Rheinpfalz Ein Hauch von Höxter

Ein Paar aus Neuhofen hat gestanden, teilweise gemeinsam junge Frauen in die gemeinsame Wohnung gelockt und dort vergewaltigt zu haben. Laut Anklage hätte es sogar noch schlimmer kommen können. Von Daniel Krauser

Dem Ort ist von außen nicht anzusehen, dass er ein Ort des Schreckens war: ein gepflegtes Mehrfamilienhaus, wie es in Neuhofen viele gibt. Gut 7000 Einwohner hat die Gemeinde, die zwischen Ludwigshafen und Speyer liegt, von hier aus sind es wenige Kilometer bis zum Altrheinidyll mit seinen Biergärten unter Trauerweiden. Die Schlicht, eines der beliebtesten Naherholungsgebiete der Vorderpfalz, ist nicht weit. Einer der größten örtlichen Aufreger der letzten Zeit: Es gab Pläne, den Kiosk dort abzureißen. Der Abgrund lauert, wo man ihn am wenigsten vermutet: Es sind in diesem gepflegten Haus im vorigen Jahr zwei Frauen vergewaltigt worden. Unter falschem Vorwand angelockt, mit Schreckschusswaffen bedroht, mit Fesselwerkzeug aus dem Sado-Maso-Bereich fixiert, die Münder mit Paketband zugeklebt. Die Polizei hat im Haus Kinderpornos gefunden, auf Handy und Laptop. Es ist dies eine Geschichte, in der die Fassaden täuschen und das scheinbar Geordnete ins Chaos ausfranst. Seit Ende März müssen sich ein 34-Jähriger und seine jüngere Ehefrau aus Neuhofen vor der Dritten Großen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal wegen teilweise gemeinsam begangener Vergewaltigung und Körperverletzung verantworten. Am Dienstag dieser Woche haben die beiden die Hauptvorwürfe vor Gericht zugegeben. Genauer: Sie haben eingeräumt, dass die Anklagepunkte zuträfen – nannten selbst aber nicht den genauen Hergang. Wie es gewesen ist, schildert die Staatsanwaltschaft. Demnach haben die beiden im Mai 2016 in der Ludwigshafener Diskothek „Musikpark“ eine junge Frau kennengelernt, sich dabei unter falschem Namen und als angebliches Geschwisterpaar vorgestellt, „André“ und „Steffi“. Der 34-Jährige hat vorgeschlagen, in Speyer noch eine Techno-Party zu besuchen, es ging auf Mitternacht. In der Wohnung des Paares in Neuhofen, bei einer vermeintlichen Zwischenstation, hat die Ehefrau laut Anklage gesagt: „Ich will sie nackt sehen!“ Hat die junge Frau, die Diskobekanntschaft, laut Anklage noch versucht, zu entkommen. Hat der 34-Jährige eine Schreckschusspistole hervorgezogen und sie zum Bleiben gezwungen. Hat die Ehefrau ihr Opfer mit einem lilafarbenen Seil gefesselt – und danach hätten beide die Gefesselte vergewaltigt, unter anderem mit den Fingern. „Sie hat damit gerechnet, sie würde nicht mehr lebend aus der Wohnung kommen“, berichtet ein Polizeibeamter vor Gericht. Das Verfahren findet an diesem Dienstag im großen Saal des Landgerichts statt, Kunst am Bau über der Richterbank und reichlich Platz: Dass die beiden Angeklagten Geständnisse ablegen würden, hatte sich in den drei vorherigen Verhandlungstagen angedeutet. Vielleicht hat man mit mehr Publikumsinteresse gerechnet, für einen Fall, über dem der kalte Hauch von Höxter liegt. Zur Erinnerung: das Verfahren gegen Wilfried und Angelika W., denen zweifacher Mord und 30-fache Körperverletzung vorgeworfen wird, die in ihrem Haus im Westfälischen Frauen wie Sklavinnen gehalten und missbraucht haben sollen. In Frankenthal finden sich an diesem Dienstag allerdings fast nur die ein, die direkt mit dem Fall zu tun haben: die Dritte Große Strafkammer des Landgerichts, drei Richter und zwei Schöffen. Die Anwälte der Angeklagten und der Opfer, die auch Nebenklägerinnen sind. Die Zeugen, die Protokollantin und die Justizwachtmeister. Und natürlich die Angeklagten, die, seltsames Phänomen, immer weniger greifbar werden, je mehr die Zeugen über ihre Taten aussagen. Er erklärt sich nicht, dieser Angeklagte, der seinen Opfern mit angeblichen Kontakten zur Rockerbande „Hells Angels“ gedroht hat. Der Mann hat laut Gerichtssprecher mehrere Vorstrafen unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs. Außer mit einem gelegentlichen „Jawoll“ auf Fragen des Richters bleibt er stumm. Seine Einlassungen trägt sein Anwalt Sebastian Göthlich vor. Dass der Angeklagte so wenig von sich preisgibt, ist wohl auch Teil der Verteidigungsstrategie, sein gutes Recht. Auch die Frau gibt Rätsel auf. Sie hat bei einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit einer der Vergewaltigungen die Polizei selbst auf den zweiten Fall aufmerksam gemacht. Nach der Vergewaltigung der Diskobekanntschaft hat sie das Opfer laut einem Polizeibeamten per „Whats App“ kontaktiert – und angefragt, ob man nicht Freunde bleiben könnte. Das Paar