Rheinpfalz Heilige Orte

Gemeinden und Städte mit einem „Sankt“ im Namen sind in Deutschland eher selten. Die meisten davon sind im Südwesten zu finden, vor allem in Rheinland-Pfalz. Ist dort die Heiligenverehrung ausgeprägter als im Rest der Republik?

St. Martin. Die „heiligen Orte“ in Deutschland passen auf eine Seite: Das Postleitzahlenbuch verzeichnet 76 Gemeinden und Städte, die sich mit einem „Sankt“ oder zumindest mit einem „St.“ schmücken. Der Bogen spannt sich von Sankt Alban in der Pfalz bis St. Wolfgang in Oberbayern. Betrachtet man nur die selbstständigen Gemeinden, zeigt sich, dass Rheinland-Pfalz mit zwölf Kommunen und Baden-Württemberg mit immerhin noch sechs bei den „heiligen Orten“ vorne liegen. Gefolgt von Bayern und Schleswig-Holstein mit jeweils vier. Die Pfalz ist auf dieser Liste außer mit Sankt Alban (Donnersbergkreis) noch mit St. Martin (Kreis Südliche Weinstraße) und Sankt Julian (Kreis Kusel) vertreten. Dazu kommt St. Johann als Ortsteil von Albersweiler (Kreis Südliche Weinstraße). Martin Armgart vom Institut für Evangelische Theologie an der Universität Landau weist darauf hin, das die Pfalz einst noch mehr „heilige Orte“ hatte: In der Literatur seien so einige untergegangene Siedlungen aufgeführt (St. Georgen bei Pleisweiler, St. Jakob bei Dannenfels, St. Johann bei Hornbach, St. Ulrich bei Dahn). Dazu gebe es Orte, die ein vorangestelltes Sankt später abgelegt hätten, wie Sankt Lambrecht, oder ihren Namen auf andere Weise geändert haben, so Sankt Barbel in Barbelroth. „Die meisten dieser Sankt-Orte beziehen sich auf den Kirchenpatron oder eine dem Heiligen gewidmete Kapelle“, sagte Rita Heuser von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur an der Universität Mainz. Ausschlaggebend für die Namensgebung könne aber auch gewesen sein, dass der Heilige an diesem Ort gewirkt und gelebt hat oder dort seine Reliquien aufbewahrt werden. Heuser nimmt dabei mehr als nur die Sankt-Orte in den Blick: Auch in Namen wie Weihenstephan oder Weihmörting in Bayern stecke, wie übrigens auch in Weihnachten, ein altes Wort für „heilig“ – nämlich das althochdeutsche „wih“, das später im Wortschatz durch „heilig“ ersetzt worden sei. Wer den „heiligen Orten“ der Pfalz nachspüren will, kommt an zwei Standardwerken nicht vorbei. Der Pfälzer Philologe und Volkskundler Ernst Christmann (1895-1974) hat akribisch Sprache und Bräuche seiner Heimat erforscht. Sein Hauptwerk „Die Siedlungsnamen der Pfalz“ erschien von 1952 bis 1964 in drei Teilen mit insgesamt fast 1500 Seiten. 1991 wurde das Thema dann auf 556 Seiten nochmals unter Berücksichtigung neuster Quellenstudien ausgeleuchtet: Der Kaiserslauterer Pädagoge und Heimathistoriker Martin Dolch (1922-2011) legte damals zusammen mit dem Mainzer Sprachwissenschaftler Albrecht Greule das Buch „Historische Siedlungsnamen der Pfalz“ vor. Was sind nun die Namensgeber der verschiedenen „heiligen Orte“ in der Pfalz? Zu St. Julian im Kreis Kusel hatte Martin Dolch dies herausgefunden: „Bisher unbekannte Belege erlauben jetzt, die hl. Juliana mit Sicherheit als Patronin der Kirche zu erkennen.