Rheinpfalz Über die Klippe am Neckar

Keine fünf Minuten dauerte die Fahrt auf der 2,8 Kilometer langen Strecke.
Keine fünf Minuten dauerte die Fahrt auf der 2,8 Kilometer langen Strecke.

Während der Bundesgartenschau 1975 verband der Aerobus die beiden Ausstellungsgelände Luisenpark am südlichen Neckarufer und Herzogenriedpark nördlich des Neckars. Die acht Fahrzeuge transportierten in der Zeit vom 18. April bis 19. Oktober 1975 rund 2,2 Millionen Besucher. Darunter waren meine Familie und ich. Die Fahrt mit der „Eisenbahn am Himmel“ zählt zu meinen frühesten bewussten Kindheitserinnerungen. Zugegeben: Meine Erinnerungen an das Jahr der Bundesgartenschau sind bruchstückhaft. Kunststück, wurde ich doch nach den ersten vier Monaten der im April eröffneten Schau gerade einmal zarte fünf Jahre alt. Dass die Fahrt mit dem Aerobus als Transfer zwischen den beiden Parkanlagen aber ein (viel zu seltener) Höhepunkt eines Parkbesuchs war, weiß ich noch ganz genau. In der Regel sind meine Eltern und ich am Luisenpark unterhalb des Fernmeldeturms zugestiegen. Kamen wir doch aus Neckarau im Mannheimer Süden und wollten möglichst reibungslos ans andere Neckarufer gelangen. Seltsamerweise habe ich an den Haltepunkt vor dem Herzogenriedpark kaum noch Erinnerungen, obwohl der Bahnhof auf der Grünfläche vor den Mannheimer Motorenwerken im Jahr 1987 als Letztes abgebaut und verschrottet worden ist. Der Norden Mannheims war eben nie so richtig mein Zuhause. Was ich noch weiß, sind die Schaukelbewegungen, jedes Mal, wenn die, ich musste es nachlesen, knapp 20 Meter langen Gondeln, die für 100 Passagiere ausgelegt waren, über die Rollen an einem der Stahlträger liefen. Meine Eltern nahmen diese Bewegungen weniger gleichmütig hin, wussten sie doch, dass der Aerobus nicht völlig störungsfrei lief. Unter anderem musste der damalige Oberbürgermeister Ludwig Ratzel bei der Jungfernfahrt aus rund 20 Metern Höhe mit einer Drehleiter der Feuerwehr befreit werden. Der Schienenbus wollte einfach nicht mehr weiter. Dabei hatten die damaligen Stadtoberen noch Glück im Unglück. Immerhin war der unplanmäßige Stopp über festem Boden passiert. Die eigentliche Klippe der Strecke war nämlich der längste freitragende Abschnitt – die Neckarquerung oberhalb der Kurpfalzbrücke, die – so haben es mir mittlerweile Fachleute berichtet – „mit Schwung“ durchfahren werden musste, um einen Stillstand über dem Neckar zu verhindern. Vielleicht haben meine Eltern deshalb immer ein wenig grimmig geschaut, wenn ich als Dreikäsehoch auf der Fahrt mit dem Aerobus bestand, mich höchstens mit dem „Ersatzangebot“ einer Gondolettafahrt bestechen ließ. Die Gondolettas auf dem Kutzerweiher gibt es ja noch heute und gehören ebenfalls fest zum Schatz meiner Kindheitserinnerungen. Die Mäuler der Karpfen sind noch immer so groß wie vor 43 Jahren. Doch zurück zum Aerobus. Knapp fünf Minuten benötigte die Schwebebahn für die 2,8 Kilometer lange Strecke vom Fernmeldeturm am Neckarufer entlang über den Fluss und vom Rande des Alten Messplatzes ins Herz der Neckarstadt. Ich weiß noch, dass ich in der Max-Joseph-Straße, auch wenn mir der Name damals selbstverständlich noch nicht geläufig war, immer Ausschau nach meinem Cousin hielt, der damals mit seinen Eltern in einer Querstraße gewohnt hatte. Gesehen habe ich ihn dann aber immer erst im Herzogenriedpark, wo sich, für den Fünfjährigen ganz selbstverständlich, unsere Eltern verabredet hatten. Für die gleiche Strecke würde ich im heutigen Straßenverkehr mit Bus, Bahn oder gar Auto mindestens die doppelte Zeit einplanen müssen. Mit dem Fahrrad bin ich die Strecke neulich aus Neugier noch einmal entlanggefahren. Inklusive mehrerer roter Ampeln rund um den Alten Messplatz habe ich runde acht Minuten gebraucht. Der Aerobus war also nicht nur rein optisch futuristisch, sondern auch in Sachen Schnelligkeit seiner Zeit voraus – auch wenn mir die Fahrtzeiten im Individualverkehr bei der damaligen Verkehrsdichte gerade nicht vorliegen. Trotzdem war nach dem Ende der Gartenschau nach 185 Tagen auch das Ende der Schwebebahn gekommen. Zwar diskutierten die Stadtväter über eine Verlängerung der Betriebsgenehmigung. Ja sogar über neue Verbindungen, etwa zwischen der Gartenstadt und dem Käfertaler Wald, wurde nachgedacht. Der Abschnitt zwischen Herzogenriedpark und Kurpfalzbrücke blieb als rund 600 Meter lange Teststrecke erhalten. Zumindest bis 1979. Dann kam auch hier das Aus. Im Jahr 1987 wurden die letzten Reste, die bis dahin vor sich hin gerostet waren, endgültig demontiert. Was bleibt ist ein Stück Kindheitserinnerungen mit einer ruckeligen Fahrt über Auto, Radfahrer und Fußgänger hinweg. Die Menschen unter mir stoppten immer mal wieder, um nach oben zu winken und die Bahn in luftiger Höhe zu bestaunen. Zumindest ein Teil dieser Pracht ist erhalten geblieben. Ein ausgeschlachtetes Teilstück einer der acht Bahnen befindet sich im (nicht öffentlichen) Depot im Mannheimer Technoseum. Der Autor Volker Endres ist 47 Jahre alt. Er lebt schon immer in Mannheim-Neckarau. Unter den freien Mitarbeitern der „Rheinpfalz“ ist er eine absolute Institution.

Am Mannheimer Neckar weideten in den 70er-Jahren noch Schafe.
Am Mannheimer Neckar weideten in den 70er-Jahren noch Schafe.
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