50 Mbit/s sind es nur noch 76,9 Prozent. Besonders in den ländlichen Regionen sind viele Gemeinden weiterhin abgehängt. So liegt die Breitbandverfügbarkeit dort für Bandbreiten von über 30 Mbit/s durchschnittlich bei 55,1 Prozent. Von mehr als 50 Mbit/s profitiert nur rund ein Drittel der ländlichen Gemeinden. Bei der Zukunftstechnologie Glasfaser ist Deutschland Schlusslicht in der Europäischen Union. Auch bei der LTE-Netzabdeckung liegt Deutschland im europäischen Vergleich weit hinten. Das heißt, selbst wenn es die von der Staatsministerin erwähnten Flugtaxis, geben würde – im Pfälzerwald zwischen Dürkheim und Kaiserslautern hätten Kunden derzeit kaum Chancen, eines per Smartphone zu bestellen. Bär wird hart arbeiten müssen, damit die Digitalisierung Tempo aufnimmt. 244 Teams in 76 Abteilungen in 14 Ministerien beschäftigen sich in der Regierung mit dem Thema, an manchen Stellen immer noch eher mit Modemgeschwindigkeit. Was die CSU-Politikerin bewirken kann, wird davon abhängen, inwieweit die echten Minister bereit sind, sie mitarbeiten zu lassen. Dabei wird das Thema über die Zukunft entscheiden. Eine führende Industrienation wird nicht automatisch eine führende Digitalnation. In Estland ist es möglich, ein Unternehmen innerhalb weniger Stunden online anzumelden. In Deutschland sind dafür jede Menge Papier und Behördengänge nötig. Von Weltmeister noch keine Spur.

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