Rheinland-Pfalz Vandalismus auf Nußdorfer Friedhof: „Das sind nicht gleich gestörte Kinder“

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Andrea Kircher (41) ist Diplom-Psychologin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und geschäftsführende Leiterin der Psychotherapie-Ambulanz für Kinder und Jugendliche der Universität in Landau.

„Grundschüler schänden Friedhof“, hieß kürzlich eine Titelgeschichte in der RHEINPFALZ-Ausgabe Landau. Dort hatten ein Zehn- und ein Zwölfjähriger 30 Holzkreuze aus Gräbern gerissen, Grablichter zertreten und Engelfiguren zerschlagen. Kinderpsychologin Andrea Kircher versucht zu erklären, warum junge Menschen derart ausrasten können.

Frau Kircher, Grundschüler als Friedhof-Schänder. Ist das ein Dummer-Jungen-Streich?

Allein die Überschrift „Friedhof-Schänder geschnappt“ und die Stellung der Geschichte ganz oben auf dem Titelblatt macht das Ganze schon sehr reißerisch. Das ist Bildzeitungs-Stil. Ich hätte mir mehr Sachlichkeit in der Überschrift gewünscht. Natürlich hat es bestimmt viele Leute berührt, gerade weil es ein Friedhof ist. Also Streich oder kriminell? Das hier überschreitet eine Grenze; ist mehr als ein Michel-von-Lönneberga-Streich. Ich bin schon beeindruckt von dem Gewaltpotential. Aber ich möchte davor warnen, gleich von psychisch gestörten Kindern zu sprechen und mit dem Finger auf die Eltern zu zeigen. Für eine Störung müssen mehrere Mosaiksteine zusammenkommen. Was könnte zwei Jungs mit gerade einmal zehn und zwölf Jahren zu der Tat motiviert haben? Ich kenne die Jungs nicht. Das muss man sich aber genau anschauen. Gab es zum Beispiel Trauer in der Familie, einen Umbruch, mit dem sie nicht klarkamen. Handelt es sich um mangelnde Aufsicht oder eine Mutprobe, bei der sich eine bestimmte Dynamik entwickelt hat. Es gibt viele Möglichkeiten. Natürlich ist der Aufschrei sofort da über die Jugend von heute... ...die nicht schlimmer ist als früher? (Lacht) Genau. So etwas gab es auch früher. Nur heute schauen viel mehr Leute, auch viele Fachleute, viel genauer hin. Und die Leistungsgesellschaft erwartet von den ein bis zwei Kindern pro Familie, dass die gefälligst vorzeigbar sind. Die Kids haben auch oft einen Auftrag zu erfüllen oder Träume der Eltern.

Moralvorstellungen entwickeln sich bei Kindern erst noch

Sie behandeln beruflich in Ihrer Psychotherapeutischen Ambulanz der Uni Landau die schweren Fälle. Wie unterscheiden Sie zwischen gestörtem Sozialverhalten und krankhafter Störung?

Hätte ich die beiden Jungs hier, würde ich herausfinden wollen, ob es ein Wettstreit war und ob sie wussten, was sie taten. Moralvorstellungen entwickeln sich bei Kindern in der vorpubertären Phase erst noch. Eine ganz wichtige Frage ist, ob sie ein Regulierungsproblem haben. Ob sie also Wutausbrüche nicht mehr allein stoppen können. Falls das auch in der Schule oder zu Hause so ist, dann geht das in Richtung einer psychotherapeutischen Behandlung durch Fachleute. Falls eine krankhafte Störung attestiert wird, bekommen die Kinder alle Hilfe, die sie brauchen. Und wenn es mit Kindern nur ab und an Probleme gibt? Dafür sind dann nicht wir Ansprechpartner – dafür gibt es Erziehungsberatung oder Hilfe beim Jugendamt – die machen tolle Arbeit. Das Jugendamt wird in dem Fall der beschädigten Gräber ohnehin eingeschaltet. Lässt so eine Straftat Rückschlüsse zu auf das Elternhaus? Damit wäre ich auch sehr vorsichtig. So etwas kann in jeder sozialen Schicht passieren, bei vernachlässigten Kindern genauso bei wie überbehüteten. Wenn Kinder nicht regelkonform, brav und lieb sind, fällt das sofort auf die Eltern zurück. Und die fühlen sich oft allein gelassen. Das berühmte Dorf, das es braucht, ein Kind groß zu ziehen, gibt es nicht mehr. Vereine und Schule können nicht alles auffangen. Es braucht mehr Fachleute an den Schulen und Kitas, sodass es früher und vor Ort die richtigen Hilfen gibt.

Wiedergutmachung vereinbaren

Die Randale auf dem Friedhof ist also halb so schlimm?

Nein. Das natürlich nicht, aber es sollte nicht überbewertet werden bei Kindern in dem Alter. Man muss herausfinden, wie es dazu kommen konnte. Und jetzt? Die Kinder sollten eine Art Wiedergutmachung vereinbaren. Zum Beispiel mit dem Friedhofsgärtner etwas einpflanzen, auf dem Friedhof helfen, sauber zu machen. Den Grabbesitzern vielleicht einen Brief schreiben ... Wir Erwachsene tendieren dazu, nur auf die negativen Seiten zu schauen. Die Kinder aber brauchen keine Stigmatisierung, sondern eine positive Wendung – gerade nach einer solchen Tat.


Infoabend

„Psychische Störungen im Kindergarten- und Vorschulalter“: Infoabend der Psychotherapie-Ambulanz Landau mit Vorträgen und Diskussion: 21. Mai, 17 Uhr, Seminarraum 200, Ostbahnstraße 12, LandauKontakt: 06341 / 28035800, E-Mail: Ambulanz-KiJu@uni-landau.de, Internet: www.ambulanz-kiju.uni-landau.de

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