Ukraine-Krieg Streubomben: Laut Berlin keine US-Transporte aus Deutschland

Ob bei Streubomben oder auch bei Artilleriegranaten wie hier im Bild bei Charkiw – oft bleibt nach Gefechten scharfe Sprengmunit
Ob bei Streubomben oder auch bei Artilleriegranaten wie hier im Bild bei Charkiw – oft bleibt nach Gefechten scharfe Sprengmunition zurück. Die Gefahr für Zivilisten ist enorm.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen ist alarmiert. Verstößt die Bundesrepublik gegen ihre eigene Politik, für die Ächtung von Streubomben einzutreten? Die Antwort der Bundesregierung dazu an Dagdelen fällt ausweichend aus.

Seit Ende Juli setzt die Ukraine US-amerikanische Streumunition in ihrem Verteidigungskrieg gegen Russland ein. Die Begründung der USA, diese Waffen zur Verfügung zu stellen: Kiew gehe die normale Artilleriemunition aus. Gleichzeitig brauche das ukrainische Militär mehr Feuerkraft, um die schwer befestigten Stellungen Russlands im Südosten der Ukraine zügiger zu durchbrechen. Auch wenn es zuletzt Erfolgsmeldungen zu Vorstößen gab, verläuft die Sommeroffensive der Ukraine bisher viel langsamer als erhofft.

Anders als Deutschland sind weder die Ukraine noch ihr wichtigster Waffenlieferant, die USA, Vertragsstaaten des Oslo-Übereinkommens von 2008 zur Ächtung von Streubomben. Deren Zerstörungskraft ist enorm: Sie werden mit Artilleriegeschossen oder Raketen auf ein Ziel abgefeuert und setzen in der Luft über dem Ziel Dutzende Sprengkörper frei. Dabei kann eine Fläche der Größe mehrerer Fußballfelder unter verheerenden Beschuss genommen werden.

Streumunition ist zudem tückisch, weil nicht alle Sprengkörper sofort explodieren. Oft werden daher Zivilisten auch Jahre nach einem Konflikt verletzt oder getötet. Weltweit starben 2022 durch Streumunition nach Recherchen der Cluster Munitions Coalition, einem internationalen Bündnis von Menschenrechtsorganisationen, 353 Menschen, die meisten davon in der Ukraine. Vor dem Einsatz durch die Ukraine hat auch Russland, ebenfalls nicht Vertragspartei des Abkommens von 2008, diese Waffen eingesetzt.

Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags: Sevim Dagdelen.
Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags: Sevim Dagdelen.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Wahlkreis Bochum I) befürchtet nun, dass Streumunition aus oder über Deutschland in die Ukraine gelangt. Die USA sollen laut Medienberichten, unter anderem vom Portal „t-online“, in der Bundesrepublik Kurzstreckenraketen vom Typ M26 gelagert haben. Sie werden mit Himars-Raketenwerfer abgeschossen, welche Washington bereits 2022 an Kiew lieferte. M26 haben 45 Kilometer Reichweite, 20 Kilometer mehr als die bisher mit Haubitzen verschossenen Streubomben, die mit 155-Millimeter-Granaten abgefeuert werden.

Dagdelen hat sich im August mit einer parlamentarischen Anfrage an die Bundesregierung gewendet, um Klarheit über eine mögliche deutsche Beteiligung zu gewinnen. Neben dem Transport dieser Waffen befürchtet sie, dass Kiew deutsches Gerät, zum Beispiel Artilleriehaubitzen, für den Streubombeneinsatz nutzen könnte.

Bundesregierung: Keine Kenntnis

Die Antworten der Regierung in Bundestagsdrucksache Nr. 20/8135 liegen der RHEINPFALZ am SONNTAG vor. Darin betont Berlin, keine Kenntnis möglicher US-Lieferungen über die Bundesrepublik zu haben. „Die Bundesregierung hält sich in vollem Umfang an die mit der Ratifikation des Übereinkommens über Streumunition eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen“, heißt es. Dazu gehört auch, es zu unterlassen, Streubomben, „an irgendjemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben“ oder „jemanden bei den genannten Handlungen zu unterstützen“. Zur Frage möglicher US-Bestände hierzulande heißt es: „Der Bundesregierung liegen keine eigenen, über die Medienberichterstattung hinausgehenden Erkenntnisse (...) vor.“

Gefragt zu militärischen Lufttransporten über deutsches Gebiet, teilte die Regierung Dagdelen mit, die Bundesregierung habe dieses Jahr „zum Stichtag 6. September 2023 (...) insgesamt 325 Einzelerlaubnisse, davon 262 mit Bestimmungsland Ukraine erteilt“. Konkrete Angaben zum „transportierten Gefahrgut“ könnten nicht ohne weitere Nachforschungen gemacht werden, weil die übliche Versandbezeichnung keinen Rückschluss auf mögliche Streumunition zulasse.

Steinmeier: USA nicht in den Arm fallen

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte im Juli bei der Ankündigung Washingtons, an Kiew Streumunition zu liefern, betont, Deutschland lehne dies ab. Die Bundeswehr selber hat ihre letzte Streumunition 2015 vernichtet.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte indes im ZDF-Somerinterview am 9. Juli erklärt: Die Bundesregierung „kann in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen“. Auf Dagdelens Frage, ob die Regierung diese Einschätzung Steinmeiers teile, heißt es in Drucksache Nr. 20/8135: „Die Bundesregierung kommentiert Äußerungen des Bundespräsidenten grundsätzlich nicht. Die Aussagen des Bundespräsidenten stehen für sich.“

Dagdelen, Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss sagte hierzu zur RHEINPFALZ am SONNTAG: „Es ist blanker Hohn und kommt einem Vertragsbruch gleich, dass sich die Bundesregierung als Unterzeichner des Osloer Übereinkommens nicht dafür interessiert, ob und wieviel Streumunition die USA in Deutschland lagern oder über deutsches Staatsgebiet an die Ukraine weitergeben.“ Die Bundesregierung habe Deutschland „zu einem gigantischen Drehkreuz für die Aufrüstung der Ukraine aufgebaut“. Sie „winkt auch geächtete Waffenlieferungen für die Verlängerung des Krieges offensichtlich einfach nur durch, statt im Ukraine-Krieg eine Vermittlerrolle zu übernehmen. Das ist hochgefährlich“, so Dagdelen.

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Dieser Artikel stammt aus der RHEINPFALZ am SONNTAG, der Wochenzeitung der RHEINPFALZ. Digital lesen Sie die vollständige Ausgabe bereits samstags im E-Paper in der RHEINPFALZ-App (Android, iOS). Sonntags ab 5 Uhr erhalten Sie dort eine aktualisierte Version mit den Nachrichten vom Samstag aus der Pfalz, Deutschland und der Welt sowie besonders ausführlich vom Sport.

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