Rheinpfalz „Die Nachfrage ist gleich null“

91-93080859.jpg

TRIPPSTADT. Ein lebhaftes Echo hat der RHEINPFALZ-Aufruf zu Veränderungen in der Vogelwelt ausgelöst: Deutlich über 150 Leser bestätigten seit Freitag in ihren Mails an den Pollichia-Präsidenten Jürgen Ott (Trippstadt), dass auch bei ihnen ein Schwund nicht mehr zu übersehen sei. Lediglich vier Leser erklärten, an ihren Futterstellen würden so viele Tiere wie gewohnt herumflattern. Auch auf den sozialen Netzwerken gab es etliche Rückmeldungen von Lesern.

„Knödel hängt seit sechs, Häuschen seit vier Wochen unangetastet da“, bringt es RHEINPFALZ-Leserin Andrea Schaaf auf den Punkt. Dabei habe sie sich in den vergangenen Jahren vor hungrigen Piepmätzen kaum retten können, so die Südpfälzerin. Ihre Schilderung deckt sich mit einem erheblichen Teil der Leser-Beobachtungen, zog Pollichia-Präsident Ott gestern ein erstes Fazit: Aus vielen Mails gehe hervor, dass es offenbar im Oktober und im November einen fast schlagartigen Einbruch bei den Vogelbeständen gegeben habe. Entsprechende Berichte seien aus nahezu allen Teilen der Pfalz eingegangen, sagte Jürgen Ott weiter. So mailte zum Beispiel Bernd Jung aus der Nordpfalz: „In den vergangenen Jahren habe ich die Futterstelle jeden zweiten Tag neu aufgefüllt.“ Aber in diesem Jahr sei sie noch unberührt. Ullrich Längsfeld berichtete aus dem Rhein-Pfalz-Kreis: „In diesem Winter ist die Nachfrage gleich null.“ Dabei seien seine Meisenbällchen, Nusssäckchen und Ringe in den vergangenen Jahren sehr gut angenommen worden. Doch seit September/Oktober „ist etwas völlig anders“: Die vertrauten Spatzen, Meisen, Rotkehlchen, Rotschwänzchen, Eichelhäher und Stare würden kaum noch auftauchen. Der RHEINPFALZ-Bericht über verwaiste Futterstellen („Was ist bloß mit den Vögeln los“) hat manche Leser wie Gaby Bosslet aus dem Kreis Kusel in einer Hinsicht auch „beruhigt“: „Meine Beobachtungen sind also kein Hirngespinst.“ Denn statt der gewohnten großen Vogelschar könne sie derzeit nur noch wenige Spatzen und Meisen sehen. Solche Schilderungen deuten laut Ott darauf hin, dass in diesem Jahr tatsächlich etwas passiert sein muss. Und zwar nicht nur in der Pfalz. Schließlich hätten auch einige RHEINPFALZ-Leser aus dem Norden von Rheinland-Pfalz und angrenzenden Regionen ähnliche Erfahrungen geschildert. Was die Ursachen dieses plötzlichen Schwundes sein könnten, bleibe allerdings offen. Zwar gebe es Vermutungen. So haben manche Leser Rabenvögel wie die Elstern in Verdacht, andere verweisen auf Katzen als „Übeltäter“. Aus Ludwigshafen, wo sich in den vergangenen Jahren eine stattliche Kolonie von Halsbandsittichen entwickelt hat, wird die Vermutung geäußert, dass diese Papageienart heimische Vögel von den Futterstellen verdränge. Doch die stimmgewaltigen Halsbandsittiche sind vor allem im Rheintal und in der Kölner Region, aber keineswegs flächendeckend verbreitet. Und Elstern beziehungsweise Katzen stehen seit jeher in Verdacht, die Vogelwelt zu dezimieren. Ihre „Raubzüge“ können also fast schlagartige Veränderungen kaum erklären. Das gilt auch für eine Befürchtung, die Vogelfreunde mit Blick auf die moderne Landwirtschaft und ihre Folgen zunehmend haben: „Für mich liegt der Kern des Problems in dem neuerdings von der Wissenschaft mehrfach bestätigten Faktum, dass der Bestand an Insekten in den letzten Jahren um 80 Prozent zurückgegangen ist“, schrieb Ulrich Mohr. Der Südpfälzer, der viele Jahre lang in Rheinland-Pfalz den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) leitete, untermauert seinen Verdacht mit einer eigenen Beobachtung: Noch vor einigen Jahren sei im Sommer seine Auto-Windschutzscheibe schon nach wenigen Kilometern mit toten Insekten nur so übersät gewesen. „Heute aber bleibt meine Windschutzscheibe sauber“, so Mohr weiter. Immer größere landwirtschaftliche Flächen würden „unter die chemische Dusche genommen“, vermutet er als eine Ursache für den Insektenrückgang. Bekanntlich sind aber viele Vogelarten auf Insekten als Nahrungsquelle angewiesen. Nur sehr wenige Mailabsender konnten von positiven Erfahrungen berichten: Ihre fünf Futterhäuschen, die Meisenknödel und die Fettringe würden wie gewohnt besucht, berichtete Annette Grasmück aus der Nähe von Landau. Um die Mittagszeit würden die Singvögel in den Kirschlorbeersträuchern sitzen und fast ununterbrochen zwitschern. Selbst innerhalb eines Ortes können die Beobachtungen sehr unterschiedlich ausfallen, wie Pollichia-Präsident Ott aus eigener Erfahrung weiß: Ein Bekannter, der etwa 500 Meter entfernt von ihm in seiner Heimatgemeinde Trippstadt wohnt, berichtet von einem unveränderten Appetit „seiner“ Piepmätze. Dabei, so Ott, beziehe der Bekannte sein Futter aus der gleichen Quelle wie er. Doch an seiner eigenen Futterstelle lasse sich momentan kaum ein gefiederter Freund blicken. Insgesamt zeigt sich Ott überrascht von den zahlreichen Leser-Reaktionen. Zeitweise legten die Zusendungen mit oftmals großen Foto-Anhängen sogar seinen Mailanschluss lahm. Aus den Leser-Beobachtungen wird seiner Meinung nach ein Trend erkennbar: Bei Fink, Goldammer, aber auch bei Zeisig, Kleiber und Specht scheine es erhebliche Rückgänge zu geben. Selbst die vertrauten Meisen und Amseln machten sich vielerorts rar. Angesichts dieser Schilderungen werde er beim Artenschutzreferat des Mainzer Umweltministeriums nachhören, was dort zu dem Thema bekannt ist. |jüm

91-93085040.jpg
91-93085043.jpg
x