Kultur Südpfalz Kegeln mit Angela Merkel

Auch in diesem Frühjahr gibt es wieder neue Wenderomane, etwa Alexander Osangs „Comeback“ oder Peter Richters „89/90“. Den originellsten und witzigsten Beitrag zum Genre liefert indes Thomas Brussig: In „Das gibt’s in keinem Russenfilm“ fällt der Untergang der DDR einfach aus.

Keine Botschaftsflüchtlinge, kein Schabowski-Versprecher, kein Mauerfall, keine Wiedervereinigung: Das SED-Regime hält sich bis heute, wenn auch nur mit einigen chinesischen Reformern und altbekannten neuen Köpfen: Gregor Gysi ist Staatsratsvorsitzender, Sarah Wagenknecht Nachrichtensprecherin der Aktuellen Kamera, Osang Chefredakteur des Neuen Deutschland, Wolfgang Thierse Verleger, Millionär und gerüchteweise Kokser. Die DDR hat immer noch kein richtiges Internet, aber einen Allgemeinen Datenkanal und das Schreibprogramm „Schreibfix“, bei der Fußball-WM 2006 gewinnt die BRD 3:2 gegen die DDR-Elf um Ballack. Im Westen folgt auf Kanzler Lafontaine Schäuble, Angela Merkel ist eine nette Frau aus der Provinz, die Apfelkuchen backt und beim Kegeln Protokoll führt. Das gibt’s in keinem Russenfilm. „Das Leben ist mit Zufällen gespickt, doch wir schreiben Lebensläufe.“ Brussigs Roman ist ein groteskes Stück kontrafaktischen Erzählens, eine Was-wäre-wenn-Utopie, die uns die Geschichte erspart hat, ähnlich wie Robert Harris’ „Vaterland“ (Hitler hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen) oder Jörg-Uwe Albigs „Land der Liebe“ (die Wende 1989 besteht in der Einverleibung der alten Bundesländer und ihrer Jammerwessis in die siegreiche DDR), ein Roman übrigens, den der Erzähler als „Volksverblödung“ abtut: „Meine Güte, wie kann man sich bloß so einen Käse ausdenken?“ Brussig spielt den satirischen Konjunktiv konsequent durch und führt ihn radikal ad absurdum. Wenn die Wende 1989 keine Wendung der Geschichte war, hat das natürlich auch Folgen für Brussigs Leben und Werk: „Das gibt’s in keinem Russenfilm“ ist daher so etwas wie eine kontrafaktische Autobiografie. Der Ich-Erzähler ist unzweifelhaft der Autor von „Wasserfarben“, „Helden wie wir“ und eines Udo-Lindenberg-Musicals. Was Brussigs Alter Ego über Kindheit, Schule, Wehrdienst, seine Lehrjahre als Museumswärter und Hotelportier und seine Meisterjahre als König des komischen Wenderomans schreibt, ist mehr oder weniger authentisch. Aber der Roman-Brussig hat auch Bücher wie „Steil und geil“ und „Störung der Totenruhe“ verfasst und Sträuße mit Zensur und Stasi ausgefochten, von denen der wahre Thomas verschont blieb. Ein heroisches Versprechen machte ihn 1991 über Nacht zum Liebling aller Dissidenten und Weltstar der DDR-Literatur: Er werde nicht in den Westen reisen, bevor allgemeine Reisefreiheit gelte, kein Telefon haben, solange nicht jeder eins haben könne, und Milan Kunderas „Unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ erst lesen, wenn die Bibel des Nonkonformismus nicht mehr verboten sei. Alle drei Forderungen werden nach und nach erfüllt, denn auch die DDR ist im 21. Jahrhundert nicht mehr ganz die alte. Ein Steuerabkommen, das ihren Bürgern das Pendeln in den Westen erlaubt, nimmt Dampf aus dem Kessel und führt zu einem Wirtschaftswunder. Mit Holz-Windrädern, Elektroautos („Wartburg Gleiter“) und Nutzungskooperativen (auf Westdeutsch: Car-Sharing) mausert sich die rückständige DDR zum ökologischen Musterstaat. Brussig kämpft wacker gegen die SED-„Elektrokratie“ und die feigen Opportunisten, die sich Freiheit und Demokratie durch Wohlstand abkaufen lassen. Aber sein Stern beginnt zu sinken; und als Ingo Schulze 2006 den Literaturnobelpreis erhält, zieht er sich beleidigt ins Privatleben zurück. „Das gibt’s in keinem Russenfilm“ ist nicht zuletzt eine oft zum Brüllen komische Literaturbetriebssatire. Brussig macht sich über die fusselbärtigen Dichter vom Prenzlauer Berg lustig und schießt Giftpfeile gegen Christa Wolf und Volker Braun. Der Dresdner Arzt Uwe Tellkamp, Autor des monumentalen Konsensromans „Die Wand“, hat etwas „angenehm Beklopptes“; der Olympiabotschafter Günter Grass vermasselt mit Absicht Berlins Bewerbung, weil Auschwitz gesühnt werden muss. Weder dem echten noch dem Pseudo-Brussig mangelt es an Selbstbewusstsein: Wo er ist, weht vielleicht nicht gerade der Atem der Weltliteratur; aber alle Welt liebt seine Anekdoten, Witze, Frauen- und Stasigeschichten. Ein Schelmenroman, der durchaus nicht frei ist von selbstgefälligem Geplapper und kabarettistischem Klamauk, aber den Leser doch stets zum Nachdenken über fahrlässig verpasste, verpatzte oder zum Glück nicht realisierte Möglichkeiten deutscher Geschichte und Literatur ermutigt: Das gibt’s tatsächlich in keinem Russenfilm. Aber vielleicht bald schon in einer Filmkomödie von Brussigs Freund Leander Haußmann.

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