Rheinland-Pfalz „Nachbarn haben alles verloren“

Mit Booten durch die Straßen: Solche Bilder boten sich beim Weihnachtshochwassers 1993 in der Koblenzer Altstadt.
Mit Booten durch die Straßen: Solche Bilder boten sich beim Weihnachtshochwassers 1993 in der Koblenzer Altstadt.

«Koblenz.» Überschwemmte Straßen, vollgelaufene Wohnungen ohne Strom, frierende Menschen, weinende Kinder: Vor 25 Jahren hat eines der schlimmsten Weihnachts-Hochwasser der deutschen Geschichte Zehntausende in Schrecken versetzt und Millionenschäden angerichtet. In den Katastrophengebieten an Mosel, Rhein und Saar fiel 1993 für viele Anwohner Heiligabend ins Wasser.

Die Mosel- und Rheinscheitel trafen damals am 23. Dezember in Koblenz zusammen: Der Rheinpegel mit eigenem definierten Nullpunkt steigt hier auf rund 9,50 Meter – der höchste Stand seit 1784 und auch nicht vom Hochwasser 1995 getoppt. Welche Erinnerungen haben Anwohner 2018 an die Katastrophe 1993, was hat sich beim Hochwasserschutz getan? Die pensionierte Lehrerin Margret Erbach, die in Koblenz-Neuendorf in einem vier Jahrhunderte alten Fachwerkhaus am Rhein wohnt, deutet auf das Erdgeschoss: „Das Wasser stand hier bis 20 Zentimeter unter der Decke.“ Es sei sehr schnell gekommen. Viele Anwohner seien mit Booten gerettet worden. „Nachbarn haben alles verloren, alles Mobiliar, die haben nicht mit so einem Hochwasser gerechnet.“ Viele Anwohner hätten damals die Öltanks ihrer Heizungen nicht gesichert, sagt Erbach. „Ein dicker Ölfilm schwamm auf dem Wasser.“ Das Öl sei unten in die Wände ihres Hauses eingezogen. Die Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz erinnert an den häufigen und großflächigen Starkregen im Dezember 1993. Die „Porenräume des Bodens“ seien weitgehend gefüllt gewesen, dies habe eine „Quasi-Bodenversiegelung“ mit wenig Versickerung und extrem steigenden Flusspegeln erzeugt. Die Politik hat reagiert. Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) erklärt: „Das Land hat in den letzten 25 Jahren rund 1,1 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz investiert. Die größten Investitionen erfolgten am Oberrhein: Das Land hat acht Polder gebaut und 166 Kilometer Deiche wesentlich verbreitert, also sicherer gemacht, und saniert.“ Auch an anderen Flüssen seien Millionen investiert worden. „Mit der „Aktion Blau Plus“ stellen wir etwa artenreiche Gewässer und natürliche Wasserrückhaltungen wieder her, geben dem Wasser also bei starken Niederschlägen natürlichen Raum, sich auszubreiten“, so Höfken. Rund 1350 Renaturierungsprojekte auf einer Gesamtlänge von über 900 Kilometern seien bereits umgesetzt. In Koblenz stehen vor Heiligabend 1993 rund 4000 Häuser unter Wasser. Etwa 1000 Bürger, die nicht aus ihren Wohnungen wollen, werden mit Booten versorgt. Diese bringen auf dem teils bis in die erste Etage stehenden Wasser warmes Essen und notfalls Ärzte und Medikamente. In sieben Stadtteilen wird zur Sicherheit der Strom abgeschaltet. Auch in Cochem an der Mosel sind rund 1500 Bürger fast völlig von der Außenwelt abgeschnitten, Strom- und Telefonverbindungen unterbrochen. Die Nahe tritt ebenfalls über die Ufer, in Bad Kreuznach müssen zahlreiche Läden schließen. Überall sind viele Helfer im Einsatz – beim Saar-Hochwasser in Saarbrücken beispielsweise rund 1200. Auch sehr viele Soldaten der Bundeswehr und sogar einige der französischen und US-amerikanischen Streitkräfte in Rheinland-Pfalz helfen. Franz Gstatter, der in der Koblenzer Altstadt wohnt, erinnert sich: „Hier waren überall Stege der Bundeswehr-Pioniere, die haben die Leute aus dem ersten Stock gerettet.“ Mittlerweile treten auch kleinere Flüsse und Bäche mitunter gewaltig über die Ufer. „Innerhalb Deutschlands zählt Rheinland-Pfalz zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen“, sagt Höfken. „Die vergangenen drei Jahre zählen zu den wärmsten in Rheinland-Pfalz seit Beginn der Wetteraufzeichnung.“ Sturm, Hagel oder Starkregen häuften sich seit längerem – und auch Hoch- und Niedrigwasser, mit erheblichen Auswirkungen auf Binnenschifffahrt, Energiewirtschaft, Wasserversorgung und Fischerei. Kommunen in Rheinland-Pfalz können laut Höfken mit bis zu 90-prozentiger finanzieller Förderung des Landes Konzepte zur örtlichen Hochwasservorsorge erstellen. Derzeit seien rund 500 dieser Strategien in Arbeit oder in der Antragsphase. „In den nächsten fünf Jahren sollen alle Kommunen ein Hochwasservorsorgekonzept aufstellen. Wir haben dafür insgesamt 18 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.“ Für das Bauen an Flüssen im Land ist heute eine Genehmigung der Wasserbehörde nötig. Das untere Geschoss neuer Häuser muss hoch genug für Hochwasser liegen. Mit der Versicherungswirtschaft und der Verbraucherzentrale wirbt Rheinland-Pfalz mit einer Kampagne für Elementarschadens-Versicherungen Denn, so betont Höfken: „Hochwasser sind nicht zu verhindern.“

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