Rheinland-Pfalz Kandeler machen gegen Rechte mobil

Das Bündnis „Wir sind Kandel“ wendet sich gegen die „Flut rechter Netzwerke, die aktuell Kandel mit ihren Kundgebungen überziehe
Das Bündnis »Wir sind Kandel« wendet sich gegen die »Flut rechter Netzwerke, die aktuell Kandel mit ihren Kundgebungen überziehen«.

Für Samstag drei Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Tod einer 15-Jährigen angekündigt

Die Stadt Kandel erwartet am Samstagnachmittag drei Demonstrationen mit – je nach Schätzung – einigen Hundert bis einigen Tausend Teilnehmern. Anlass ist die Tötung einer 15-Jährigen durch ihren Ex-Freund, einen afghanischen Flüchtling, dessen Alter mittlerweile auf etwa 20 Jahre geschätzt wird. Die Tat Ende Dezember fand über den Jahreswechsel ein bundesweites Medien-Echo. Sie stand beispielhaft für die Probleme im Umgang mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen.

Im Flüchtlingstreff nicht gesehen

Große Aufmerksamkeit fand auch ein kurzes Interview mit dem Kandeler Verbandsbürgermeister Volker Poß (SPD). Er plädierte zwei Tage nach der Tat dafür, die Ermittlungsergebnisse abzuwarten, bevor Konsequenzen gefordert werden. In der Folge wurde Poß zur Zielscheibe für viele, die mit der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden sind. Das gipfelte im Vorwurf, er sei mitschuldig am Tod der 15-Jährigen: Täter und Opfer hätten sich in einem Flüchtlingstreff kennen gelernt, sogar von „Kuppelei“ war die Rede. Fakt ist aber, dass weder Täter noch Opfer im Flüchtlingstreff jemals gesehen wurden, so Kerstin Jordan, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Bistro international. Eine Mitverantwortung wurde auch der Kandeler Schule zugerechnet, die Opfer und Täter in der Vergangenheit gemeinsam besucht hatten. Der Schulleiter berichtet, dass neben Lehrern auch Schüler, die sich für Flüchtlinge engagierten, in anonymen E-Mails bedroht wurden. Der Sturm aus Hassmails und Facebook-Postings wurde innerhalb weniger Tage sehr heftig, die Aussagen seien teilweise nur schwer erträglich und kaum zitierbar, so Betroffene. Die Folge: Etliche Kandeler schlossen ihre Facebook-Seiten und Websites und äußerten sich nicht mehr öffentlich. Kandel machte dicht, die Häme in den sozialen Netzwerken flaute trotzdem nur langsam ab.

Schweigemarsch endet mit Rangelei

Vier Tage nach der Tat zog am Abend ein Schweigemarsch durch die Stadt. Anmelder war ein Marco Kurz aus Baden-Württemberg, der bis dahin vor allem auf Facebook aktiv war. 2017 hatte er erfolglos versucht, einen Marsch von 500.000 Bürgern nach Berlin zu organisieren. Der Schweigemarsch in Kandel endete mit einer Rangelei. Eine Gruppe von etwa 25 Menschen hatte sich um die Blumen und Kerzen gestellt, mit denen am Tatort der 15-Jährigen gedacht wurde. Die Gruppe trug bunte Schirme, was von Teilnehmern des Schweigemarschs als Provokation empfunden wurde. Am 28. Januar demonstrierte ein organisatorisch schwer fassbares „Frauenbündnis Kandel“ im Herzen der Stadt. Die Anmelderin wollte anonym bleiben, Versammlungsleiter war Marco Kurz. Laut Polizei nahmen etwa 1000 Menschen teil, darunter rund 100 polizeibekannte Rechtsextreme. An führender Stelle im Zug lief Christina Baum, AfD-Landtagsabgeordnete und stellvertretende AfD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg. Sie trat auch als Rednerin auf. Mit dabei waren drei weitere AfD-Landtagsabgeordnete aus Baden-Württemberg und ein AfD-Bundestagsabgeordneter.

