Rheinland-Pfalz Ein reicher Autonarr

Nürburg/Moskau. Ukraine-Krise hin, Sanktionen gegen Moskau her: Den krisengeschüttelten Nürburgring rettet nun vielleicht ein russischer Investor. Mit seiner eigens dazu gegründeten NR-Holding übernimmt – wie berichtet – der Pharma-Unternehmer Viktor Charitonin zwei Drittel der Besitzergesellschaft. Dabei hatten die rot-grüne Landesregierung und die Insolvenzverwalter gelobt, die Eifel-Rennstrecke werde nicht an Heuschrecken, arabische Scheichs oder russische Oligarchen verhökert.

Doch das war, bevor der Autozulieferer Capricorn, der den Ring im März für 77 Millionen Euro erworben hatte, das Handtuch warf. Charitonin und die russische NR-Holding dagegen loben Experten als langfristigen und vor allem finanzstarken Partner. Der Oligarch hat nicht nur die am vergangenen Freitag fällige zweite Rate für den Kaufpreis pünktlich abgedrückt. Auch die Dezember-Rate hat er bereits bezahlt. Geldsorgen hat der russische Unternehmer offenbar keine. Immerhin rangierte Charitonin 2013 auf Rang 52 der russischen Reichenliste, die das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ alljährlich veröffentlicht. Sein Vermögen wird auf 500 bis 800 Millionen US-Dollar geschätzt. Der 41-Jährige hält 38 Prozent der Anteile von Pharmstandard. Das als solide geltende Unternehmen gehört zu dem führenden Arzneimittelherstellern in Russland, arbeitet nach eigenen Angaben nach EU-Standards und kooperiert mit dem US-Pharmariesen Johnson & Johnson sowie dem Chemie- und Pharmakonzern Merck mit Sitz in Darmstadt. Pharmstandard, das jedes Jahr hohe Millionengewinne einfährt, ist an der Londoner Börse gelistet und derzeit 1,4 Milliarden Euro wert. Den Einführungskurs von mehr als 18 Euro pro Anteilsschein hat der Konzern bisher jedoch nie wieder erreicht, auf dem Höhepunkt der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 sackte der Kurs sogar auf fünf Euro ab. Inzwischen auch Aufsichtsratschef des Giganten, hat Charitonin seine Anteile in einer Holding mit einer Adresse in Limassol auf Zypern geparkt. Das Steuersparmodell könnte ihm jetzt auf die Füße fallen. Das russische Parlament arbeitet bereits am Feinschliff eines Gesetzes, das Unternehmer verpflichtet, die Finanzen ihrer Offshore-Unternehmen offenzulegen und dafür in Russland Einkommens- und Körperschaftssteuer zu entrichten. Das wären zusammen 43 Prozent der Einnahmen. Charitonin scheut offenbar nicht nur den russischen Fiskus, sondern auch das Licht der Öffentlichkeit. Über seinen Werdegang ist so gut wie nichts bekannt. Experten sind sich nicht mal einig, ob er zu den klassischen Oligarchen der ersten Stunde gehört, die bei der verkorksten Privatisierung der sowjetischen Konkursmasse Mitte der Neunziger ihr Vermögen machten. Dagegen spricht in der Tat, dass es Pharmstandard erst seit 2003 gibt, als Wladimir Putin bereits das Sagen hatte. Zwar werden Charitonin keine direkten Kontakte zum Kremlchef nachgesagt. Dafür soll er freundschaftliche Beziehungen zu einem der einflussreichsten Ehepaare Russlands unterhalten. Es geht um Viktor Christenko und Gattin Tatjana Golikowa. Er ist Minister für Industrie und Handel, sie Präsidentin des russischen Rechnungshofes. Als Charitonin Pharmstandard gründete, war sie Gesundheitsministerin. Politische Loyalität gegen Förderung ihrer Geschäftsinteressen – das war die Formel, auf die Putin sich kurz nach seiner Wahl 2000 mit den Oligarchen verständigte. Auch Charitonin und der superreiche Roman Abramowitsch, Besitzer des FC Chelsea und einer 115 Meter langen Luxus-Jacht, sind damit bisher bestens gefahren. Eigentlich lebt Abramowitsch in London, gelegentlich residiert er an der französischen Riviera: in Saint Tropez, wo auch Charitonin ein vergleichsweise bescheidenes Anwesen sein Eigen nennt. Auch bei Charitonins erstem und bisher einzigem Besuch am Nürburgring soll Freund Abramowitsch ihn begleitet haben. Beider Herzen sollen für die Formel 1 schlagen. Charitonin ist zudem bekennender Autonarr. In seiner Remise sollen 80 bis 100 Fahrzeuge stehen. Darunter viele wertvolle Oldtimer, mit denen er bei Rallyes gern selbst an den Start geht.

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