Sport Die Nachbarschaftshilfe

Thierry Henry.
Thierry Henry.

«St. Petersburg.» Thierry Henry wurde 1998 mit Frankreich Weltmeister. Im WM-Halbfinale heute (20 Uhr) in St. Petersburg sitzt der 40-Jährige als Co-Trainer auf der gegnerischen, der belgischen Bank.

Wer sich an Thierry Henry erinnert, der verbindet den Spieler mit Rasanz, Finesse und seinen Toren. Fabelhafte Leichtigkeit und famoses Tempo – Henry verkörperte Weltklasse. Er wird mit seinen 51 Toren in 123 Länderspiele für die „Équipe Tricolore“ als Rekordtorschütze geführt. Vor der Heimstätte des FC Arsenal – für die Gunners erzielte er allein 226 Pflichtspieltreffer – steht eine Bronzestatue in Lebensgröße. Thierry Henry – ein Denkmal. Der Franzose begegnet seinen Landsleuten im Stadiontempel auf der Krestowski-Insel als Gegner. Der 40-Jährige dient dem belgischen Nationaltrainer Roberto Martinez als Assistent. „Er ist sehr wichtig für mich. Ich freue mich über jeden Tag, an dem ich mit ihm zusammenarbeiten kann“, bekannte der Spanier kürzlich. „Er hat 1998 die WM und 2009 die Champions League gewonnen. Er weiß, was die Spieler fühlen, er kennt den Druck.“ Für Martinez sind diese Eigenschaften elementar. Die spezielle Turniererfahrung stelle in der letzten WM-Phase eine entscheidende Komponente dar. Talent helfe nicht, wenn die Mentalität nicht stimme. Seine These wird insofern bestätigt, dass dieselben belgischen Akteure bei der WM 2014 und EM 2016 angesichts ihrer Begabung viel zu früh ausschieden. Henry leistet Hilfestellung, die Hürde zu überwinden. Was er konkret fürs WM-Halbfinale rät, bleibt geheime Kommandosache. Angeblich untersagt ihm ein Vertrag mit dem englischen Fernsehen öffentliche Äußerungen. In einem seiner seltenen Interviews sagte Henry einmal, er sei bloß „T3“, der dritte Trainer. „Was ich später einmal sein werde? Daran denke ich derzeit nicht.“ „Es ist bizarr, ihn auf der Gegenseite zu sehen“, gab Nationalstürmer Olivier Giroud zu. Henrys Ansehen hat gelitten, nachdem er mit einem unlauteren Handspiel im Playoff-Spiel gegen Irland zwar die Fahrkarte zur WM 2010 nach Südafrika löste, wo sich mit der Schande von Knysna – einem absurden Spielerstreik im gleichnamigen Teamquartier – ein Tiefpunkt ereignete. Es ging so viel Porzellan zu Bruch, dass „Les Bleues“ bis heute noch nicht umfänglich wieder als Identitätsstifter taugen. Henry, der kurz darauf seine Nationalmannschaftskarriere beendete, wird vorgehalten, die Scherben nicht zusammengefegt zu haben. Zwar in Les Ulis im Umland von Paris geboren, aber in London lebend, machte er sich in der Heimat eher rar. Jettete um die Welt, kümmerte sich um die Familie. Vor zwei Jahren nahm er das Angebot an, als Assistenztrainer des von Flamen wie Wallonen mit einiger Skepsis empfangenen Nationaltrainers Martinez zu werden. „Ich fühle mich geehrt“, twitterte Henry damals. Die Henry-Inthronisierung war ein cleverer Schachzug des Weltbürgers Martinez, der exzellent Englisch spricht, weil er mit einer Schottin verheiratet ist Wann immer ihn Fragen auf Französisch erreichen, nutzt der 44-Jährige seinen „Co“ als die Übersetzungshilfe. Henry kann die nicht unwichtige frankophone Fraktion im Team der „Roten Teufel“ direkt ansprechen. „Thierry liebt es, über seine Erlebnisse zu sprechen. Er ist ein Fußball-Liebhaber, er erzählt gerne von dem, was er gemacht hat, wie seine erste WM war. Er hat mir viele Tipps gegeben“, berichtete Michy Batshuayi, die Chelsea-Leihgabe von Borussia Dortmund. Offiziell ist Henry, der dem Vernehmen nach sein 8000-Euro-Salär freiwillig wohltätigen Zwecken zuführt, fürs Stürmertraining und Standardsituationen zuständig, aber sein Einfluss dürfte größer sein als der etwa von Miroslav Klose bei der deutschen Mannschaft. Zumindest ließen die Jubelgesten vergangenen Freitag in der Kasan-Arena diesen Schluss zu: Henry ballte nicht nur wild die Faust, sondern stand seinem Chef Martinez so nah, dass dieser ihn spontan in die Luft hob.

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