Rheinpfalz Du hast die Haare schön

Männer, die auf High Heels laufen, Perücken frisieren und sich schminken – in weiten Teilen des Nahen Ostens ist das undenkbar. Die quirlige Hafenstadt Tel Aviv aber tickt anders: Hier wird sogar unterrichtet, in die Haut des jeweils anderen Geschlechts zu schlüpfen – an der ersten Drag-Schule Israels.

Lizzie Le Belle zieht die blonden Haarsträhnen nach oben und toupiert das gewellte Haar. Noch zu zaghaft, findet Lehrerin Daisy Bitch und greift selbst zum Kamm, den sie schwungvoll in Richtung Haaransatz schiebt. Fünf Minuten später haben die beiden die platinblonde Perücke zu einer voluminösen Lockenpracht geformt. Lizzie zieht sie auf und begutachtet sich vor dem Spiegel: „Super.“ Lizzie Le Belle hat eigentlich dunkelbraune, kurze Haare, trägt ein schlichtes blaues T-Shirt, Jeans und robuste Lederstiefel. Und: Sie ist im richtigen Leben ein Mann, 20 Jahre alt und derzeit im Armeedienst, der in Israel Pflicht ist. Offizier und Kameraden wissen längst, dass er schwul ist. Doch dass er nach Feierabend lernt, sich als Dragqueen zu stylen, hat er ihnen nicht verraten – und will seinen richtigen Namen deshalb lieber für sich behalten. Hier an der „Drag-Yourself“-Schule im Herzen Tel Avivs nennen sich aber sowieso alle nur bei ihrem Künstlernamen. Die Drag-Schule wurde bereits vor vier Jahren ins Leben gerufen, doch die damalige Lehrerin hörte aus privaten Gründen auf. Die beiden Dragqueens Daisy Bitch und Clarissa Snowwhite übernahmen vor einem Jahr die Idee, bastelten an ihrem eigenen Ausbildungsprogramm und unterrichten seither einmal pro Woche drei Stunden lang hier am Gay-Zentrum in Tel Aviv. „Wir haben auch zuvor immer wieder jungen Kollegen Tipps gegeben. Dann dachten wir: Wir können auch einfach die Schule übernehmen“, sagt Lehrerin Daisy, 33. Die Teilnehmerinnen zahlen dafür einen kleinen Unkostenbeitrag. Zwölf junge Männer und eine Frau lernen hier in zehn Monaten, sich zur Dragqueen beziehungsweise zum Dragking zu verwandeln. Das heißt: Perücken frisieren, auf Stilettos laufen, schminken und Nagellack auftragen. Oder eben: Haare und Brüste verstecken, Beinhaare sprießen lassen und einen Bart ankleben. Für die meisten Teilnehmer ist der Unterrichtsstoff neu, sie kannten Dragqueens von Shows, waren interessiert. „Anfangs hatte ich Angst, dachte, so findest du niemals einen Partner. Irgendwann aber wurde mir klar: Wenn es dein Traum ist, mach es einfach. Für meine Eltern war es ein Schock. Heute aber bringt mir meine Mutter von der Paris-Reise Kleider mit und mein Vater gibt Tipps, sagt, der Rock muss kürzer sein, mach’ die Brüste größer“, erzählt Lizzie Le Belle. Alles, was die Männer hier lernen, ist nur für Shows und Auftritte gedacht, betont Lehrerin Daisy. Im richtigen Leben sind die meisten von ihnen Männer und kleiden sich entsprechend. Nur Daisy selbst hat sich dank eines medizinischen Eingriffs zu einer Frau, zu Linor Abergel, verwandeln lassen – eine Ausnahme, auch in der Drag-Szene. An diesem Abend sitzen die Schülerinnen im Übungssaal des Gay-Zentrums im Park Gan Meir vor ihren Perücken, die sie auf Styroporköpfe gezogen haben. Es ist die letzte Unterrichtseinheit vor dem großen Abschlussabend, bei dem sie alle gemeinsam auftreten werden. Draußen spazieren Hundebesitzer und Eltern mit Kindern durch den Park, unten sitzen ein paar junge Tel Aviver im Café. Und hier oben im zweiten Stock beobachten die Männer, wie Daisy Bitch ihrem Modell Locken eindreht und Haarfestiger aufsprüht. „Am besten nur mit Shampoo und kaltem Wasser waschen“, erklärt sie. Ihre Schützlinge sind zwischen 20 und 35 Jahre alt. Ein großer, schlaksiger Schüler hat noch seine schwarzen Armeestiefel und die olivgrüne Uniformhose an, er kommt direkt vom Dienst. Andere kommen von der Arbeit oder der Uni, wie Michelle La Toillette, 25, die in Jerusalem Politikwissenschaften und Linguistik studiert, und die 1,85 Meter große Joanna Russ, im wahren Leben Physikstudent in Tel Aviv. „Fast alle Teilnehmer sind homosexuell. Schwule Männer sind einfach femininer. Sie interessieren sich mehr für Mode, Klamotten und Schönheitsprodukte“, sagt Daisy. Nur die 35-jährige Sparkle ist seit einem Jahr in einer Beziehung mit einer Frau. „Ich kleide mich einfach gerne als Frau, manchmal gehe ich auch so aus. Und meine Freundin mag das“, sagt der große, dunkelhaarige Mann. Die Dragqueen-Schule ist einzigartig im Nahen Osten. In den arabischen Ländern ringsherum werden Homosexuelle vielfach entweder nicht akzeptiert oder müssen gar um ihr Leben bangen. Sogar in Jerusalem hat bei der Schwulenparade im Sommer ein ultraorthodoxer Extremist auf eine Teilnehmerin eingestochen und sie tödlich verletzt. Tel Aviv hingegen ist die Stadt, in der alles möglich scheint. „The bubble,“ also „die Blase“, nennen sie die Israelis, weil hier nichts so ist wie im Rest des Landes. Die Stadt ist die Heimat der Linken, der Hipster und der Partygänger. Sie hat eine bekannte Schwulenszene, die Tausende Touristen anzieht: mit einem eigenen Gay-Beach, Schwulen-Bars und der jährlich stattfindenden Gay-Pride-Parade, zu der vergangenes Jahr 100.000 Menschen kamen. Auch arabische Israelis sowie Palästinenser aus dem Westjordanland kommen zu Partys nach Tel Aviv oder ziehen gar aus traditioneller geprägten Gegenden in die liberale Stadt am Mittelmeer, weil sie zu Hause nicht akzeptiert werden. Selbst der Rest des Landes ist aufgeschlossen: Israels Armee zählt zu den schwulenfreundlichsten der Welt, und auch wenn Homosexuelle in Israel selbst nicht heiraten können, werden im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen rechtlich anerkannt. Und so haben auch die Dragqueens in Tel Aviv ihren Platz. „Wir sind mittlerweile eine Riesenattraktion für Junggesellinnenabschiede geworden“, sagt Daisy. Sie und Clarissa Snowwhite sind seit einigen Jahren als Dragqueens unterwegs, allein und gemeinsam – und inzwischen für Veranstaltungen so gefragt, dass sie davon leben können. „Tagsüber arbeiten wir dennoch in unseren alten Berufen, ich bin Make-up-Artist, Daisy ist Haardesignerin“, sagt Clarissa. Rund zwei bis drei Stunden brauchen sie, bis sie für einen Auftritt gestylt sind, erzählt Clarissa: „Viele unterschätzen das. Wir hatten am Anfang 20 Schüler. Jetzt, am Ende des Programms, sind es noch 13, den anderen war es zu viel Aufwand. Dragqueen zu sein ist eben harte Arbeit.“

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