Rheinpfalz Gemeinsam gegen Rechtsruck

Eine Rose im Gedenken an jeden vertriebenen jüdischen Mitbürger Kusels: Schüler des Siebenpfeiffer-Gymnasiums gestalteten eine e
Eine Rose im Gedenken an jeden vertriebenen jüdischen Mitbürger Kusels: Schüler des Siebenpfeiffer-Gymnasiums gestalteten eine ergreifende Erinnerungszeremonie.

80 Jahre ist es her, dass die Nazis die Synagogen ansteckten. In der Nacht auf den 10. November machte dieses schlimme Treiben auch vor Kusel nicht Halt. Jüdische Geschäfte und Häuser wurden auch in den Dörfern geplündert, Familien vertrieben. Der Novemberpogrome gedachten am Samstagabend in der Stadtkirche zahlreiche Besucher. In einer von RHEINPFALZ-Lokalchef Wolfgang Pfeiffer moderierten Podiumsdiskussion stellten sich anschließend Vertreter von Politik und Kirche dem aktuellen Rechtsruck.

Es war ein dichtes und sehr bewegendes Programm, das die Veranstalter von der protestantischen Kirchengemeinde Kusel den rund 170 Besuchern boten. Besonders eindringlich wirkte eine Aktion von Neuntklässlern des Siebenpfeiffer-Gymnasiums unter Leitung ihres Religionslehrers Ulrich Reh. Begleitet von leiser Musik und mit einer Dia-Installation erinnerten die Schüler an Nazi-Opfer aus Kusel, bis auf den Förster Theodor Siebenlist alles Juden. Sie zeigten auf einer Leinwand die ehemaligen Häuser von 25 Opfern, vor denen heute Stolpersteine zur Erinnerung aufrufen. Bermann, Frank, Weil, Mayer, Oppenheimer, Herz, Borg: Zu den Kuseler Namen ließen die Schüler die Biografien der Menschen lebendig werden. In einer besonders berührenden und gleichzeitig technisch ausgefeilten Zeremonie erhielt jedes der Opfer anschließend eine Rose. Dabei projizierten die Schüler bewusst die Schatten der Rosen auf die Dia-Leinwand vor die jeweiligen Häuser. Eine Geste, die bei vielen für Gänsehaut sorgte. Doch zum Gedenken gehört neben solch gelungenen emotionalen Aktionen, Kerzenschein, Gebeten und Musik – passend wählte Bezirkskantor Tobias Markutzik Kompositionen von Felix Mendelssohn-Bartholdy, jiddische Lieder sowie ein Lied auf Grundlage der Melodie der israelischen Nationalhymne Hatikwa (Hoffnung) aus – auch eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Geschichte. Dazu fühlte der Kuseler RHEINPFALZ-Redaktionsleiter Wolfgang Pfeiffer bei einer Podiumsdiskussion den Landtagsabgeordneten Marlies Kohnle-Gros (CDU), Jochen Hartloff (SPD), Andreas Hartenfels (Grüne) sowie Stadtbürgermeisterin Ulrike Nagel (SPD) und Dekan Lars Stetzenbach auf den Zahn. „Bei meinen Besuchen von Gemeindemitgliedern begegne ich immer wieder rechtem Gedankengut“, sagte der Dekan ganz offen, „oft auch von Menschen, bei denen ich es aufgrund ihres Bildungsstandes nicht erwartet hätte“. Nagel berichtete hingegen von anderen Erfahrungen – gerade in Bezug auf die Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende auf dem Windhof. Anfeindungen habe es fast nicht gegeben. Vielmehr sei sie noch immer überwältigt von der Offenheit und dem großen Engagement. „Die von Menschlichkeit getragene Grundhaltung lässt man sich hier nicht kaputt machen“, folgerte Nagel. Mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse und den Zuwachs der AfD plädierten Hartloff und Hartenfels eindringlich dafür, „klare Kante“ zu zeigen und dieser „massiven Bedrohung“ aktiv entgegenzutreten. Der Rechtsstaat dürfe so etwas wie Brandanschläge auf Wohnungen keinesfalls dulden, warnte Hartloff. „Wir müssen immer wieder dafür kämpfen, dass Menschlichkeit zählt“, sagte der SPD-Politiker. Die Diskutanten wandten sich zudem gegen eine Verrohung der Sprache: „Da habe ich null Toleranz“, stellte Nagel klar. Dass die AfD eine gesellschaftliche Grundstimmung in Wählerstimmen umsetzen konnte, habe sie überrascht, bekannte Marlies Kohnle-Gros. „Wir müssen wissen, wer gegen unsere gesellschaftliche Grundordnung arbeitet“, sprach sie sich für Beobachtungen des Verfassungsschutzes aus. Eine Patentlösung, wie die Politik Vertrauen zurückgewinnen kann, hatten die Teilnehmer der Gesprächsrunde allerdings nicht parat. Wie man an AfD-Wähler herankommen könnte? „Das weiß ich auch nicht“, sagte Nagel offen. „Uns tut auch gut, dass die Flüchtlinge da sind“, betonte sie. Die von den Rechten geschürten Ängste seien nicht real, warnte Hartloff. „Es gibt genug andere Probleme“, betonte Hartenfels und verwies auf Demografieprobleme und Gesundheitspolitik. Ein Blick ins AfD-Programm verrate zudem, dass die Rechten keine Lösungen böten. Ob denn die Kirche genug tue, um dem Rechtsruck entgegenzutreten, fragte Pfeiffer. „Ich denke, ja“, sagte Stetzenbach und verwies auf die Arbeit in Kitas und im Jugendhaus. Zudem „gibt es kaum noch eine Predigt, die nicht politisch ist“. Solch klare Worte kämen gut an, weiß der Dekan. Ein Vertreter der AfD war nicht eingeladen, „aus Respekt vor den Opfern dieser Tage“, wie Stetzenbach erklärte. Allerdings stellte der Dekan auch klar, dass er die Diskussion keinesfalls scheue. Kirche könne sich nicht dauerhaft der AfD entziehen, sagte er. Bei Rassismus und Antijudaismus sei allerdings die Grenze überschritten. Zuvor beleuchtete der Kaiserslauterer Historiker Roland Paul, wie die Verfolgung jüdischer Menschen systematisch betrieben wurde – insbesondere auch in Kusel, wo das Geschehen während der Nazi-Zeit in dem Band „… auf Lastwagen fortgeschafft“ vor zehn Jahren erstmals dokumentiert wurde. Kritisch beleuchtete Paul ferner das Verhalten der evangelischen Kirche, von deren Seite es nur ganz vereinzelt Widerstand gab. Zum Abschluss waren die Besucher zum Empfang geladen. Viele verließen die Kirche anschließend mit neu gestalteten, kreativen Ansteckern für Zivilcourage, die die Schüler des Kuseler Gymnasiums mit allerhand Spaß unters Volk brachten.

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