Laut Verband keine AfD-Veranstaltung

Mit dieser Demonstration trat erstmals eine neue Organisation an die Öffentlichkeit. Ihr Name: „Kandel ist überall.“ Eine entsprechende Domain wurde bereits Mitte Januar registriert; „administrativer Ansprechpartner“ ist die ehemalige stellvertretende rheinland-pfälzische AfD-Landesvorsitzende Christiane Christen. Verantwortlich für die Website ist die AfD-Landtagsabgeordnete Baum. Sie hatte auch die Demonstration für kommenden Samstag in Kandel angemeldet. Aufrufe auf der Facebook-Seite von „Kandel ist überall“, an dieser Demonstration teilzunehmen, wurden bundesweit geteilt, informiert das Karlsruher „Bündnis gegen Rechts“ in einer Analyse. So unter anderem von sechs pfälzischen NPD-Kreisverbänden, fünf AfD-Kreisverbänden sowie Pegida-Gruppen aus Dresden, Nürnberg, Karlsruhe und der Schweiz. Die rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten der AfD haben laut einer Mitteilung des AfD-Kreisverbandes Germersheim ebenfalls ihr Kommen angekündigt. Trotzdem betont der Verband auf seiner Internetseite, dass es sich bei der Samstag-Demo „nicht um eine AfD-Veranstaltung handelt“. Eine Gegendemonstration meldete Holger Heim von der „Kurfürstlich Kurpfälzische Antifa“ aus Mannheim für Samstag an. Heim war Ende der 90er-Jahre SPD-Vorsitzender im Rhein-Neckar-Kreis. „Zur typischen Antifa-Szene oder zu Autonomen und Militanten habe ich keinen Zugang“, sagt er. Sein Ansatz habe satirische Elemente, er sehe sich in der antifaschistischen Tradition der SPD. Unterstützt wird diese Demo laut Heim unter anderem von der SPD Speyer, dem DGB-Bezirk Mitte und den Landesverbänden der Grünen sowie der Linken.

Weitere Gegen-Gegendemonstration

Eine weitere „Gegen-Gegendemonstration“ organisiert für Samstagnachmittag Marco Kurz, der Veranstaltungsleiter der Demonstration von Ende Januar. Seine Kundgebung sei im Gegensatz zur AfD-Veranstaltung „überparteilich“, wirbt er. Kurz hat auch schon mehrere kleine Aufmärsche vor der Kandeler Verbandsgemeindeverwaltung organisiert und weitere angekündigt. Menschen, die sich öffentlich – beispielsweise in Leserbriefen – gegen ihn positionieren, droht er mit rechtlichen Konsequenzen für den Fall, dass Anwälte dafür einen Ansatzpunkt sehen. Ansonsten lautet seine stete Forderung: Der Verbands- und der Stadtbürgermeister sollen zurücktreten. Als er mit einer kleinen Demo an einem der beiden vorbei marschierte, schien es, also ob er ihn noch nicht einmal erkannte.

Kandeler halten sich bedeckt

Viele Kandeler halten sich unterdessen weiter bedeckt. Ein Bündnis „Wir sind Kandel“ will „der Flut rechter Netzwerke, die aktuell Kandel mit ihren Kundgebungen überziehen“ entgegenwirken. Josef Winkler, Landesvorsitzender der rheinland-pfälzischen Grünen, begrüßte es gestern, dass damit „ein breites Bündnis“ von Bürgern unter anderem aus Vereinen, Kirchengemeinden und Kommunalpolitik „ein starkes Signal“ gegen „rechtsextreme Propaganda“ und „Hetze“ setze. Die Akteure wollen aber anonym bleiben. Ihre Begründung: „Die Erfahrungen, die einzelne Personen schon mit Shitstorms, Beleidigungen, Bedrohungen etc. aus der rechten Szene gemacht haben, sind zu verstörend.“ Als erste Aktion fordert das Bündnis zum „zivilen Widerstand“ gegen die für Samstag angekündigten Demos der AfD und von Marco Kurz auf: „So sollen zum Beispiel die Kandeler Bürgerinnen und Bürger dazu ermuntert werden, ihre Stadt auch an diesem Tag wie gewohnt zu beleben.“ Vor allem sollen die Bürger die schon lange ebenfalls für Samstag geplanten Veranstaltungen besuchen: eine regionale Autoschau, eine Energiemesse und einen Ostereiermarkt. Weitere Informationen findet ihr auf der RHEINPFALZ-Seite zum Fall Kandel.

x