“ So zeigten Dokumente zum Neubau der Kapelle des Ortes im Jahr 1290, dass „einiges Gebein der hl. Jungfrau Juliana eingelegt“ worden sei. Laut Dolch ist damit wohl die Märtyrerin Juliana von Nikomedien aus den 4. Jahrhundert gemeint. Sie wurde als Patronin bei Entbindungen und Krankheit verehrt. Laut Ortsbürgermeister Philipp Gruber kommt jedoch als Namensgeberin auch die heilige Juliana von Troies in Betracht, die in der Regierungszeit des römischen Kaisers Aurelian (270 – 275 n.C.) während der Christenverfolgung hingerichtet wurde. Wegen der Reliquienübertragung, so das Fazit von Dolch, sei die Ortschaft zeitweise sogar „Sant Juliana“ genannt worden, wie Belege aus dem 16. Jahrhundert beweisen. Auf die Dauer habe sich aber die männliche Namensform durchgesetzt. Zu St. Martin weiß man, dass der Namenspatron des Ortes 1203 in einer Urkunde erwähnt wird: villa quae dicitur apud Sanctum Martinum (Dorf, das nach einer dem heiligen Martin geweihten Kirche genannt ist). Dieser Heilige wirkte im 4. Jahrhundert als Missionar Galliens und wurde nach seinem Tode der bedeutendste Heilige und Schutzpatron des merowingisch-fränkischen Reiches. In der Pfalz ist heute noch jede zehnte Pfarrkirche eine Martinskirche und an der Mosel sogar jede siebte. Sankt Alban wird 863/64 als villa sancti Albini und später als sancte Elben erwähnt: „Dorf bei einer dem heiligen Albinus geweihten Kirche“. In der Mundart wurde aus t’Albin und dann d’Elben schließlich Delben oder Delwe. Bei dem Heiligen Albinus handelt es sich wohl entweder um den britischen Märtyrer des 3. Jahrhunderts Albanus, der auf dem Festland im frühen Mittelalter meist als Albinus verehrt wurde oder den wundertätigen Bischof Albinus von Angers (gestorben 550). Der Name Albinus wurde nach dem 30-jährigen Krieg amtlich durch den des weitverehrten Mainzer Heiligen Alban ersetzt. Damit kam es zu der erst seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlichen Namensform St. Alban. Ortsbürgermeisterin Petra Becher zum Sprachgebrauch: „Auch heute steht der Name St. Alban mehr für den amtlichen Gebrauch, doch in der Nordpfalz ist und bleibt es Delwe.“ Warum aber sind nun ausgerechnet im Südwesten Deutschlands mehr „heiligen Orte“ anzutreffen als anderswo? Sprachwissenschaftlerin und Namensforscherin Rita Heuser hat dafür eine Erklärung: „Aufgrund der frühen Christianisierung finden sich die ersten Namen mit Sankt und Weihen vor allem im Süden in den ehemals römischen Provinzen. Einige wenige Sankt-Namen gehen also schon in die fränkische/frühmittelalterliche Zeit zurück, aber die meisten sind im hohen Mittelalter entstanden, zu einer Zeit in der viele neue Siedlungen gegründet wurden.“ Doch auch zahlreiche Neugründungen zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert – zur Zeit der Gegenreformation besonders in Bayern – hätten zu diesem Namentyp beigetragen, sagt die Mainzer Wissenschaftlerin. Das verstärkte zusätzlich den Trend zu „heiligen Orten“, den es ohnehin eher in Süddeutschland und somit auch in den fränkischen Siedlungsgebieten gab. Denn bei der Namenssuche wurde einfach auf bekannte Muster in der Nachbarschaft zurückgegriffen. Heuser: „Somit ist das höhere Aufkommen im Süden eher mit einer Namenmode oder Namenskonvention zu begründen und nur bedingt mit den konfessionellen Gegensätzen.“ Info www.adwmainz.de

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