Rheinland-Pfalz Unverständnis über Vergabepraxis

Ludwigshafen (ane). Sie wurden geschlagen, gedemütigt, zur Feldarbeit gezwungen. Nach über 60 Jahren müssen ehemalige Heimkinder viel Geduld aufbringen, um Sachleistungen aus dem für ihre Belange errichteten Fonds „Heimerziehung“ zu erhalten. Das Warten beginnt schon vor der Antragsstellung.

Etwa fünf Monate müssen ehemalige Heimkinder in Rheinland-Pfalz ausharren, bis sie nach einem meist telefonischen Erstkontakt ein persönliches Gespräch bei der Regionalen Anlauf- und Beratungsstelle (RAB) in Mainz führen können. Der Grund: Die Mitarbeiter sind überlastet. Fünf Monate Wartezeit, während zusätzlich für die Beratung geschulte Mitarbeiter bei den Organisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Rheinland-Pfalz-Saarland mehr oder minder Däumchen drehen. Mit sieben Trägern hat der Wohlfahrtsverband Vereinbarungen für die Heimkinder-Beratung geschlossen. Etwa zehn Fälle seien an diese bislang überwiesen worden, informiert Regine Schuster, Referentin für Jugend- und Familienhilfe im Wohlfahrtsverband Rheinland-Pfalz-Saarland auf RHEINPFALZ-Anfrage. „Wir haben mit mehr gerechnet.“ Insgesamt hatten sich bis Ende Februar laut Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung, dem die Mainzer Beratungsstelle angegliedert ist, 540 Betroffene gemeldet. Tendenz steigend. Unverständnis über die Vergabepraxis äußert Pia Hardt, Leiterin von Pro Familia Ludwigshafen. Im Herbst 2013 erhielt eine dort in Teilzeit beschäftigte Sozialarbeiterin den Auftrag, ehemaligen Heimkindern zu helfen, finanzielle Leistungen aus dem Entschädigungsfonds zu beantragen. 10.000 Euro für Sachleistungen stehen jedem ehemaligen Heimkind zu, wenn es sein Schicksal und die Spätfolgen belegen kann. Gerade einmal zwei Frauen hat die Pro-Familia-Mitarbeiterin bislang beraten. Drei weitere Fälle aus dem Einzugsgebiet habe man nach Mainz gemeldet, aber keine Rückmeldung und schon gar keinen weiteren Beratungsauftrag erhalten, klagt Hardt. Sie kann nicht verstehen, warum Betroffene monatelang auf einen Gesprächstermin warten müssten, während Beratungskapazitäten vorhanden seien. Für Matthias Bolch, Pressesprecher des Landesjugendamtes, ist die Sache klar geregelt: Zielgruppe für die ergänzenden Berater seien nach der Vereinbarung mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband ehemalige Heimkinder, die eine Beratung bei der Mainzer RAB, also einer Einrichtung des Staates, ablehnten. „Es handelt sich um Einzelfälle“, so Bolch. Übrigens: Ist erst einmal ein Antrag auf eine Wohnungsrenovierung, ein Bett oder einen Erholungsurlaub gestellt, folgt die sogenannte Plausibilitätsprüfung im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln. Fällt diese positiv aus, muss eine verbindliche Bestellung über das Gewünschte eingereicht werden. Erst dann zahlt die Bundeskasse das Geld aus. Und auch das dauert in der Regel Monate. Wer als ehemaliges Heimkind noch Geld aus dem Fonds „Heimerziehung“ erhalten will, muss sich beeilen. Nur noch bis Ende dieses Jahres kann man sich bei der regionalen Beratungsstelle in Mainz melden.

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