Rheinpfalz Interview: Schlafforscher warnt vor der "ewigen Sommerzeit"

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Schon eine Weile ist die Zeitumstellung ein Thema.

Die EU-Kommission weiß, was die Stunde geschlagen hat, und will die ungeliebte Zeitumstellung EU-weit abschaffen.

Bereits kommendes Jahr soll sich jedes Mitgliedsland für eine Zeit entscheiden. Schlafforscher Hans-Günter Weeß vom Pfalzklinikum in Klingenmünster aber warnt davor, der Versuchung einer „ewigen Sommerzeit“ zu erliegen.

Herr Weeß, wenn das mal keine Bürgernähe ist: Die EU-Kommission will bereits kommendes Jahr Schluss machen mit der ungeliebten Zeitumstellung. Das freut Sie doch bestimmt?

Ja, sicher. Ich selbst fordere ja schon lange, die Zeitumstellung ganz abzuschaffen. Sie bringt keinen nachweisbaren Nutzen, dafür bedeutet sie für viele Menschen Nachteile, die sich beispielsweise medizinisch konkret messen lassen, vor allem im Frühjahr. Das geht weit über die geklaute Stunde hinaus. Es kann Wochen dauern, bis sich der Körper umgestellt hat. Insofern freue ich mich natürlich, wenn dieser Stress künftig wegfällt. Laut Jean-Claude Juncker, Chef der EU-Kommission, soll es kommendes Frühjahr noch die Zeitumstellung geben. Danach ist den EU-Staaten freigestellt, welche Zeit sie wählen wollen. Dann bleibt Deutschland möglicherweise in der Sommerzeit. Hurra! O weh. Nein, da muss ich Ihre Begeisterung bremsen. Die ewige Sommerzeit, das wäre meines Erachtens gar nicht gut, da möchte ich dringend davon abraten. Aber wieso? Man kann die lauen Sommerabende ganz lange auskosten, am See liegen, Feste feiern… … und morgens klingelt dann wieder in aller Frühe der Wecker und reißt uns aus dem Schlaf, den wir eigentlich dringend zur Erholung und zur Verarbeitung des Erlebten brauchen! Als Schlafforscher sehe ich das sehr kritisch. Wir sind ja bereits eine chronisch unausgeschlafene Gesellschaft, die durchweg zu früh auf den Beinen ist. Mehr als 80 Prozent der Deutschen stehen mit dem Wecker auf. Sie beenden also das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm des Menschen, denn das ist der Schlaf, vorzeitig, bevor es alle Aufgaben erfüllt hat. Die innere, die biologische Uhr der meisten Menschen tickt anders als die sozial vorgegebene Zeit. Wir gehen ziemlich gedankenlos mit dem Thema Schlaf um. Da gehen Sie aber ein wenig hart mit uns ins Gericht. Keineswegs. Die wissenschaftliche Studienlage dazu ist sehr solide, nur will das kaum einer hören. Generell achten wir zu wenig auf unser natürliches Schlafbedürfnis. Auf unseren Straßen gibt es mehr Verkehrstote durch Übermüdung als durch Alkohol am Steuer. Unsere Schulen beginnen zu früh, da können sich viele Schüler noch gar nicht konzentrieren. Entsprechend schlechter sind ihre Leistungen. So ist es auch bei der Arbeit. Und langfristig ist Schlafmangel verheerend für die Gesundheit. Erwiesenermaßen steigt dadurch das Risiko für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes erheblich. Wer zu wenig schläft, schadet seinem Gedächtnis, neigt zu depressiven Verstimmungen und hat statistisch eine niedrigere Lebenserwartung. Das klingt nun wirklich nicht besonders erbaulich. Eben. Darum sollten wir eigentlich alles tun, damit die Menschen zu ausreichend Schlaf kommen. Dafür aber ist die Sommerzeit überhaupt nicht geeignet. Es ist doch schön, wenn es abends lange hell ist. Aber Ihr Körper schüttet an den langen hellen Sommerabenden nicht den wichtigen Schlafbotenstoff Melatonin aus, der wird nur im Dunkeln gebildet. Das aber heißt: Wir können gar nicht einschlafen. und trotzdem klingelt morgens der Wecker, weil es eben so soziale Konvention ist. Das treibt uns systematisch noch mehr in den Schlafmangel. Die ewige Sommerzeit würde ebenso bedeuten, dass es in unserer Region am 21. Dezember erst nach 9 Uhr hell wird. Ich sehe uns bereits alle schlaftrunken und übermüdet zur Arbeit oder in die Schule wanken. Ich prophezeie Ihnen: Wir werden mehr Unfälle haben, schlechtere Schüler und werden weniger produktiv sein am Arbeitsplatz, weil wir mehr Fehler machen. Ihr Münchner Kollege Till Roenneberg formuliert das so: Wir Europäer würden „dicker, dümmer und grantiger“. Das ist etwas plakativ, aber es trifft den Kern. Nehmen wir die Schulen. Eine ganz neue Studie hat ergeben, dass je weiter entfernt Grundschüler von ihrer Schule wohnen, sie desto schlechtere Leistungen erbringen. Schlicht, weil sie früher losmüssen. Der frühe Schulbeginn raubt unseren Schülern den Schlaf. In Ländern wie England oder den Niederlanden startet die Schule später, entsprechend besser sind die Schülerleistungen. Das ist zwar ernüchternd, dennoch schätze ich die Sommerzeit, so wie die vermutlich meisten Menschen. Wenn Sie die entsprechende Umfrage im Winter machen, wo es viel länger dunkel ist, weiß ich nicht, was dann herauskäme. Außerdem weiß ich aus praktischer Erfahrung, dass der Mensch beim Thema Schlaf oft unvernünftig handelt, da ist ihm Freizeit oder Arbeit vielfach wichtiger. Und das wird in der Gesellschaft auch noch gutgeheißen. Nehmen Sie nur mal Wörter wie Schnarchnase, Schlafmütze, Langschläfer – alles negativ besetzt. Dagegen die vielen positiven Redewendungen wie Morgenstund hat Gold im Mund oder früher Vogel fängt den Wurm. Dabei ist der Wurm drin in der Sommerzeit. Was wäre die Alternative, um aufgeweckt in den Tag zu starten? Die natürliche Zeit ist die Winterzeit, die kommt unseren körperlichen Bedürfnissen am ehesten entgegen. Abends wird es früh genug dunkel, um rechtzeitig müde zu werden, morgens wird es entsprechend früh hell um wach und fit zu sein. Mit diesem Hell-Dunkel-Rhythmus steht unsere innere Uhr am ehesten im Einklang. Die von Ihnen so gelobte Sommerzeit ist es, die uns aus dem Takt bringt.

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