Rheinland-Pfalz „Wichtig ist die Verbindung zum Pferd“

Anfang März sorgte ein Unfall an der Weinstraße für Schlagzeilen: Offenbar der Lärm von Motorrädern ließ bei Weisenheim am Berg die Pferde eines Gespanns durchgehen. Die Kutsche kippte, der Fahrer stürzte vom Bock und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Am vergangenen Freitag wurde ein Ehepaar aus dem Rhein-Pfalz-Kreis verletzt: Bei einem Ausflug in Niederbayern landete ihre Kutsche im Straßengraben. Jürgen Müller befragte Alexander Schneider aus Kaiserslautern zum Thema Kutschen und Verkehrssicherheit. Der 57-Jährige ist seit seiner Jugend Gespannfahrer und seit über 20 Jahren als Ausbilder tätig.

Jahrzehntelang tauchten Pferdekutschen im Straßenverkehr kaum noch auf. Mittlerweile scheinen sie sich wieder größerer Beliebtheit zu erfreuen. Stimmt dieser Eindruck?

Das Interesse war in den letzten Jahren gleichbleibend stabil. Dazu trugen verschiedene Faktoren bei. So beispielsweise die Entwicklung des Tourismus in der Pfalz, die mehr gewerbliche Angebote für Planwagen-Ausfahrten mit sich brachte. Hinzu kommt, dass Pferdegespanne zunehmend zu Attraktionen bei festlichen Umzügen, bei Betriebsausflügen oder bei privaten Festen wie etwa Hochzeiten werden. Was sind die Voraussetzungen, wenn jemand auf öffentlichen Straßen eine Pferdekutsche fahren möchte? Es gibt zwar keine genau geregelte Ausbildung wie beispielsweise für den Autoführerschein. Aber die Straßenverkehrsordnung schreibt ganz allgemein vor, dass man zur Teilnahme am Straßenverkehr befähigt sein muss. Außerdem sollte ein Gespannfahrer im Hinblick auf mögliche Schäden unbedingt eine Tierhalterhaftpflicht- in Verbindung mit einer Privathaftpflicht-Versicherung abgeschlossen haben. Kommt es zum Unfall, wird die Versicherung als erstes fragen, ob der Fahrer gemäß der Straßenverkehrsordnung zum Führen seines Gespannes befähigt war. Den Nachweis kann man führen, wenn man an entsprechenden Ausbildungsgängen erfolgreich teilgenommen hat. Außerdem muss eine Kutsche verkehrssicher sein. Das bedeutet: Die Pferde müssen an den Straßenverkehr gewöhnt sein, außerdem müssen beispielsweise Bremsen, Leuchten und Strahler funktionieren. Und zu guter Letzt darf ein sachkundiger Beifahrer nicht fehlen. Bei motorisierten Verkehrsteilnehmern gilt zu hohe Geschwindigkeit als Unfallursache Nummer eins. Wie flott sind denn Kutschen normalerweise unterwegs? Im Schritt erreichen wir sechs bis sieben Stundenkilometer, im Trab sind es je nach Rasse zwischen 13 bis 15 Stundenkilometer. Galopp ist dem Rennsport vorbehalten, diese Gangart ist auf Straßen nicht erlaubt. Kutschen sind also im Normalfall vergleichsweise gemütlich unterwegs. Wie kann es da trotzdem zu Unfällen kommen? Gerade das niedrige Tempo kann manchmal zum Problem werden. Ich erinnere mich an einen Unfall, bei dem eine Autofahrerin durch die Abendsonne geblendet wurde. Sie fuhr mit voller Wucht von hinten in das Gespann rein. Viele Autofahrer können nicht so recht einschätzen, wie langsam so ein Gefährt unterwegs ist. Um darauf aufmerksam zu machen, empfehlen wir den Fahrern, nach Möglichkeit Warnwesten zu tragen oder an auffälliger Stelle reflektierendes Material anzubringen. Wie auch im Falle von Weisenheim am Berg ist immer wieder von Unfällen zu hören, bei denen die Pferde scheuten. Was ist das zu erklären? Das einzige Verteidigungsmittel eines Pferdes gegen vermeintliche Feinde ist die Flucht. Wenn Pferde erschrecken, ist daher Flucht ihr erster Impuls. Deshalb ist es wichtig, dass die Tiere langsam an den Straßenverkehr herangeführt werden. Sie müssen daran gewöhnt werden, dass selbst von großen, entgegen kommenden Lastwagen keine Gefahr für sie ausgeht. Wie lassen sich so kraftvolle Tiere wie Pferde aber im Zaum halten, wenn sie doch mal erschreckt werden? Der Gespannfahrer muss voll konzentriert sein. Wichtig ist außerdem, dass er stets über die Leine eine direkte Verbindung zum Gebiss seines Pferdes hält. Verspürt das Tier einen Schreckimpuls, kann und muss der Fahrer just in time, also unmittelbar parieren. Hängt die Leine aber aus Bequemlichkeit durch, dann rennen die Pferde unkontrolliert ins Leere. Um auf kritische Situationen angemessen reagieren zu können, sollte man außerdem vorausschauend fahren. Der Unfall von Weisenheim am Berg scheint nicht untypisch zu sein: So mancher Gespannfahrer kann über kritische Begegnungen gerade auch mit Motorradfahrern ein Lied singen. Sind Biker besonders rücksichtslos? Meist ist keine böse Absicht im Spiel. So mancher schätzt aber die Situation falsch ein. Ein, zwei oder auch drei Motorräder sind meistens auch kein Problem. Ich hatte aber mal die Situation, dass mich eine ganze Gruppe von 30, 40 Motorrädern, noch dazu solche mit überdurchschnittlich lauten Motorgeräuschen, überholten. Die Biker näherten sich zwar einer nach dem anderen in einem vernünftigen Tempo. Das Problem war aber, dass die Fahrer zu früh meinten, den Gefahrenbereich hinter sich gelassen zu haben. Dazu muss man wissen, dass Pferde ihre Umgebung viel intensiver und früher als wir Menschen wahrnehmen. Sie hörten den von hinten nahenden Lärm, konnten aber wegen der Blendkappen, die sie im Augenbereich tragen, zunächst die Verursacher nicht sehen. Das allein sorgt schon mal für Stress. Hinzu kam, dass die Motorradfahrer einer nach dem anderen schon in dem Moment wieder beschleunigten, als ihre Maschinen gerade ins Gesichtsfeld der Pferde kamen. Da hat man dann gut zu tun, um das Gespann unter Kontrolle zu behalten. Was sollten Auto- und Motorradfahrer beachten, wenn sie einer Kutsche im Straßenverkehr begegnen? Eine ruhige Fahrweise mit einem gemäßigten Tempo ist zu empfehlen. Gespanne sollten in ausreichendem Abstand überholt werden, außerdem sollten sie nicht geschnitten werden und erst in einigem Abstand sollte wieder beschleunigt werden. Bei rücksichtsvollem Verhalten kommt es kaum zu kritischen Situationen. Das Problem ist aber, dass heutzutage viele Menschen keine Vorstellung mehr davon haben, wie Pferde auf Umwelteinflüsse reagieren.

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