Rheinland-Pfalz Heftiger Streit über Kosten der Inklusion

MAINZ (nob). Wenige Wochen vor der geplanten Verabschiedung des neuen Schulgesetzes hat die Diskussion um die sogenannte Inklusion noch einmal Fahrt aufgenommen. Lehrerverbände und Kommunen fordern vom Land mehr finanzielles Engagement. Jetzt hat Ministerpräsidentin Dreyer (SPD) den Kommunen pro Jahr acht Millionen Euro zusätzlich versprochen. Das besänftigt die Kritiker kaum.

Inklusion in der Schule hat das Ziel, möglichst viele der lernbeeinträchtigten Kinder zusammen mit anderen Kindern in einer Regelschule zu unterrichten. So will es die auch von Deutschland unterzeichnete UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Zudem ist für die Grünen, Juniorpartner in der rot-grünen Mainzer Regierungskoalition, die möglichst weitgehende Inklusion eine Herzensangelegenheit. Deshalb sollen ab dem kommenden Schuljahr die Eltern lernbeeinträchtigter Kinder in Rheinland-Pfalz uneingeschränkt wählen dürfen, ob sie ihre Kinder in eine Förderschule oder in eine Regelschule schicken wollen. Das sieht der Gesetzentwurf vor, den Rot-Grün noch vor den Ferien im Landtag verabschieden will. Landesweit gibt es zurzeit neben 138 Förderschulen für beeinträchtigte Kinder 262 Schwerpunktschulen, in denen Behinderte und Nichtbehinderte zusammen unterrichtet werden. Von den mehr als 19.200 Kindern mit anerkanntem Förderbedarf lernen 25 Prozent zusammen mit unbeeinträchtigten Kindern. Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) erwartet, dass es bis 2016 etwa 40 Prozent sein werden. Die Anzahl der Schwerpunktschulen soll in den kommenden Jahren um weitere 40 bis 50 steigen. In den Schwerpunktschulen gibt es 640 Stellen für Förderschulpädagogen. Deren Anzahl soll bei Bedarf um bis zu 200 aufgestockt werden. Aber tut das Land damit genug dafür, dass die Inklusion zum Wohl aller Kinder gelingen kann? Darüber wird heftig gestritten. Das System der Schwerpunktschulen bewähre sich seit zehn Jahren und werde weiter ausgebaut, argumentiert die Bildungsministerin. Das Land zahle das erforderliche pädagogische Personal und den Kommunen als den Schulträgern Zuschüsse zu notwendigen Umbaumaßnahmen. Vor allem die CDU-Opposition im Landtag sieht das anders. Ihr Hauptkritikpunkt: Die Regierung lasse die Kommunen auf den Kosten der Inklusion sitzen. Der von der CDU für eine Anhörung des Landtags bestellte Kölner Rechtsprofessor Wolfram Höfling kommt zu dem Ergebnis, genau aus diesem Grund verstoße das geplante Gesetz gegen die Landesverfassung. Vor dem Hintergrund dieser hitzigen Debatte kommt der rot-grünen Landesregierung die Anfang der Woche getroffene Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die künftige Finanzierung der Bildung gerade zur richtigen Zeit. Rheinland-Pfalz soll vom Bund um 35 Millionen Euro jährlich entlastet werden. Von diesem eingesparten Geld will das Land den Kommunen acht Millionen Euro als zusätzlichen Ausgleich für die Kosten der Inklusion zur Verfügung stellen. Das Land erkenne damit an, dass auf allen Ebenen finanzielle Anstrengungen notwendig sind, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Acht Millionen seien nicht genug, kritisiert die CDU. Dreyer und Ahnen versuchten, sich „mit einer fiktiven Zahl Ruhe zu kaufen“. Auch der Geschäftsführende Direktor des Landkreistags, Ernst Beucher, ist mit der Ankündigung der Landesregierung nicht zufrieden. Er rechnet vor, dass die Kreise schon jetzt 20 Millionen Euro für Integrationshelfer berappen müssen, die für Kinder mit Handicap in Schwerpunktschulen gebraucht werden. Diese Kosten, die sich in den kommenden Jahren verdoppeln könnten, müsse das Land übernehmen, fordert Beucher. Eine Klage schließt er nicht aus. Die Lehrergewerkschaften hingegen wollen vor allem mehr Personal für die Inklusion. GEW-Landesvorsitzender Klaus-Peter Hammer fordert statt 200 mindestens 500 zusätzliche Lehrerstellen. Die Inklusion sei richtig und machbar, dafür bräuchten die Schulen aber Unterstützung und mehr Personal, um zum Beispiel auch Vertretungsstellen für Förderpädagogen besetzen zu können. Aus Sicht der GEW mangelt es auch an einem für alle Schwerpunktschulen verbindlichen Unterrichtskonzept. Jede Schule bastele an ihrem eigenen Konzept, das binde Arbeitszeit. An einzelnen Schulen würden die beeinträchtigten Kinder zu oft getrennt von den anderen unterrichtet. Das sei nicht der Sinn von Inklusion, beklagt die Gewerkschaft. Auch die anderen Lehrergewerkschaften fordern vor allem mehr Personal. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) betont, die Inklusion sei eine der größten gesellschaftlichen Aufgaben. Aber Mainz stelle weder genug Personal noch genug Mittel dafür zur Verfügung. Als „Sparversion“ werde Inklusion ein „pädagogisches Luftschloss“ bleiben, sagt Landesvorsitzender Gerhard Bold. Der Verband Reale Bildung (früher Realschullehrerverband) und der Philologenverband, die dem geplanten völlig uneingeschränkten Schulwahlrecht der Eltern ohnehin skeptisch gegenüberstehen, schlagen in die gleiche Kerbe. Bernd Karst, Landesvorsitzender des Verbands Reale Bildung: Ohne zusätzliche, voll ausgebildete Förderschullehrkräfte in ausreichender Zahl sei an inklusiven Unterricht nicht zu denken. Zudem äußert die Opposition auch grundsätzliche Bedenken gegen die Inklusionspläne der Landesregierung. CDU-Bildungspolitikerin Bettina Dickes warnt: Alle Beteiligten müssten ehrlich sein und auch die Grenzen der Inklusion benennen. Nicht jedes Kind könne an jeder Schule sinnvoll gefördert werden. Rot-Grün solle das Gesetz stoppen.

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