Kultur Südpfalz Über dem Orchester fliegen

Das Jahr ist noch jung – und schon haben zwei Konzerte im Badischen Staatstheater im regionalen Musikgeschehen absolut prägende Zeichen gesetzt: die Aufführung der monumentalen achten Sinfonie von Bruckner mit der Badischen Staatskapelle unter Justin Brown und zuvor der Gastauftritt des SWR Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart im zweiten Sonderkonzert.

Nach den Sinfonien Nr. 5 und Nr. 9 in vergangenen Spielzeiten dirigierte Generalmusikdirektor Justin Brown nun im vierten Sinfoniekonzert die achte Sinfonie c-moll von Anton Bruckner. Wieder war es eine überaus bewegende und durchdachte Wiedergabe. Sie machte große Wirkung auf das Publikum, das nach dem letzten Ton zunächst einen ergriffenen Moment in atemloser Stille verharrte, ehe der begeisterter Beifall einsetzte. Browns Wiedergabe lässt als Hintergrund die deutsche Bruckner-Tradition gleichsam mitklingen. Das zeigen zum Beispiel die Modifikationen des Tempos bei dynamischen Steigerungen oder das bewegte Zeitmaß im Scherzo. Doch es geht Brown in keiner Weise um Wiederholung des Tradierten. Er übernimmt von den „Vätern“ deren Bemühen um die Vergegenwärtigung des geistigen Gehalts der Musik – und er verbindet das mit einer ungemein sinnfälligen und plastischen Entfaltung der Form. Ganz ausdrucksvoll werden bei ihm die Themen modelliert – und der außerordentlich differenziert entfaltete Klang des groß besetzten Orchesters wird als Träger der sinfonischen Aussage in einer überlegten Dramaturgie fruchtbar. Brown, wie im Sommer 2010 bei der Fünften ohne Taktstock dirigierend, findet einen idealen Ausgleich von Freiheit und Kontrolle im Umgang mit den gewaltigen musikalischen Kräften der Partitur. Die Badische Staatskapelle spielte in allen Registern ausgezeichnet und trug das Ihre zu einer nachhaltigen Deutung der Achten Bruckners – in der zweiten Fassung nach der Ausgabe von Leopold Nowak – bei. Es war eine Aufführung, die der ideellen wie der räumlichen Größe des Werks in hohem Maße gerecht wurde. Es gehört zur Tradition der Sonderkonzerte im Staatstheater, dass ein Programm vom SWR Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart bestritten wird. Sir Roger Norrington, dessen langjähriger Chef- und jetzige Ehrendirigent, kam nach einem Auftritt im Dezember 2003 nun wieder ins Staatstheater. Beethovens Violinkonzert und die zweite Sinfonie D-Dur von Sibelius standen auf einem vermeintlichen konventionellen Programm. Doch was es zu hören gab, war eine Sensation – bei beiden Werken. Die aufregende moldawische Geigerin Patricia Kopatchinskaja war die Solistin im D-Dur-Konzert von Beethoven. Dass dieses im vibratolosen „Stuttgart Sound“ und den richtigen Tempi erklingen würde, war klar. Aber das Ereignis der Wiedergabe waren die Intensität, das Feuer und die Vielfalt im Spiel von Patricia Kopatchinskaja – und es waren die unglaubliche dynamische Breite und Freiheit des Musizierens. Im Gespräch vor dem Konzert deutete die Geigerin den Solopart ganz treffend als freien Flug wie der eines Vogels über einer im Orchester ablaufenden Sinfonie. Diese Freiheit führte umgekehrt dazu, dass Sir Roger an einigen Stellen das Dirigieren aufgab und die Solistin allein mit dem Orchester musizierte. Der zarte Einsatz nach der großen Kadenz im ersten Satz (hier nach Beethovens eigener Kadenz in der Klavierfassung des Konzerts) war in diesem Sinn eine ungemein beglückende musikalische Erfüllung. Bei der zweiten Sinfonie von Sibelius brachte Sir Roger durch das Spiel im reinen Ton die besondere Klanglichkeit dieser Musik und ihre individuelle Sprache so plastisch und schön wie selten sonst zur Wirkung: Die Farben Finnlands leuchteten.

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