folgt der Verhandlung meist mit niedergeschlagenen Augen. An diesem vierten Verhandlungstag versucht der Angeklagte, Blickkontakt zu seiner Frau aufzubauen, vergeblich: Sie erwidert den Blick nicht. Der Prozess vor der Dritten Großen Strafkammer – er ist auch ein Beleg dafür, welch ungeheure zivilisatorische Errungenschaft es darstellt, auch über solche Taten und solche Angeklagte so verhandeln zu können, wie das im Allgemeinen vor Gericht geschieht – sachlich. Das starre Korsett des Prozesses, jenes Gerüst aus Verfahrensregeln, Rechtsnormen und Strafprozessordnung, das, was Außenstehende so oft befremdet oder sogar abstößt – es lässt nicht zu, dass Gefühle dominieren. Und es zwingt, in den Abgrund zu blicken, ohne zu blinzeln und ohne sich in die Erregung zu flüchten. Die Prozessführung des Vorsitzenden Richters Alexander Schräder trägt viel dazu bei, ruhig, sachlich und unaufgeregt. Bei der Befragung der Angeklagten agiert Schräder fast sanft – und da spricht er immerhin mit jemandem, der zugegeben hat, ein gefesseltes und wohl von Todesangst gebeuteltes Opfer malträtiert zu haben. Außerdem geht es hier um Verbrechen, die den Opfern ein Leid aufbürden, das sie unter Umständen ihr Leben lang mit sich herumtragen – wenn sie nicht schon von vorneherein mit Leid geschlagen sind. „Wer in seiner Kindheit Missbrauch erlebt hat, hat ein höheres Risiko, Opfer eines Missbrauchs zu werden“, sagt Professor Matthias Michal, der stellvertretende Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin an der Uniklinik Mainz (siehe Kasten) – unter anderem deshalb, weil er Gefahren kaum einschätzen könne. Michal kennt das Verfahren und damit auch den zweiten Neuhofener Fall nicht. Tragischerweise hat er ihn damit wohl beschrieben. Das zweite Opfer des 34-Jährigen – seine Frau ist dieser Tat nicht angeklagt – ist eine zum Tatzeitpunkt 18-Jährige aus dem Badischen, unter Betreuung stehend und damals in einer Betreuungseinrichtung untergebracht. Heutige und ehemalige Betreuerinnen haben als Zeugen über die junge Frau berichtet: mutmaßlicher Missbrauch in der Jugend, jedenfalls schwierige Kindheit. Die Form von aufgezwungenem Selbsthass, die sich in Selbstzerstörung äußert, ritzen, schneiden. Zum Tatzeitpunkt war die junge Frau laut ihrer gesetzlichen Betreuerin in einer „Verselbstständigungsgruppe“, sollte sich langsam wieder ins Leben bewegen. Und ist dabei auf den 34-Jährigen getroffen. Die 18-Jährige hat sich auf eine Internetanzeige hin als Babysitterin bei dem Neuhofener Paar beworben. Bei einem ersten, ergebnislosen Treffen, das nicht-existente Baby war angeblich woanders untergebracht, hat man sie wohl gewogen und für geeignet gefunden, jedenfalls folgt darauf ein langer Chat-Verkehr. „Sie wollte da eigentlich gar nicht mehr hin“, sagt ihr Anwalt Frank Abele. Im Chat präsentiert sich der Angeklagte laut Abele allerdings charmant. Im September 2016 fährt sie mit dem Zug erneut nach Ludwigshafen, der Angeklagte hat sie laut einem ersten Geständnis am Bahnhof Rheingönheim abgeholt, ohne Führerschein, in einem Auto mit gestohlenen Kennzeichen. Was sich dann in der Wohnung abgespielt, was der Angeklagte mit der weinenden, gefesselten jungen Frau gemacht hat, ist schon bei der Schilderung durch Dritte kaum zu ertragen. Der 34-Jährige entlässt sein Opfer nach dem Martyrium in die Freiheit, laut einer Mitarbeiterin der Betreuungseinrichtung „mit einer Flasche Apfelsaftschorle und einer Entschuldigung“. Die 18-Jährige versteckt sich im Umfeld des Mannheimer Hauptbahnhofs, zitternd vor Angst. Dort wird sie von der Mitarbeiterin abgeholt. Eine Polizeibeamtin hat sie nach der Tat gesprochen. „Eine gebrochene Frau“, sagt die Beamtin vor Gericht. Die Angeklagten haben die Vorwürfe in der Hauptsache bestätigt – in einem dritten Fall ist das Verfahren vorläufig eingestellt – das Gericht wird mit seiner Beweisaufnahme fortfahren. Grund ist wohl auch, dass im Fall des Angeklagten noch die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung im Raum steht: Laut Anklage soll er nach der Vergewaltigung der Diskobekanntschaft laut darüber nachgedacht haben, sein Opfer zu töten. Seine Frau soll ihn davon abgehalten haben. Der Mann hat eine Tötungsabsicht in seinem Geständnis ausdrücklich von sich gewiesen. „Vieles deutet darauf hin, dass irgendwann eine Tötung geplant war“, hat dagegen die Polizeibeamtin zu Protokoll gegeben. Vielleicht hat nicht viel gefehlt – und es hätte mehr als nur ein Hauch von Höxter geweht hinter der gepflegten Fassade in Neuhofen.

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