Kultur Südpfalz Eine Pastete aus London

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Die szenische Produktion des Theaters Heidelberg bei seinem Barockfestival Winter in Schwetzingen ist diesmal eine „Pastete“: ein sogenanntes Pasticcio. 1737 führte Georg Friedrich Händel in London seine Einrichtung der Oper „Didone abbandonata“ von Leonardo Vinci auf. Im Rokokotheater des Schlosses ist eine ansprechende Produktion des Stücks unter der musikalischen Leitung des Barockspezialisten Wolfgang Katschner als Deutsche Erstaufführung zu erleben.

Händel hatte in seinen späten Jahren als Opernunternehmer die elf Jahre alte Oper des bereits 1730 eines mutmaßlich nicht natürlichen Todes gestorbenen Leonardo Vinci (er wurde wahrscheinlich Opfer eines Giftmordes aus Eifersucht) eingehend bearbeitet, die Rezitative stark gekürzt und einige Arien anderer Meister benutzt. Das war in der Barockzeit ein gängiges Verfahren. Händel hatte einige dieser Pasteten mit eigener Musik oder der seiner Zeitgenossen auf seine Spielpläne gesetzt. Leonardo Vinci, nicht zu verwechseln mit dem Universalgenie Leonardo da Vinci, war bis vor drei Jahren allenfalls Fachleuten ein Begriff. Seit der sensationellen Produktion seiner Oper „Artaserse“, initiiert von Max Emanuel Cencic und seiner Agentur Parnassus, weiß die Welt, was der um 1690 geborene Musiker für ein Genie der Barockoper war. Seine nicht selten einschmeichelnde und betörend schöne Musik weist wie die des von ihm beeinflussten Johann Adolf Hasse in Richtung galanter Stil. Vom Reiz der Musik Vincis kündet auch die Schwetzinger Einstudierung der „Didone abbandonata“. Wolfgang Katschner, der wie immer gelegentlich selbst zur Laute greift, sorgt am Pult des Philharmonischen Orchesters Heidelberg für eine beredte Entfaltung der Affekte und klanglichen Feinschliff. Zugleich weiß er den geschmeidigen, melodiebetonten, eben galanten Stil der Musik Vincis optimal zur Wirkung zu bringen. Sehr hoch liegt die Rolle des Aeneas, denn die sang bei Händel der Soprankastrat Gizziello, für den der Meister in eigenen Opern die höchsten Töne vorsah. Der Countertenor Kangmin Justin Kim glänzt im Rokokotheater mit einer faszinierenden Sicherheit in Höhe und Tiefe sowie einer selbst in den mit Koloraturen gespickten Passagen hochexpressiven Vortragsart. Seine Kollege Terry Wey als Jarba muss weniger in extreme Lagen. Dafür sind seine Arien eher von ausladenden Melodien geprägt. Wey singt mit erlesener Stimmkultur und einer ausgefeilten, immer wunderbar noblen Phrasierung. In der Titelrolle verbindet Rinnat Moriah Stilgefühl mit leidenschaftlicher Intensität und gibt eine Dido von großer Empfindungskraft. Elisabeth Auerbach singt bewegt und anmutig die Selene. Polina Artsis überzeugt als Osmida durch einen klangschönen und flexiblen Mezzo. Namwon Huh gefällt als Araspe durch einen in feinen Linien sich entfaltenden lyrische Tenor. Die Inszenierung von Yona Kim in der Ausstattung von Hugo Holger Schneider und Margit Flagner setzt sich in erster Linie mit der Psychologie der Personen und ihrer Interaktion auseinander. Gespielt wird in einem eher unwirtlichen Innenraum in der Jetztzeit. Der Regisseurin gelingen dabei durchaus attraktive Bilder und interessante Lösungen. Vor allem ist das Spiel sehr dynamisch und abwechslungsreich. Die szenische Spannung ist in jedem Fall hoch und über die ganze Dauer der Aufführung ungebrochen. Diskussionswürdig ist die Spielfassung, bei der immer wieder Teile einzelner Arien wegfallen oder zwei Arien quasi ineinandergeschoben werden. Das ist speziell, aber nicht unbedingt authentisch. Stark ist der bemerkenswerte Schluss der Oper. Es gibt (wie auch in Vincis „Catone in Utica“) kein gutes Ende. Die Oper endet mit einem kurzen und emotional aufwühlenden begleiteten Rezitativ. Es gehört zu den besten Szenen der umjubelten Produktion beim Winter in Schwetzingen, die im Sommer auch bei den Händel-Festspielen in Halle zu sehen sein wird. Termine 19. und 28. Dezember, 12., 15., 21., 23. und 31. Januar sowie am 5. Februar. Karten unter Telefon 06221/5820000.

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